Garnisonkirche in Potsdam: Wie ein Zeichen der Versöhnung die Stadt spaltet
Der Wiederaufbau der Garnisonkirche sollte vereinen, aber bis jetzt stiftet er nur Streit. Barocke Stadtmitte gegen alte Architektur der DDR - darum geht es nur zum Teil. Heute stimmen die Stadtverordneten über den Bau ab.
Erhaben wirkt er nicht, dieser Ort mitten im Zentrum Potsdams, an dem früher die Garnisonkirche stand und an dem sie auch wieder aufgebaut werden soll. Eher haftet ihm etwas Provisorisches an. Vielleicht liegt es an dem schmalen Holzzaun, der den mit Gras überwucherten Boden umgibt, vielleicht an dem orangefarbenen Banner, das an der Hauswand des Nachbargrundstücks angebracht ist. „Eine Kultur der Versöhnung bauen“ steht darauf. Max Dalichow steht davor und glaubt nicht daran.
Die Evangelische Kirche und die Stadt Potsdam wollen die barocke Kirche wiedererrichten, die der Architekt Philipp Gerlach 1720 für den Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. von Preußen gebaut hatte, die 1945 nach einem Bombenangriff ausbrannte und deren Ruine auf persönlichen Wunsch von Walter Ulbricht 1968 schließlich gesprengt wurde. Nicht als die Militärkirche, die sie mal war, sondern als Ort der Versöhnung – aber eben mit der Originalfassade.
Ein Bürgerbegehren will das verhindern, genug Unterschriften sind schon zusammen. An diesem Mittwoch stimmen die Stadtverordneten darüber ab, ob Potsdam auf den Bau der Kirche verzichten soll. Dass sie das beschließen, ist unwahrscheinlich, Potsdams Oberbürgermeister Jann Jakobs sitzt selbst im Kuratorium der Stiftung Garnisonkirche. Und überhaupt gehört es zum erklärten Ziel, den historischen Altstadtkern mit seinen barocken Bauten wiederherzustellen, die Bausünden der DDR nach und nach verschwinden zu lassen. Lehnen die Stadtverordneten das Bürgerbegehren ab, könnte es zeitgleich zur Landtagswahl am 14. September zum Bürgerentscheid über das Projekt kommen.
"Das Rausradieren der DDR aus dem Stadtbild"
„Der Wiederaufbau steht für das Rausradieren der DDR aus dem Stadtbild“, sagt Max Dalichow. Der 36-Jährige mit dem glatt rasierten Gesicht und dem kurzen schwarzen Haar engagiert sich in der Bürgerinitiative „Potsdam ohne Garnisonkirche“ gegen den Wiederaufbau. Auf dem künftigen Baufeld klingt das, was er sagt, ein bisschen seltsam. Unter der Sandfläche verbirgt sich noch das Fundament der alten Garnisonkirche. Aber links und rechts stehen Plattenbauten, ein Studentenwohnheim und das Rechenzentrum der Landesregierung. Dort blättert der Putz ab, ein paar Garagentore sind bunt besprüht.
Es sind verschiedene Ideen von Stadt, die hier auf engstem Raum zusammenkommen. Oder kommen könnten. Denn beim Streit um die Garnisonkirche geht es längst um etwas Grundsätzliches. Darum, ob Potsdam wirklich seine barocke Stadtmitte zurückbekommen muss oder ob auch Architektur aus DDR-Zeiten ihren Platz behalten darf. Darum, was stärker wirken wird in einem wiedererrichteten Bau: preußischer Militarismus – oder eine Mahnung zum Frieden.
Dass die Sprengung der Kirche in vielerlei Hinsicht Unrecht war, sagt auch Max Dalichow. Seine Großmutter, Brunhilde Hanke, war damals Oberbürgermeisterin der Stadt, sie kämpfte bis zum Schluss gegen die Zerstörung, stritt sich mit der Bezirksleitung, weinte – und konnte dann doch nichts ausrichten. „Vor wenigen Wochen“, sagt Dalichow, „hat sie gegen den Wiederaufbau unterschrieben.“ Einen Widerspruch sieht ihr Enkel darin nicht, etwas Bestehendes abreißen sei schließlich etwas anderes als etwas nachbauen.
