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Wir sind’s, die neuen Nachbarn. Marcel Weber (mit Brille) und Thomas Sielaff in ihrer neuen Lokalität, in der derzeit noch die Handwerker ackern.
© Mike Wolff

Von Kreuzberg nach Neukölln: Das Schwuz zieht in die Kindl-Fabrik

18 Jahre war das „Schwuz“ am Mehringdamm zu Hause. Nun zieht es in den Rollbergkiez. Am Samstag wird 25 Stunden Abschied gefeiert. Für die Einweihungsfeier nächste Woche in Neukölln muss im neuen Club aber noch gearbeitet werden.

„Und das hier, ist unsere Kathedrale.“ Mit einem raumgreifenden Armschwung betritt Marcel Weber die Halle. Viel Platz, große Bühne, hohe Wände, steinerne Tonnengewölbe: die größte Tanzfläche des „Schwuz“ in Neukölln. Insgesamt 1500 Quadratmeter, drei Tanzflächen, mehrere Bars, Licht und Soundtechnik, die von Schwuz-Geschäftsführer Weber das Attribut „zukunftsfähig“ erhalten: Bei der Baustellenführung wird Hingabe deutlich. „Kathedrale“, „Eiskeller“, „Flaschenbunker“ – für jeden Bereich des neuen Clubs haben sich Weber und Schwuz- Sprecher Thomas Sielaff Spitznamen ausgedacht. Es habe etwas gedauert, bis sie den Überblick hatten, erzählt Sielaff.

Kaum verwunderlich, zieht das Schwuz doch in die alte Kindl-Brauerei am Rollberg: Lagerhallenoptik und Industriecharme. Ein Teil davon soll integrieren werden, indem Säulen weiß gekachelt und Lüftungsanlagen offen sichtbar bleiben. Dazu Holz- oder Fliesenboden, violette und dunkelrote Wände, Graffiti-Deko und „Affenfelsen“: Gegenüber der Bar ein abgestufter Sitzbereich, Tanzfläche und Bühne im Blick. Die Hälfte des neuen Clubs sei aus Eigenmitteln finanziert, so Weber, „und wir investieren einen hohen sechsstelligen Betrag“.

Schlag Mitternacht wird am Sonntag der Stecker gezogen

Vor acht Jahren kam ihnen erstmals der Gedanke, Kreuzberg zu verlassen. Dort befindet sich der Club am Mehringdamm, im Bergmannkiez. Immer wieder haben sie Räume besichtigt und verworfen. Erst beim ehemaligen Cube Club hat es gefunkt. „Mit der Kindl-Brauerei konnten wir fast alle Punkte auf unserer Wunschliste abhaken“, sagt der 33-jährige Weber. Heute wird noch einmal gefeiert: 25 Stunden Abschiedsparty. Schlag Mitternacht wird der Stecker gezogen. „Wir wollen, dass es ein deutlicher Schlussstrich ist und die Party nicht ausplätschert“, sagt Sielaff. Und dann, stellt er klar, werden auch seine Tränen kullern.

Nebenan, im Archiv des Vereins, steht ein Dutzend Ordner voll Geschichte – selbst gemalte Plakate, verpixelte Flyer, bis zur Unkenntlichkeit kopiert. Die Wurzeln des Schwuz: Angestoßen durch Rosa von Praunheims Film „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“ und im Zuge der Schwulenbewegung gründete sich 1971 die „Homosexuelle Aktion West-Berlin (HAW)“. 1977 wurde das SchwulenZentrum (Schwuz) als dauerhafte Einrichtung in der Kulmer Straße in Schöneberg gegründet. Es ging um Politik: Demonstrationen für die Emanzipation von Homosexuellen wurden vorbereitet, das Stadtmagazin „Siegessäule“ wurde gegründet, der Christopher Street Day entwickelt. 1987 zog das Schwuz in die Hasenheide. In Radioaufnahmen von damals, erzählt Sielaff, höre man „Warum zieht das Schwuz weg? Das kann doch in Kreuzberg gar nicht funktionieren!“ – Einwände, die ihm heute vertraut klingen. In Kreuzberg wandelte sich das Zentrum zum kulturellen Treffpunkt. Filmabende, und Tanzveranstaltungen wurden organisiert. Nach der Wende ging es von der Hasenheide an den Mehringdamm, in die Nachbarschaft zum Schwulen Museum.

18 Jahre Mehringdamm – das Ende einer Ära, aber was für einer? „Vielleicht sind wir jetzt erwachsen, ziehen in die größere Wohnung“, meint Weber. Aber es ist doch bereits die vierte Wohnung? „Sind wir etwa in den Wechseljahren?“, sagt Sielaff und lacht. Weber: „Auf jeden Fall entwickeln wir uns weiter.

Sorgen, in Neukölln angefeindet zu werden?

In Kreuzberg war der Club eingebettet in eine gewachsene, „queere“ Umgebung. Wer die Anwohner im neuen Neuköllner Kiez zwischen Hermannstraße und Karl-Marx-Straße anspricht, hört Sätze wie „Ick hab nix gegen Schwule“ oder auch „Könnte Probleme geben“. Mit Nachbarschaftsinitiativen und der Polizei haben Sielaff und Weber bereits Kontakt. Sorgen sie sich also nicht, in Neukölln angefeindet zu werden? „So wie nicht jede Lesbe ein Junge sein will, ist nicht jeder Muslim ein Schwulenhasser“, sagt Weber. Wer nicht in Schubladen gesteckt werden will, darf selbst nicht so denken.

Überhaupt wird neben der Feierlaune am Rollberg auch die politische Seite des Schwuz wieder herausgekehrt. Für Februar sind bereits Veranstaltungen zum Thema Russland geplant. Bis dahin bleibt mit den Mottos „London calling“, „Popkicker“ und „Partysane“ vieles beim Alten, neu ist der „elektronische Donnerstag“. Zum Auftakt wird das Schwuz Neukölln nächste Woche betreten, wie es Kreuzberg heute verlässt: mit 25 Stunden Party.

Karoline Kuhla

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