Sehnsucht nach Alt-Berlin: Das Nikolaiviertel kommt unter Denkmalschutz
Ein Kronjuwel der Plattenbaukunst: Touristen suchen hier die Idylle des alten Berlins, dabei ist es ein Produkt der 1980er Jahre.
Warum so und nicht anders? Warum diese ungewöhnliche Mischung aus wenigen Originalen, einigen Kopien und vielen eindeutig neuen Elementen, die sich ebenso deutlich ans Alte anlehnen und so tun als ob, was ihnen aber niemand glaubt? Warum also sieht das Nikolaiviertel so aus, wie es eben aussieht – ästhetischen Puristen ist es ein architektonisches Gräuel, den Touristen aber eine gern besuchte Sehenswürdigkeit, schließlich ist es neben dem benachbarten Areal, das einst die Halbstadt Cölln aufnahm, das älteste Siedlungsgebiet Berlins.
Günter Stahn, Chefarchitekt des zur Berliner 750-Jahr-Feier 1987 wiederaufgebauten Viertels zwischen Spreeufer, Rathausstraße, Spandauer Straße und Mühlendamm, erklärte sich seinen Erfolg im damaligen Ost-Berliner Architektenwettbewerb mit insgesamt 26 Teilnehmern so: Er habe sich auch dadurch durchgesetzt, dass es ihm nicht auf die strikte Rekonstruktion mittelalterlicher Vorlagen ankam. Hier müsse ein Mittelweg gefunden werden zwischen zeitgemäßem Wohnen in der Innenstadt und teilweisem Nachzeichnen alter Strukturen.
Ein Hybrid aus Alt und Neu
Eine Mischform also, ein Hybrid aus Alt und Neu – und nach allem, was man derzeit hört, mittlerweile denkmalwürdig. Bereits Anfang 2016 hat die BVV Mitte das Landesdenkmalamt aufgefordert, das Nikolaiviertel in die Denkmalliste einzutragen. Zwei Jahre später ist der Vorgang weit vorangeschritten: Das Landesdenkmalamt habe den Denkmalwert des Viertels überprüft, die Eintragung in die Liste werde „nach Vorliegen der dafür notwendigen Voraussetzungen in absehbarer Zeit erfolgen“ – so steht es jetzt jedenfalls in der Antwort vom Senat, die der CDU-Abgeordnete und frühere Innensenator Frank Henkel auf seine Anfrage erhielt.
Das hört sich eher nach Formalien an, die noch abzuarbeiten sind, als dass der künftige Schutz als Flächendenkmal noch ernsthaft in Frage stünde. Auch Nachfragen in der für Denkmalschutz zuständigen Kulturbehörde ergeben nichts Gegenteiliges: Die Eintragung in die Denkmalliste sei in Bearbeitung, der Denkmalwert müsse begründet und ein amtsinternes Mitzeichnungsverfahren durchlaufen werden. Auf die Frage, worin der Denkmalwert denn bestehe, wird nur lapidar geantwortet, das werde im laufenden Verfahren ermittelt, aber man kann sich eine konkretere Antwort auch selbst ausmalen.
Das Nikolaiviertel gilt nun mal als ein Kronjuwel der realsozialistischen Plattenbaukunst, ein in Beton gegossenes Denkmal seiner Zeit, als auch in Ost-Berlin der Respekt vor der alten Architektur, dem historischen Stadtbild wieder wuchs. Vorbei die Haltung der späten fünfziger Jahre, als an die Ausbaggerung des Viertels gedacht worden war, um ein Hafenbecken für Ausflugsschiffe zu schaffen. Nun war man stolz auf das Projekt, lud im April 1987 sogar West-Medien wie den Tagesspiegel zur Baustellenbesichtigung.
Die Touristen schätzen die altertümliche Idylle
„Außer den Außenmauern von St. Nikolai standen dort noch fünf ganze Häuser, mehr nicht“, erinnerte Architekt Stahn sich später. Dazu gehörte etwa das Knoblauchhaus, heute genutzt vom Stadtmuseum. Das 1935 abgebrochene Ephraim-Palais konnte immerhin mit Originalteilen, die in West-Berlin lagerten und gegen andere Kulturgüter ausgetauscht wurden, an neuer Stelle wiedererrichtet werden.
Andere „Altbauten“ wie die Gerichtslaube und das Gasthaus „Zum Nußbaum“, einst Stammkneipe Heinrich Zilles, entstanden als Kopien, denen sich die mit deutlichem Kunstwollen errichteten Plattenbauten in historisierender Manier hinzugesellten. Etwa 800 Wohnungen sind so entstanden. Viele Ladengeschäfte, oft untergebracht unter Arkaden, was dem Viertel den Charakter einer altertümelnden Idylle gibt, den Touristen offenkundig schätzen.
Um die Arkaden hatte es in der jüngeren Vergangenheit einige Unruhe gegeben, da man in der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte (WBM) damit liebäugelte, sie zu schließen, um so die Verkaufsfläche zu steigern. Im Verein Nikolaiviertel sieht man das ausgesprochen kritisch, seien die Arkaden doch gerade das Charakteristische des Viertels, wie die Vorsitzende Martina Sprockhoff sagt.
Aktuell würden diese Pläne nicht verfolgt, heißt es bei der WBM. Man setze auf Bürgerbeteiligung, wolle erst einmal einen Meinungsspiegel erstellen.
Auch in Zukunft müsse man die Schwächen bearbeiten können
Doch selbstverständlich wären solche Pläne vom künftigen Denkmalschutz berührt, ja verhindert. Auch bastelt man im Bezirk parallel seit zwei Jahren an einer Erhaltungssatzung fürs Nikolaiviertel und ist damit schon weit gediehen. Solch ein städtebauliches Instrument und der Denkmalschutz, der auch die historische Substanz schütze, ergänzten sich hervorragend, hieß es in der Senatskulturverwaltung. Während der Verein Berliner Historische Mitte vorsorglich mahnte, solch eine Erhaltungssatzung doch bitte nicht zu rigide zu formulieren. Auch in Zukunft müsse es möglich sein, „die Schwächen (teilweise monotone Betonbauten) durch kleinteilige, geeignete Entwicklungsmaßnahmen zu bearbeiten“.
Andreas Conrad