Polizeigewerkschaften nach Rocker-Mord: "Das stößt an die Grenzen unserer Vorstellungskraft"
Die Berliner Polizei hätte einen Mord verhindern können – hat sie aber offenbar nicht. Das sagen Polizeigewerkschaften zu dem Fall.
In der Berliner Polizei herrscht Unruhe, wieder einmal. Grund ist diesmal der vom Landgericht Berlin festgestellte Vorwurf, dass Beamte des Landeskriminalamts Berlin bewusst zwingend gebotene Maßnahmen unterlassen und damit im Jahr 2014 einen Mord billigend in Kauf genommen haben. Das hat das Landgericht Berlin nun im Mordprozess gegen mehrere Rocker vor Ende der Beweisaufnahme in einem rechtlichen Hinweis festgehalten.
Norbert Cioma, Landeschef der Gewerkschaft der Polizei, sprach von schwerwiegenden Vorwürfe, „die da ins Spiel gebracht wurden und die ohne Frage lückenlos aufgeklärt werden müssen“. Für die Beamten gelte aber wie für jeden anderen die Unschuldsvermutung. Sollten sich die Vorwürfe bestätigen, muss es auch für sie rechtsstaatliche Konsequenzen geben. „Wir warnen aber ausdrücklich vor einer Vorverurteilung, gerade bei Ermittlungen in so einem Bereich sind einfache Antworten nicht immer die richtigen, und ohne fundierten Hintergrund kann man schnell falsche Schlüsse ziehen“, sagte Cioma.
Jörn Badendick, der Sprecher des Berufsverbandes „Unabhängige in der Polizei“, erklärte, die Vorwürfe gegen LKA-Beamte seien von erheblicher Tragweite, zumal sie von der Schwurgerichtskammer des Landgerichts erhoben wurden. „Dass Polizeibeamte den Tod eines Bürgers billigend in Kauf genommen haben sollen, stößt an die Grenzen unserer Vorstellungskraft“, sagte Badendick. Zugleich wies er daraufhin, dass im seit Herbst 2014 laufenden Rockerprozess, keine Polizeibeamten auf der Anklagebank sitzen. Und es gelte die Unschuldsvermutung. „Nichtsdestotrotz stellen die Vorwürfe den täglichen Dienst jeder Einsatzkraft in Frage und müssen schonungslos aufgeklärt werden“, sagte Badendick. „Für gewöhnlich wäre dies Aufgabe der Staatsanwaltschaft Berlin.“
Kein Anfangsverdacht auf ein Tötungsdelikt
Tatsächlich hatte die Staatsanwaltschaft die Vorwürfe gegen LKA-Beamte schon einmal geprüft, sah aber keinen Anfangsverdacht auf ein Tötungsdelikt im Amt. Daher war bislang noch kein Ermittlungsverfahren eröffnet worden. Nach Tagesspiegel-Informationen sind auch Disziplinarverfahren gegen Beamte eingestellt worden.
Erst am Sonntag erklärte Generalstaatsanwältin Margarete Koppers dem Tagesspiegel, ein in Kapitalverbrechen erfahrener Abteilungsleiter der Staatsanwaltschaft sei als Sonderermittler eingesetzt worden. Ermittelt wird jetzt laut Koppers gegen drei Beamte.
Die „Unabhängigen“ warnten davor, bei den Bürgern könne der Eindruck entstehen, „die Generalstaatsanwältin würde gegen sich selbst ermitteln“. Koppers sei zum Zeitpunkt des Mordes in Führungsverantwortung bei der Berliner Polizei gewesen. Tatsächlich war sie bis Februar dieses Jahres Polizeivizepräsidentin und verantwortlich für Personal und Finanzen. Seit März führt sie die Generalstaatsanwaltschaft.
Der Senat müsse Koppers Ernennung zur Generalstaatsanwältin revidieren, sagte Badendick. Nahezu täglich würden neue Vorwürfe aus der Ära von Koppers und Polizeipräsident Klaus Kandt bekannt. Aber auch unter der neuen Führung von Polizeipräsidentin Barbara Slowik sei kein wirklicher Aufklärungswille erkennbar. Nötig sein ein kompletter Kassensturz bei der Berliner Polizei, „um einen wirklichen Neuanfang wagen und verloren gegangenes Vertrauen zurückgewinnen zu können“, sagte Badendick.
Aus Sicht des Landgerichtes hätte der Mord an Tahir Ö. am 10. Januar 2014 durch einen Trupp um Rockerboss Kadir P. verhindert werden können, wenn die LKA-Ermittler eingeschritten wären. Zumal sie schon seit Ende Oktober 2013 Hinweise auf die drohende Tötung gehabt hätten. Der damals 26-Jährige Ö. war brutal hingerichtet worden. 13 Rocker der Hells Angels waren in ein Wettbüro in Reinickendorf gestürmt, Recep O. soll mehrere Mal auf Tahir Ö. gefeuert haben. Der Hauptangeklagte, Kadir P., soll den Mord an Ö. in Auftrag gegeben haben, weil dieser die Rocker auch durch Angriffe provozierte. So soll Ö. im Oktober 2013 auf zwei Hells Angels eingestochen haben. Kadir P., damals Boss der mehrheitlich türkischstämmigen Hells Angels aus Wedding und Reinickendorf, soll daraufhin Rache geschworen und einen Mordauftrag erteilt haben.
Das Landgericht befasste sich in dem seit Herbst 2014 laufenden Mordprozess gegen elf Angeklagte auch mit dem Verhalten der Polizei. Jetzt hat es das Gericht schwarz auf weiß aufgeschrieben: Dass die Ermittler schon Wochen vor dem Mord durch Kontaktmänner und abgehörte Telefonate von den Tötungsplänen gewusst haben, aber nichts dagegen getan haben, nur um Kadir P. hinter Gitter zu bringen. Die Nebenklageanwälte haben mindestens 19 LKA-Beamte namentlich identifiziert, die darin verwickelt gewesen seien.
Mit einem rechtlichen Hinweis fassen Gerichte den Stand des Prozesses zusammen und geben Hinweise auf den Ausgang des Urteils. Für Kadir P. könnten die Folgen nun milder ausfallen. Denn weil die Polizei den Mord nicht verhindert hat, sieht das Gericht einen Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens. An der Schuld der Angeklagten muss das nichts ändern. Aber ein Teil der Strafe könnte für vollstreckt erklärt werden.
Alexander Fröhlich