zum Hauptinhalt

Berlin: Die Schnaps-Idee

Die Bar- und Clubszene diskutiert den Boykott russischen Wodkas – wegen der Unterdrückung Homosexueller.

An die hundert Flaschen dürften es sein, die in der „Perle-Bar“ in der Sredzkistraße hinter dem Tresen stehen. Seit kurzem sind es zwei weniger: Die Cocktailbar in Prenzlauer Berg hat ihre russischen Schnapssorten aus dem Sortiment genommen. Wer Wodka bestellt, bekommt hier nur noch Importe aus Finnland und Schweden serviert – und dazu die Erklärung, dass sich die Protestgeste gegen das „Verbot von Propaganda nichttraditioneller sexueller Beziehungen gegenüber Minderjährigen“ richtet, das im Juni die russische Staatsduma verabschiedet hat.

Mit dem Wodka-Boykott schwappt ein politischer Trend nach Berlin, der in den USA bereits kurz nach der Parlamentsentscheidung begonnen hat. Dort kippten nach einem Aufruf des homosexuellen Bloggers Dan Savage zahlreiche Schwulenclubs und -bars ihre Wodkabestände demonstrativ in den Rinnstein. Ähnlich publikumswirksame Aktionen hat es in Berlin bisher nicht gegeben, aber auch hier hat sich inzwischen eine Reihe von Lokalen dem Boykott angeschlossen: Im Berghain-Club etwa wurde die Marke „Moskovskaya“ demonstrativ mit Filzstift aus der Karte gestrichen, die Friedrichshainer Gay-Karaokebar „Monster Ronson’s“ und der Schöneberger Schwulenclub „Woof!“ haben per Facebook ihre Beteiligung am Boykott erklärt.

Holger Glienke, der in der Sredzkistraße neben der „Perle-Bar“ auch das „Café November“ betreibt, bietet in den beiden Lokalen mit gemischt homo- und heterosexuellem Publikum schon seit ein paar Wochen keinen russischen Wodka mehr an. Dabei mag er das Wort „Boykott“ eigentlich nicht. „Es geht mir nicht darum, konkrete Hersteller anzugreifen“, sagt er. „Ich möchte einfach zur Auseinandersetzung mit dem Thema anregen. Jede Nachfrage von Gästen, warum es bei uns keinen ‚Stolichnaya’ und ‚Russkij Standart’ mehr gibt, führt zum Gespräch über die Homophobie in Russland.“

Dass der Boykott eventuell die Falschen trifft, sei ihm dabei bewusst, sagt Glienke. Er spielt damit auf eine Auseinandersetzung an, die derzeit in schwulen Online-Diskussionsforen geführt wird: Sie dreht sich um die Frage, was einen Wodka „russisch“ macht. Die in Amerika und Deutschland am weitesten verbreiteten Marken „Stolichnaya“ und „Moskovskaya“ werden nicht in Russland, sondern im lettischen Riga produziert, von Val Mendeleev, einem exilrussischen Unternehmer, der sein Heimatland infolge eines erbitterten Markenrechtsstreits mit der Moskauer Regierung verlassen hat. Mendeleev, dessen Firma dem luxemburgischen Großkonzern SPI gehört, erklärte sich im Juli in einem offenen Brief solidarisch mit der Gay-Community – und wies darauf hin, dass „Stolichnaya“ seit Jahren als Sponsor schwuler Veranstaltungen aktiv ist.

Da der Rohalkohol, die Filtriertechnik und der Weizen für den in Riga produzierten Wodka jedoch nach wie vor aus Russland importiert werden, diskutiert die internationale Schwulengemeinde nun in immer neuen Verästelungen, ab wie vielen Quadratkilometern Getreideanbaufläche ein Wodka als „russisch“ zu gelten habe. Nicht leichter macht die Diskussion eine Warnung des lettischen Homosexuellenverbands „Mozaika“, der erklärte, ein Boykott der „Stolichnaya“-Marken treffe nicht nur wirtschaftlich das falsche Land, er könne zudem „zu negativen Konsequenzen für die extrem zerbrechliche Lesbian-, Gay-, Bi- and Transgender-Community in Lettland führen“.

Solche Gegenargumente haben das Kreuzberger Veranstaltungszentrum „Südblock“ dazu bewogen, den Boykott nicht zu unterstützen. „Wir engagieren uns auf andere Art, etwa durch politische Diskussionsabende zum Thema“, sagt Tülin Duman, eine der drei Südblock-Betreiberinnen. „Wenn es um Homosexuellenrechte geht, müsste man sehr viele Produkte boykottieren. Sich da eine Sache rauszupicken, finde ich sehr plakativ. Es wäre schön, wenn politische Veränderung so einfach zu bewirken wäre.“

Anders sieht das Marcel Weber, der Geschäftsführer des Kreuzberger Schwulenzentrums „Schwuz“. Die Frage nach einem Boykott stellt sich für ihn zwar nicht, da das „Schwuz“ keinen russischen Wodka im Sortiment hat. „Hätten wir welchen, würden wir ihn aber auf jeden Fall rausnehmen“, sagt Weber, der überzeugt ist, dass mit Konsumentscheidungen Zeichen zu setzen sind, die bei den richtigen Adressaten ankommen. „Es ist unser ureigenes Interesse als schwuler Club, solche Initiativen zu unterstützen.“

Auch die Kreuzberger Bar „Sofia“ und der „GMF“-Club in Mitte sympathisieren mit dem Boykott, haben aber keinen boykottfähigen Wodka im Angebot. Andere Läden, etwa die Kreuzberger Bar „Möbel Olfe“, reagieren abwartend, würden sich aber beteiligen, wenn homosexuelle Verbände zum Wodkaverzicht aufriefen. Dies plant der Berliner Lesben- und Schwulenverband nicht: Man setze eher darauf, Kontakte in Russland zu nutzen, um Veränderungen zu bewirken.

In der „Perle-Bar“ scheint das Konzept von Inhaber Holger Glienke jedenfalls aufzugehen: Am Tresen diskutieren drei Frauen über die Olympischen Spiele in Sotschi. „Nicht boykottieren, hinfahren“, sagt eine. Und schlägt als neue olympische Disziplin Wodkaflaschen-Weitwurf vor: „Wer Putin trifft, kriegt Gold.“

Am Montag, 20 Uhr, findet in der Philharmonie das Konzert „To Russia with Love“ statt: Zum 7. Jahrestag der Ermordung der Journalistin Anna Politkowskaja solidarisieren sich Künstler wie Daniel Barenboim, Gideon Kremer und Martha Argerich mit den politisch Verfolgten in Russland.

Jens Mühling

Zur Startseite