Nach dem Bürgerbegehren: Das taktische Spiel um die Garnisonkirche in Potsdam
Soll die Garnisonkirche in Potsdam wieder aufgebaut werden oder nicht? Das Bürgerbegehren wurde angenommen, einen Bürgerentscheid gibt es dennoch nicht. Was bedeutet das?
Entschieden unentschieden – so hat sich das Stadtparlament bei der Abstimmung über das Bürgerbegehren zur Auflösung der Garnisonkirchenstiftung verhalten. 28 der 39 anwesenden Stadtverordneten enthielten sich, darunter die komplette Rathauskooperation aus SPD, CDU/ANW, Grünen und den Potsdamer Demokraten.
Mit den Stimmen der Linken wurde das Bürgerbegehren der Gegner schließlich angenommen. Was heißt das für das Projekt Garnisonkirche? Wie geht es weiter? Wir beantworten die wichtigsten Fragen.
Darf die Kirche gebaut werden?
Rein rechtlich: ja. Denn die Baugenehmigung für den Bauherrn, die Garnisonkirchenstiftung, gilt nach wie vor. Sobald die Stiftung das Geld zusammenhat, darf sie bauen. Das Bürgerbegehren zielte nicht auf das Projekt selbst, sondern auf die Auflösung der Garnisonkirchenstiftung – Ersteres wäre laut Kommunalverfassung nicht möglich gewesen, weil Bürgerbegehren nur zu Fragen durchgeführt werden können, bei denen die Kommune tatsächlich auch mitentscheiden kann.
Waren die Unterschriften umsonst?
Nein. Einerseits muss das von den 14.285 Unterzeichnern geforderte Anliegen des Bürgerbegehrens umgesetzt werden – so hat es das Parlament beschlossen. Andererseits hat das Bürgerbegehren bei vielen Befürwortern der Garnisonkirche für ein Umdenken gesorgt, wie Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD), sagte: „Es hat damit ein Nachdenken eingesetzt, dass man innerhalb der Stadt mehr um die Akzeptanz der Bürger werben muss, statt den Fokus vor allem auf Spendenwerbung zu legen.“ Das Ziel der Gegner, alle Potsdamer im Bürgerentscheid abstimmen zu lassen, wurde aber verfehlt – dafür hätte das Parlament das Begehren ablehnen müssen. Die Bürgerinitiative „Für ein Potsdam ohne Garnisonkirche“ sieht trotzdem Ziele erreicht: Die deutlich gewordene Ablehnung halte potenzielle Spender ab, den Wiederaufbau zu unterstützen, so Initiativensprecher Simon Wohlfahrt.
Wie geht es jetzt weiter?
Die Stadt muss prüfen, welche Möglichkeiten sie hat, die Garnisonkirchenstiftung aufzulösen – und müsste diese dann nutzen. Die Verwaltung schätzt die Chancen auf Erfolg gering ein. Ihr Hauptargument: Die Stadt hat im elfköpfigen Kuratorium der Stiftung nur einen Sitz und damit keine Mehrheit. Auch Stiftungsexperte Hans Fleisch, der Generalsekretär des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen, sieht nach Durchsicht der Satzung der Garnisonkirchenstiftung und des Landesstiftungsgesetzes keine Chance auf eine Auflösung – selbst wenn die Stadt Potsdam im Kuratorium eine Mehrheit überzeugen könnte, sei eine Selbstauflösung stiftungsrechtlich nicht ohne Weiteres möglich.
Wie positionieren sich beide Seiten?
Die Fördergesellschaft für die Garnisonkirche hält weiterhin am Ziel des originalgetreuen Wiederaufbaus fest, wie Sprecherin Friederike Schuppan sagte. „Mit dem originalgetreuen Äußeren der Garnisonkirche, die eine der schönsten Barockkirchen Norddeutschlands war, kann das Anliegen, für Frieden und Versöhnung einzutreten und zu einem Lernort der deutschen Geschichte zu werden, sehr gut vermittelt werden.“ Die Kirche sei keine Nazikirche gewesen, so die Befürworter. Man respektiere das Votum der Stadtverordneten und begrüße den Ruf nach mehr Beteiligung der Potsdamer. Man werde prüfen, wie man auch mit Kritikern noch weiter ins Gespräch kommen könne. Barbara Kuster von der Bürgerinitiative „Mitteschön“ bedauerte den gescheiterten Bürgerentscheid: „Ich hätte mir eine Umfrage gewünscht, um Klarheit zu schaffen.“ Die Initiatoren des Begehrens haben die Evangelische Kirche aufgefordert, den geplanten Wiederaufbau zu stoppen. Das Projekt sei politisch gescheitert, sagte Simon Wohlfahrt, Sprecher der Initiative „Für ein Potsdam ohne Garnisonkirche“, am Donnerstag. „Wie kann man einen Ort der Versöhnung schaffen wollen, gegen den es so viel Widerstand gibt“, sagte Wohlfahrt. Lutz Boede (Die Andere) hat bereits „stärkere Zeichen“ angekündigt.
Hat die Bürgerbefragung Chancen?
Ausschließen will das in der Rathauskooperation keiner mehr. Nach der Entscheidung könne man bei dem Projekt „nicht so weitermachen wie bisher“, bilanzierte SPD-Oberbürgermeister Jann Jakobs schon am Mittwoch. CDU-Fraktionschef Matthias Finken sieht zwar einerseits die Stiftung in der Pflicht, über das Projekt nun „mit allen Teilen der Bevölkerung“ ins Gespräch zu kommen. Aber auch die Politik müsse reagieren. Denkbar sei ein Werkstattverfahren, aber auch eine Bürgerbefragung. „Aber nicht in der aufgeheizten Atmosphäre, die wir jetzt haben.“ Finken plädiert für eine gute Vorbereitung. Auch Grünen-Fraktionschefin Saskia Hüneke will einen „breiten sachlichen Diskurs zum Konzept und zu einem architektonischen Zeichen“.
Wie kam es zu der Überraschung?
DIE AUSGANGSLAGE
Ziel der Initiative war es, parallel zur Landtagswahl am 14. September einen Bürgerentscheid abzuhalten und mögliche Stiftungsspender abzuschrecken.
DIE FRAGE
Kurz vor der Sondersitzung wurde klar, dass die Rathauskooperation das Bürgerbegehren mit einem taktischen Schachzug einfach ins Leere laufen lassen will – indem sie sich enthält. SPD-Chef Mike Schubert sagte, die für das Begehren gestellte Frage sei nicht zielführend für einen Bürgerentscheid. Sie lautete: „Sind Sie dafür, dass die Stadt alle rechtlich zulässigen Möglichkeiten nutzt, um auf die Auflösung der Stiftung Garnisonkirche hinzuwirken?“ Rechtlich gilt das als unrealistisch.
DIE REAKTIONEN
Wieso haben die Linken dem Bürgerbegehren zugestimmt, wo sie mit einer – taktischen – Ablehnung doch den Bürgerentscheid hätten durchsetzen können? Dass sich alle enthalten würden, hätte keiner gedacht, hieß es. „Die Andere“ warf der Rathauskooperation vor, das Plebiszit durch Tricksereien abgewürgt zu haben. axf/HK