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Reparaturbedürftig. Die Kosten für Heizungsanlagen wie hier in Friedrichshain sollen mitberechnet werden.
© Kitty Kleist-Heinrich

Berlins marode Schulen: Verwirrung um neue Zahlen: Der 368-Millionen-Euro-Streit

Was darf die Schulsanierung kosten? Darum gibt es nun neuen Ärger. Auch weil die Daten nicht eindeutig sind. Dabei hatte Hamburg gezeigt, wie es geht.

„Grobe Unkenntnis oder bewusste Falschaussage“: Bildungs-Staatssekretär Mark Rackles (SPD) hat am Donnerstag in harschem Ton auf die Behauptung aus Charlottenburg-Wilmersdorf reagiert, dass der Sanierungsbedarf der Schulen nur lückenhaft ermittelt werden soll – und zwar ohne die Reparaturkosten für Heizungs-, Lüftungs- und elektrische Anlagen. „Ich fordere Sie auf, dies in geeigneter Form schriftlich und öffentlich richtig zu stellen“, heißt es in einem Brief an den grünen Bildungsstadtrat Oliver Schruoffeneger (den kompletten Brief im Original können Sie hier lesen).

Rackles beanstandet in seinem Brief aber nicht nur diese Aussage des Stadtrates, sondern weckt auch Zweifel an der Höhe des ihm genannten Sanierungsbedarfs von 368 Millionen Euro. Er möchte daher von Schruoffeneger wissen, wie er „durchschnittlich einen so extrem hohen Bedarf pro Schule“ begründet und wie sich die „exorbitante Steigerung“ erklärt, denn noch vor zwei Jahren hatte der Bezirk den Sanierungsbedarf mit nur 55 Millionen Euro angegeben.

Vier Kategorien der Dringlichkeit werden erhoben

Schruoffeneger begründet die Versiebenfachung damit, dass vor zwei Jahren nur der Akutbedarf genannt worden sei, während es bei der aktuellen Erhebung ausdrücklich auch darum ging, längerfristige Vorhaben anzugeben: Es gibt jetzt vier Kategorien von akut bis "wünschenswert". Den hohen Durchschnittsbedarf erklärt Schruoffeneger mit dem großen Altbaubestand und der langjährigen Unterfinanzierung.

Schwerer tut sich der neu ins Amt gekommene Stadtrat damit, seine Behauptung in Bezug auf die technischen Anlagen zu begründen. Er verwies zunächst auf das Hochbauamt von Stadträtin Dagmar König (CDU) und räumte dann am Donnerstagabend ein, dass die Anlagen zwar im Scan abgefragt würden, aber nur als Pauschalsumme, was kein realistisches Bild gebe.

Charlottenburg-Wilmersdorf ist kein Einzelfall

Die Auseinandersetzung zwischen Rackles und dem Charlottenburg-Wilmersdorf verheißt nichts Gutes: Schließlich hatten auch andere Bezirke bereits hohe dreistellige Millionenbeträge als Sanierungsbedarf ihrer Schulen genannt, allen voran Steglitz-Zehlendorf: Hier wurde schon vor zwei Jahren der Sanierungsbedarf auf über 400 Millionen Euro angesetzt. Diese Summe erreicht inzwischen auch Reinickendorf: Der Bezirk gibt seinen Sanierungsbedarf anhand des neuen Gebäudescans inzwischen mit 410 Millionen Euro an; Lichtenbergs hat 330 Millionen Euro errechnet - viermal mehr als vor zwei Jahren.

Hamburg investiert bis 2019 zwei Milliarden Euro

Daher erschien Rackles’ Reaktion auf die hohen Sanierungskosten von Charlottenburg-Wilmersdorf nicht nur manchen Bezirksvertretern rätselhaft. Zumal auch aus Hamburg schon sehr hoher Sanierungsbedarf bekannt ist. Dort gibt es allerdings keine Zweifel an der Plausibilität, weil der Bedarf der Hamburger Schulen nicht von den einzelnen Bezirken je nach eigenen Gewohnheiten und nach Aktenlage erhoben wurde: Vielmehr ließ die Hansestadt durch Mitarbeiter ihrer neu gegründeten Schulbau Hamburg GmbH „jede Schule begutachten, neu vermessen und den individuellen Sanierungsbedarf festlegen“, bestätigte die dortige Finanzbehörde auf Anfrage.

Hingegen ist die Berliner Finanzbehörde skeptisch in bezug auf die Verlässlichkeit Daten, die jetzt erhoben wurden und für deren Verarbeitung es noch nicht einmal eine geeignete Software gibt. In Hamburg wurden alle Bau- und Sanierungsbedarfe an den rund 350 staatlichen allgemeinbildenden Schulen im Jahr 2012 in einem Rahmenplan Schulbau zusammengefasst. "Dieser enthält alle anstehenden Maßnahmen bis 2019 in einem Gesamtvolumen von rund zwei Milliarden Euro und wird kontinuierlich fortgeschrieben", beziffert der Hamburger Senat seine Bestandsaufnahme.

Die Betroffenen haben keine Geduld mehr

Die Eltern reagieren zunehmend gereizt auf die Zustände an den Schulen. Der Bezirkselternausschuss Steglitz-Zehlendorf wandte sich gerade erst mit einem offenen Brief an den Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) mit der Frage, warum er sich "erst jetzt, am Ende der Legislaturperiode" mit einem konkreten Vorschlag zur Sanierungsproblematik geäußert habe. Allen Beteiligten sei "seit Jahrzehnten" die Lage der Schulen bekannt. Wie berichtet, wollen die Schüler des Bezirks am Mittwoch gegen die maroden Schulen im Rahmen eines "Schulstreiks" demonstrieren.

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