„Die Ruine, die damals noch stand, die hatte etwas Romantisches“, sagt er, obwohl er selbst 1968 noch gar nicht geboren war. Wenn er so darüber nachdenke, finde er fast Gefallen an der Idee, statt des barocken Turms dessen halb verbrannte, halb eingestürzte Überreste nachzubauen. „Das wäre doch wirklich ein Kriegsdenkmal.“
Hier trafen sich Hitler und Hindenburg
Wie Max Dalichow sind viele Linksalternative in Potsdam gegen den Wiederaufbau der Kirche. An diesem heißen Dienstag trägt er ein petrolblaues Hemd mit langen Ärmeln. Und doch fühlt er sich auf dem freien Platz zwischen den vereinzelt herumstehenden Resten der Kirche nicht wegen der Hitze unwohl. Es ist etwas anderes, das ihn wegtreibt. Mit weit ausholenden Schritten steuert er auf das Rechenzentrum zu. Er deutet auf den überdimensionalen Käfig, der davor steht. Darin, gut geschützt vor Vandalismus, der erste Vorbote des neuen Kirchturms: eine Nachbildung der acht Meter hohen goldenen Wetterfahne. Bis der Turm gebaut ist, den sie krönen soll, steht sie auf dem breiten Gehsteig. Das ärgert Dalichow zurzeit mit am meisten, dass diese Turmspitze das Mosaik am Rechenzentrum verdeckt, ein buntes DDR-Wandbild, das ihm schon als Kind sehr gefiel.
„Genauso gut könne man die Mauer als Zeichen der Reisefreiheit wieder aufbauen.“
Die Idee der Versöhnung, die in den Augen der Befürworter von der neuen Garnisonkirche ausgehen soll, sei eine Umdichtung, findet er. „Genauso gut könne man die Mauer als Zeichen der Reisefreiheit wieder aufbauen.“ Was er eigentlich meint, ist: In Potsdam gebe es viel miteinander zu versöhnen, die Garnisonkirche aber sorgt bisher nur für Streit. Das liegt auch daran, dass sie für die ganz großen Inszenierungen schon immer gut getaugt hat.
Bevor die DDR-Oberen ihre Macht demonstrierten und die Reste der christlichen Architektur dem Erdboden gleichmachten, trafen sich Hitler und Hindenburg hier am „Tag von Potsdam“. Zur Eröffnung des Reichstags 1933 hielten die Nazis einen Staatsakt ab, das Foto vom Handschlag zwischen Reichspräsident und Reichskanzler ist weltberühmt.
„Wenn diese Kirche, wenn dieser Ort dadurch bis heute kontaminiert wäre, dann dürfte man auch das Berliner Olympiastadion nicht mehr betreten“, sagt Martin Vogel, der theologische Vorstand der Stiftung Garnisonkirche Potsdam. Eigentlich, findet er, könne es doch gar keinen besseren Ort geben, um die menschliche Ambivalenz, das Brüchige, das jeder in sich hat, sichtbar zu machen. Beides springe einem ins Auge. Denn neben Hitler und Hindenburg trafen sich hier unter anderen auch die Widerstandskämpfer des 20. Juli. In Zukunft sollten, so wünscht sich das Vogel, Menschen aus aller Welt hier aus der Geschichte lernen können, an einem Ort, an dem so viel kumuliert.
