Radfahrer in Berlin: Der gefährliche Konjunktiv
Autofahrer schützt die Polizei vor dem Fehlverhalten anderer, für Radfahrer gilt das nicht. Da belässt man es bei Sonderaktionen. Ein Kommentar.
Über angemessenen Abstand wird nicht nur im Zusammenhang mit dem Hashtag Metoo debattiert (eine Armlänge), sondern auch, wenn es um die Koexistenz von Fahrrad und Kraftfahrzeugen auf den Straßen geht. Laut gängiger Rechtsprechung müssen Auto-, Lkw- und Busfahrer beim Überholen mindestens einen Abstand von 1,5 Metern zum Fahrrad einhalten, und wenn Kinder mit auf dem Rad sind, sogar mindestens zwei Meter. Müssen? Müssten trifft es wohl eher.
In seiner großen Aktion „Radmesser“ hat der Tagesspiegel nun herausgefunden, dass in Berlin dieser vorgeschriebene Mindestabstand in mehr als der Hälfte aller Überholvorgänge nicht eingehalten wird. Kontrolle? „Wäre die Aufgabe der Polizei“, sagt Verkehrssenatorin Regine Günther. Und genau da wird es interessant. Denn die Polizei plant laut eigener Aussage keinerlei Kontrollen. Sie sehe auch keine Möglichkeiten, künftig Sicherheitsabstände zu messen.
Diese Äußerungen stehen beispielhaft für eine Polizei, die selbst fast ausschließlich im Auto unterwegs ist – und damit in der sich wandelnden Stadt Berlin einen Großteil der Verkehrsteilnehmer nicht mehr spiegelt. Denn in Berlin haben mehr Menschen ein Fahrrad als ein Auto. Dazu kommt, dass Polizeibeamte wohlgemerkt außerhalb von Einsätzen dabei beobachtet werden, wie sie zu eng überholen oder Radwege zuparken – als sei der kurze Sprung zum Imbiss wichtiger als die Radfahrer. Was fatal ist, weil sie eine Vorbildfunktion haben.
Die Polizei interessiert sich vor allem für Licht am Rad
Ganz anders ist das polizeiliche Engagement, wenn es um den motorisierten Verkehr geht. Autofahrer werden sehr wohl vor dem Fehlverhalten anderer Autofahrer geschützt, es werden Geschwindigkeiten kontrolliert und Drängler geahndet. Zugunsten von Radfahrern gibt es dagegen vor allem PR-wirksame „Schwerpunktkontrollen“. Die 20-köpfige Fahrradstaffel ist ebenfalls eher Stoff für freundliche Fernsehreportagen, als dass sie in der Fläche die Sicherheit der Radler steigern könnte.
Wenn Radfahrer mit der Polizei zu tun bekommen, dann vor allem als Kontrollinstanz – gegen sie selber: Wer tagsüber kontrolliert und verwarnt wird, weil seine Lampen nicht funktionieren, wird das schwerlich als Gewinn für seine Sicherheit im Straßenverkehr begreifen.
Dass der vom Titel her zuständigen Verkehrssenatorin zu alldem nicht mehr einfällt als ein Konjunktiv („Sehr hilfreich wären höhere Bußgelder“) und ansonsten der Hinweis auf die noch viel zuständigeren Bezirke, die nicht mit dem Radwegebau nachkämen, darf die Berliner Radfahrer frustrieren. Und ihnen die Hoffnung rauben, jemand anders außer ihnen selbst würde sich für ihre Sicherheit zuständig fühlen.