Dauerbaustelle BER: Der erste schizophrene Flughafen der Welt
Vor 855 Tagen sollte der BER eröffnet werden. Seither herrscht Stillstand, der durch öffentlichen Hokuspokus als Fortschritt deklariert wird. Es ist an der Zeit, dass alle Beteiligten sich der Wahrheit stellen. Ein Kommentar.
Am südlichen Stadtrand Berlins gibt es zwei Großbaustellen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Auf der einen läuft alles prima, der aktuelle Sachstandsbericht, Nr. 12, gerade veröffentlicht, strotzt nur so vor Zufriedenheit: 39 von 40 Gebäuden fertiggestellt und vom Bauamt abgenommen, Entwurfsplanungen und Baugenehmigungen vorgelegt, wesentliche Fortschritte erzielt, Bauarbeiten abgeschlossen, Baufertigstellungen angezeigt, Programme intensiviert, Voraussetzungen geschaffen, kein neuer Korruptionsverdacht, kein Schaden durch den alten, der Aufsichtsrat zeigt grünes Licht. Ein wichtiger Meilenstein, so schreibt der Geschäftsführer, ist auf dem Weg zur Inbetriebnahme erreicht.
Auf der anderen Baustelle herrschen Chaos und Verzweiflung, der neue Technikchef schlägt zur exakt selben Zeit in einem Brief an die Mitarbeiter und Partnerfirmen Alarm: „Wir sind zu langsam, zu kompliziert und zu unverbindlich“, es fehlt an Ordnung und Durchhaltevermögen, an Durchschlagskraft und Know- how, das Bausoll ist nicht definiert, das Ziel nicht hundertprozentig erkennbar, es gibt unzureichende Baubesprechungen und undurchsichtige Entscheidungsprozesse, es fehlen gute und erfahrene Fachkräfte sowie verantwortungsvolle Kollegen. Die wichtigste Aufgabe, so schreibt der Technikchef, ist es, den richtigen Weg zu finden.
Beide Baustellen haben dieselben Eigentümer, denselben Aufsichtsrat, den- selben Vorsitzenden der Geschäftsführung, über beiden Dokumenten steht dasselbe Firmenlogo – und bei beiden geht es um den BER, den weltweit ersten schizophrenen Flughafen.
Es soll einen Neustart geben. Wieder einmal
„Mehr Mut zur Wahrheit“, fordert Technikchef Jörg Marks. Von wem eigentlich? Seit anderthalb Jahren führt Hartmut Mehdorn die Geschäfte. Hier liest er nun, angeblich mit ihm abgestimmt, seine Bilanz – ein internes Führungsdesaster, vertuscht durch öffentlichen Hokuspokus. In den regelmäßigen Berichten wird ein Fortschritt suggeriert, der in Wahrheit ein Stillstand ist. Das gilt für das Nummernsystem – weil das „inkonsistent“ ist, „lassen sich Räume nicht mehr eindeutig auffinden“ – ebenso wie für die Entrauchungsanlage, die jetzt schon in der fünften Berichtsauflage in drei steuerbare Segmente geteilt wird, ohne dass es tatsächlich passiert. Es gilt, wenn der Technikchef kein Blender oder Geblendeter ist, für eigentlich alles. Also Neustart, wieder einmal.
Marks spricht von „Sanierung im Bestand“, ein Euphemismus für Neubau ohne Abriss, und davon, dass er jetzt – jetzt! – Planungsleistungen verstärken wolle, um in den „großen Technikthemen“ wie der Entrauchungsanlage „endgültige Entscheidungen“ herbeiführen zu können. Wenn das geschehen sei, „dann ist auch Schluss mit weiteren Ideen“. Das klingt so... – ja, als sei Mehdorn gemeint, und das klingt auch so, wie Mehdorn selbst am Anfang klang: „Die Zeit der Fummelei ist vorbei“, hatte er getönt. Der neue Technikchef stellt nun fest: Sie hat nie aufgehört. Hört sie je auf?
Vor 855 Tagen sollte der BER eröffnet werden. Alle glaubten daran, etwas anderes war unvorstellbar. Seitdem wird der zahlenden Öffentlichkeit vorgegaukelt, es gehe voran. Sie ist darüber müde geworden, nimmt hin, winkt ab und fliegt ansonsten von Tegel. Mehr Mut zur Wahrheit, das heißt auch: Es ist nicht mehr unvorstellbar, dass der BER nie fertig wird.