Bevor er spricht, denkt Vogel gern einen kurzen Moment nach. Oft schiebt er auch noch ein „Ja …“ vor seine Sätze, eine Art gesprochenes Luftholen. Das ist außergewöhnlich in Potsdam, wo sich Gegner und Befürworter des Wiederaufbaus oft Nazi-Vergleiche und andere wüste Beschuldigungen nur so um die Ohren schlagen. Im März 2013 zum Beispiel tauchte beim offiziellen Gedenkspaziergang der Stadt zum „Tag von Potsdam“ plötzlich ein krudes Grüppchen Linksradikaler auf. Sie trugen Fackeln, Uniformen, die denen der SA ähnelten, und Armbinden. Ihre Gesichter hatten sie zu Totenkopffratzen geschminkt. Aggressiv oder laut waren sie nicht, gespenstisch schon. Schweigend begleiteten sie den Umzug, wichen ihm nicht von der Seite. Gerade dort, gerade da als Nazis verkleidet aufzutauchen, diese Idee hielten selbst die Gegner der Garnisonkirche für geschmacklos und unerträglich.
Was sagt die Jüdische Gemeinde zu dem Projekt Wiederaufbau?
Max Dalichow führt weg vom Rechenzentrum und zu einem schattigen kleinen Park hinter dem leeren Kirchplatz. Dort steht eine Replik des alten Glockenspiels der Kirche. Geschenkt hat es der Stadt 1991 die Iserlohner Traditionsgemeinschaft „Potsdamer Glockenspiel“ um den konservativen Oberstleutnant a. D. Max Klaar. Von ihm haben sich die evangelische Kirche und die Stiftung Garnisonkirche schon früh distanziert – mit dem Versöhnungsgedanken des Projekts konnte Klaar nichts anfangen.
Max Dalichow will keinen der Befürworter des Wiederaufbaus in Klaars Nähe rücken. Trotzdem: „Was mich stört, ist der sorglose Umgang mit den verschiedenen historischen Ereignissen, die sich hier abgespielt haben.“
Ob dieses Unbehagen gerechtfertigt ist? Schräg gegenüber dem kleinen Park mit dem Glockenspiel hat die Jüdische Gemeinde ihren Sitz. Sie ist eine von drei jüdischen Verbänden in der Stadt. Was sagt man hier zu dem Projekt des Wiederaufbaus?
Ud Joffe ist gerade in Israel. Der Potsdamer ist musikalischer Leiter der evangelischen Erlöserkirche und Vorsitzender der jüdischen Synagogengemeinde. Weder für die eine noch für die andere Gemeinde will er sprechen – aber natürlich hat er eine Meinung zu dem Projekt. „Ich bin nicht dagegen, weil Hitler mal hier war“, sagt er am Telefon. Ein „Warum nicht?“ – das ist für Joffe die falsche Frage. Die richtige wäre: Warum muss es unbedingt sein?
Wenn man eine Kirche nachbaue, die mal für 3000 Soldaten konzipiert war, müsse man fragen, welche Funktion sie heute erfüllen solle? „Ich kenne diesen Prozess seit über 17 Jahren, aber noch kein absolut überzeugendes Konzept für die Wiedererrichtung eines fünften riesigen kirchlichen Baus im Zentrum Potsdams“, sagt Joffe.
Eine der schönsten Barockkirchen Norddeutschlands
Für Oberbürgermeister Jann Jakobs hingegen liegt der Mehrwert auf der Hand: Die Garnisonkirche, sagt er, war eine der schönsten Barockkirchen Norddeutschlands, und sie hat das Stadtbild geprägt. Hinzu komme: „Die ganze Widersprüchlichkeit der deutschen Geschichte spiegelt sich wie in einem Brennglas.“ In ganz Potsdam gebe es zum Beispiel keinen anderen Ort, an dem sich so gut an den Widerstand des 20. Juli erinnern ließe, an das Attentat auf Hitler. Die Ausstellung zum 70. Jahrestag dieses Attentats hätte in die Garnisonkirche wunderbar gepasst, findet Jakobs.
