Berlins historische Mitte: Das Neue Museum feiert 10. Geburtstag
Glanzvoll in der Kaiserzeit, verfallen nach dem Krieg, vom Star-Architekten David Chipperfield gerettet: Im Oktober 2009 wurde das Neue Museum neu eröffnet.
In der Besucherbilanz hatte das Neue Museum im vergangenen Jahr einen Rückgang zu verzeichnen. Um 7000 Besucher! Gekommen sind allerdings 770.000, womit sich das Neue Museum mit dem benachbarten Pergamonmuseum weiterhin ein Kopf-an-Kopf-Rennen liefert, auch wenn sich diesmal die Reihenfolge umgekehrt hat.
Wer vor zehn Jahren prophezeit hätte, dass das Neue Museum auf Dauer an der Spitze der Publikumsgunst liegen würde, übertroffen allenfalls vom Nachbarmuseum, hätte zumindest in skeptische Gesichter geblickt. Denn die Sammlungen des Hauses sind durchaus unterschiedlich, sie decken von Kunstschätzen aus den Provinzen des Römischen Reiches über die ägyptische Pharaonengattin Nofretete bis zu Funden aus der Bronzezeit oder gar zurück zum Neandertaler das weite Spektrum von Ausgrabungen, von Archäologie bis zu unseren Ursprüngen ab. Und sie erschließen sich nicht mit einem schnellen Rundgang, sondern sind auf drei Etagen und zwei Flügel verteilt, die beiden Höfe nicht mitgezählt.
Die Sammlungen zählen zu den besten ihrer Art, keine Frage. Aber die anhaltende Beliebtheit des Neuen Museums hat nicht nur damit zu tun, hängt nicht allein an der Nofretete, die im Mittelpunkt eines eigenen Raumes wahrlich thront. Sie liegt auch und zu einem guten Teil am Gebäude selbst. Es ist ein Unikum und hat weltweit nicht seinesgleichen.
Das Gebäude spiegelt deutsche und Berliner Geschichte
Was am 16. Oktober 2009 seine Pforten öffnete, ist ein Wunder: Ein altes Gebäude, 1855 eingeweiht, und zugleich so neu wie sein Wiedereröffnungsdatum, großartig in der Kaiserzeit, sorgenüberschattet in der Weimarer Republik, katastrophal durch den Krieg, den das NS-Regime angezettelt hatte, und fast hoffnungslos in den Jahrzehnten danach. Alle diese Etappen der deutschen und Berliner Geschichte sind ablesbar. Das Wunder des Neuen Museums ist die Harmonie seiner Bauteile bei gleichzeitig größten Widersprüchen.
Das fertige Haus des Jahres 2009 steht am Ende eines langen Weges. Die stark kriegsbeschädigte Ruine, das einzige zu DDR-Zeiten nicht wiederaufgebaute Haus der Museumsinsel, in dessen markanter Treppenhalle sogar Bäume wuchsen, sollte schließlich doch aus dem Verfall gerissen werden. 1985 begannen erste Sicherungsarbeiten, 1989, kurz vor dem Fall der Mauer, wurde der Grundstein gelegt – was nur Monate später obsolet war, weil die Vereinigung der Staatlichen Museen anstand und eine neue, Gesamt-Berliner Konzeption für die Museumsinsel zu erarbeiten war. Doch der Wiederaufbau des Gebäudes stand nie in Frage. Das Wie wurde jahrelang beraten.
Chipperfield ließ sich auf die Diskussionen ein
1993 gab es einen Architekturwettbewerb mit hervorragenden Ergebnissen, die freilich kontrovers diskutiert wurden – in der Öffentlichkeit, vor allem aber unter den Museumsleuten selbst. Erst nach mancherlei Streitgesprächen kristallisierte sich der anfangs zweitplatzierte Entwurf des Engländers David Chipperfield als der zukunftsträchtigste heraus, als derjenige, der Denkmalpflege und Museumsbetrieb zu vereinen vermochte.
Chipperfield, damals Anfang 40, erhielt 1997 den Auftrag. Er ließ sich auf den Diskussionsprozess ein, auf die Beteiligung so vieler, die teils für die Konkretisierung der Pläne unverzichtbar waren, teils auch nur sich selbst für unverzichtbar hielten. Aber es waren auch nicht einfach nur Diskussionen, sondern die Beteiligten lernten das Gebäude Raum für Raum, Stein für Stein kennen, fanden Lösungen, die der Architekt wunderbar zu einem Ganzen zusammenführte.