Je mehr Gespräche man mit Befürwortern und Gegnern des Wiederaufbaus dieser Kirche führt, desto klarer wird, dass die Garnisonkirche auch eine Projektionsfläche ist. Jeder sieht darin, was er sehen möchte. Eine Verschwendung von Steuermitteln, weil der Bund dem Projekt, das anfangs komplett aus Spenden finanziert werden sollte, im vergangenen Herbst einen Zuschuss von zwölf Millionen Euro versprochen hat. Es sei ein Denkmal nationaler Bedeutung. Eine unfreiwillige Erinnerung an den Nationalsozialismus. Oder eben eine Wunde im Herzen der Stadt, ein Symbol für geschehenes DDR-Unrecht. So sehen es Jann Jakobs und wohl die meisten Förderer des Projekts, zu denen auch Brandenburgs frühere Ministerpräsidenten Manfred Stolpe und Matthias Platzeck gehören.
Manche sagen, der Streit um die Kirche sei ein Stellvertreterkrieg für die schwelenden Konflikte in der schnell wachsenden Stadt. Jene zwischen Arm und Reich, zwischen Alteingesessenen und Zugezogenen, zwischen Palast und Platte. Doch es geht auch um Deutungshoheit. Der Kirchturm wäre, wenn er wieder stünde, 88 Meter hoch und damit das höchste Gebäude in Potsdam, höher noch als das Hotel Mercure, ein 60 Meter hoher Bettenturm, gar nicht weit vom alten, künftigen Kirchplatz entfernt. Den würde die Stadt gerne abreißen, gleich gegenüber steht das neu gebaute Stadtschloss.
Die Garnisonkirche wäre für die einen der nächste logische Schritt, um den historischen Stadtkern wiederherzustellen. Den anderen, Menschen wie Max Dalichow, reicht es nach dem Wiederaufbau des Stadtschlosses mit dem Barock. Dagegen, dass hier eine Kirche, ein christlicher Bau entsteht, hat er gar nichts. Aber warum nicht auf moderne Art mit der alten Fassade spielen, warum beispielsweise keinen 80 Meter hohen Glasturm bauen?
„Wir haben eine Baugenehmigung und zwei Millionen Euro in die Planung gesteckt. Da würde ich mich schwer tun, das jetzt wieder über den Haufen zu werfen“, sagt Martin Vogel von der Stiftung Garnisonkirche. Eine Überdosis an Barock kann er in der Stadt nicht erkennen. Außerdem, sagt er, wäre die neue Garnisonkirche nur von außen alt. Innen werde die ursprüngliche Architektur aufgebrochen, um Platz zu schaffen für eine Bibliothek, Seminarräume, so etwas.
Und Manfred Stolpe, einer der ältesten Verfechter des Wiederaufbaus, sieht das inzwischen ohnehin alles nicht mehr so eng. Den barocken Turm sähe er gerne so wieder aufgebaut, wie er war. Das Kirchengebäude hingegen ... „Ich denke, das muss nicht originalgetreu wiederaufgebaut werden“, sagte er kürzlich.
Für Ud Joffe ist das ein Gewinn. „Gut tat Herr Stolpe, sich selbstkritisch und nachdenklich zu äußern, das zeigt Größe und versachlicht die Diskussion.“ Der ganze Streit hängt in Joffes Augen stark mit der einstigen Teilung zusammen. Auch 25 Jahre nach dem Fall der Mauer hinterlässt sie in Potsdam ihre Spuren. „Wer ein Versöhnungszentrum einrichten will, kann sich dieser Herausförderung als erste Aufgabe nehmen.“
Der nun näher rückende Bürgerentscheid wird die beiden Fronten in Potsdam einander wohl kaum näherbringen. Doch weder Jann Jakobs noch Martin Vogel machen sich darum Sorgen. Die Baugenehmigung der Stadt gibt es schließlich bereits. Bedenklich fände Vogel etwas anderes: „Es wäre seltsam, wenn der Turm der Garnisonkirche wieder steht, bevor Potsdam eine neue Synagoge hat.“ Um deren Gestaltung gibt es zwischen den drei jüdischen Gemeinden seit Jahren Unstimmigkeiten.
Max Dalichow sitzt noch immer unter dem Glockenspiel. Als es anfängt, „Üb immer Treu und Redlichkeit“ zu spielen, rollt er genervt mit den Augen, steht auf und geht.