Die Grundentscheidung lautete, das Gebäude nicht originalgetreu herzurichten, wie es mit der Restaurierung der Alten Nationalgalerie gelang. Aus Sicht der Denkmalpflege entwickelte sich das Bauwerk so zu einer Musterkollektion ihrer Möglichkeiten. „Rekonstruktion, Konservierung, Restaurierung, Renovierung und Reparatur“, so hat es Chipperfield erläutert, „alle diese Verfahren stehen zur Verfügung, jedoch ist keines für sich genommen moralisch überlegen.“
Und es war nicht Denkmalpflege allein. Ein ganzer Flügel – im Norden, zum Pergamonmuseum hin – war zerstört und unrettbar verloren. Hier war der Architekt gefordert, seinen Neubau in ein Verhältnis zum Alten zu bringen, wobei das Alte selbst größtenteils neu zu schaffen war. Wer die Ruine kennt, erinnert sich der fehlenden Decken im Südflügel, der fragilen Säulen, des beklagenswerten Zustandes der einst opulent dekorierten Säle.
Die verlorenen Fresken wurden bewusst nicht ersetzt
Das alles kam zurück – aber eben doch nicht. Nicht als Illusion, als Kulisse. Sondern als behutsame Hilfestellung, damit das Alte wieder in Gebrauch genommen werden konnte. Das gewaltige Treppenhaus liefert den Schlüssel zum Verständnis. Es folgt in seiner Anlage dem Vorbild von Friedrich August Stüler, der das Gebäude im Auftrag Friedrich Wilhelms IV. erbaute – eine mittlere Treppe ins erste Obergeschoss, von dort zwei außenliegende, gegenläufige Treppen ein Stockwerk höher. Dem Aufsteigenden fällt das Licht aus den hohen Fenstern entgegen.
Aber die Wände, die bis zur Kriegszerstörung mit erzählenden Fresken bedeckt waren, sind kahl. Mauerwerk, Ziegel, das preiswerte Material, aus dem Berlin erbaut wurde. Die Nacktheit ist akzentuiert durch die makellose Ausführung der Treppe mit ihren massiven Geländern und raffinierten Handläufen. Nicht Armut hat diesen Zustand diktiert, sondern die bewusste Entscheidung, die verlorenen Fresken eben nicht zu ersetzen.
Um so überraschender, dass in einzelnen Sälen des Südflügels die ursprüngliche Dekoration nahezu vollständig erhalten werden konnte. Vielfältige Materialien und Techniken gibt es da; gusseiserne Säulen und Deckenstreben, runde Deckenziegel im zweiten Obergeschoss, in einem Saal das schwere Holz der originalen Vitrinen.
Und Chipperfields Wände wiederum aus Ziegeln, helleren als im Treppenhaus. Was Mauerwerk vermag, wird im südlichen Kuppelsaal zum Erlebnis, wo sich die Wände des quadratischen Raumes nach oben zu einer Kuppel runden, die der römischen Monumentalskulptur des Sonnengottes Helios einen festlichen Rahmen gibt.
Was das gekostet hat? Die Antwort ist verblüffend
Im neuerrichteten Nordflügel herrscht Beton, veredelt durch Marmorsplitter und zu einzelnen Bauteilen geformt. Der einstige Ägyptische Hof ist hier auf das Niveau des Stockwerks gehoben, eine Art offener Schatzkammer für ägyptische Skulpturen. Die Nofretete dann in einem zurückhaltend restaurierten Ecksaal, durch die lange Raumflucht zum römischen Helios weisend.
In der Westfassade zum Kupfergraben hin kehrt der Gegensatz zwischen alten und neugeschaffenen Partien wieder. Viel Kritik ist an der Entscheidung geäußert worden, die erhalten gebliebenen Putzflecken wie Inseln auf dem Mauerwerk stehen zu lassen. Übersehen wurde anfangs, dass die Fenstergewände aus Sandstein wiederhergestellt wurden, vor allem aber das schwer beschädigte Apollo-Relief im flach-dreieckigen Giebelfeld.
Inzwischen nimmt ein genuin Chipperfield’scher Bau, die James-Simon-Galerie, weitgehend die Sicht auf die Fassade, die nie als Schauseite des zum Inneren der Insel orientierten Museums gedacht war. Die Kritik ist ohnehin verstummt, angesichts der eigenen Schönheit des Gebäudes.
Was das nun wieder gekostet hat, fragen sich manche Besucher. Die Antwort ist verblüffend: Von den vom Bundestag bewilligten 233 Millionen Euro wurden nur wenig mehr als 200 ausgegeben. Das Neue Museum ist eben in jeder Hinsicht ein Wunder.
Anlässlich des Jubiläums zeigt das Neue Museum vom 10. Oktober bis 26. Januar eine Installation im Hof, außerdem informieren „Schatzkarten“ zu 160 Exponaten. In der Treppenhalle stehen Virtual-Reality-Brillen zur Verfügung, mit denen Besucher den Zustand des Raums um 1920 sehen können.