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Bronzeschmuck in Widderkopf-Form, Bronze, Marzahn, um 100 v. Chr.
© Staatliche Museen zu Berlin, Museum für Vor- und Frühgeschichte / Cl. Klein

Wo Berlin 10.000 Jahre alt ist: Neues Museum zeigt Funde von riesiger Grabung in Biesdorf

15 Jahre lang haben Archäologen das Neubaugebiet Biesdorf untersuchen. Auf der Museumsinsel zeigen sie jetzt Funde, deren Spuren bis in die Steinzeit reichen.

Landesarchäologen werden meist gerufen, wenn auf Großbaustellen plötzlich urzeitliche Funde zutage gefördert werden. Dann muss es schnell gehen, damit der Baustopp überschaubar bleibt. In Berlin-Biesdorf aber erfüllte sich – weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit – ein Archäologen-Traum: 15 Jahre lang konnte ein Team um den Berliner Landesarchäologen Matthias Wemhoff ungestört ein Areal von 22 Hektar ausgraben. Von 1999 bis 2014 erschlossen Forschende und Studierende das Neubaugebiet Biesdorf-Süd.

Die Ergebnisse werden nun in der Ausstellung „Berlins größte Grabung. Forschungsareal Biesdorf“ im Neuen Museum (Neues Museum, 2. Oktober 2019 bis 19. April 2020) gezeigt.

Wer solch eine große Grabung startet, schaut zuerst in die Archive. Hat es schon Funde in diesem Gebiet gegeben? Was lagern bereits in den Depots? Dass das Tal des Flüsschens Wuhle interessant werden könnte, legten schon die fruchtbaren Böden nahe. Dann werden Luftaufnahmen gemacht und das Gelände geomagnetisch untersucht.

Tatsächlich förderten Wemhoffs Recherchen etliche „Altfunde“ zutage, er zeigt sie in der „Prolog“-Vitrine der Ausstellung, darunter ein glattes Steinbeil aus der Steinzeit und ein Hortfund aus Armreifen und Bruchteilen von Beilen aus der Bronzezeit. Bedeutend sind auch ein kleiner Widderkopf aus Bronze, wahrscheinlich keltisch von 100 vor Christus und eine römische Goldmünze mit dem Porträt von Kaiser Caracalla von 215 n. Chr.

Das breite Spektrum dieser Zufallsfunde in den Archiven der Berliner Museen legte nahe, in Biesdorf genauer hinzuschauen. An der Ausstellung beteiligt sind das Museum für Vor- und Frühgeschichte der Staatlichen Museen zu Berlin, das Stadtmuseum Berlin, das Museumsdorf Düppel und die Freie Universität.

Erste Geländebegehungen hätten die Hoffnungen bestätigt, erzählt Wemhoff, der auch Direktor des Museums für Vor- und Frühgeschichte ist. Neu entdeckt wurden etwa ein kleiner römischer Bronzemörser, Knöpfe und ein römisches Glockenfragment. Natürlich waren die Römer nicht in Biesdorf. Aber doch Bewohner, die in der einen oder anderen Form Kontakt zum Römischen Reich hatten, sei es als Soldat, Händler oder Räuber.

Warum gab es Brunnen direkt neben dem Fluss?

Heute weiß man, dass es zwei Konzentrationen von Siedlungen in Biesdorf gab – und mehr als 120 Brunnen, um Mensch und Tier mit gutem Wasser zu versorgen. Außerdem kann man in der Nähe der Wuhle einen Trichter definieren, durch den das Vieh zur Wuhle getrieben wurde. „Wir haben in diesem Trichter viele Spuren von Kuhdung gefunden“, sagt Kuratorin Anne Sklebitz vom Museum für Vor- und Frühgeschichte. Und trotz der nahen Wuhle so viele Brunnen? „Die Wuhle muss wegen des Viehtriebs ziemlich dreckig gewesen sein, daher der verstärkte Brunnenbau“, erklärt Matthias Wemhoff.

Die Brunnen wurden in quadratischer Kastenform gebaut, die Planken mit Beilen aus Baumstämmen zugehauen. Mit Unterstützung des Museumsdorfes Düppel wurde solch ein Kastenbrunnen nachgebaut, in den am 6. Oktober noch ein Korbgeflecht eingesetzt wird, das den Brunnenschacht vor groben Verschmutzungen schützen sollte.

Mehr als 120 Brunnen wurden in Biesdorf nachgewiesen. Ein sogenannter Kastenbrunnen wurde für die Ausstellung nachgebaut.
Mehr als 120 Brunnen wurden in Biesdorf nachgewiesen. Ein sogenannter Kastenbrunnen wurde für die Ausstellung nachgebaut.
© ABA Schirmer & Bräunig GbR

Bereits für die Steinzeit können durch Pollenprofile Nutzpflanzen nachgewiesen werden. Einzelne Gehöfte stammen aus der Bronze- und der Eisenzeit. Selbst wenn die einzelnen Siedlungsplätze im Laufe der Jahrhunderte verlegt wurden: Die Region war knapp 10.000 Jahre lang konstant besiedelt. Die bewegten Weltläufte in diesem langen Zeitraum macht die Ausstellung nun erfahrbar: Viele germanische Funde aus der Zeit um Christi Geburt zeugen von verstärkten Siedlungsaktivitäten. In diese Epoche fallen auch die römischen Funde. Mit der Völkerwanderung bricht diese Entwicklung vorübergehend ab: Die Germanen sind verschwunden – und nach einer Zeit folgen dann die Slawen.

Studierende zeigen, wie Archäologen arbeiten

Wie sich das Leben in der Region abgespielt hat, haben Jugendliche der „Manege“, einem Projekt des Don Bosco-Heimes in einem eigens dafür entwickelten Brettspiel nachempfunden. So lernen die jungen Hobbyforscher auch die Holz- und Metallarbeiten der vergangenen Epochen näher kennen. Besucher können so den Alltag in Ur-Biesdorf spielerisch nachempfinden.

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Wie Archäologen mit Funden umgehen, werden FU-Studierende zweimal pro Woche live an einem Tisch vorführen. „Sie machen die Arbeit, die sie sonst im Institut verrichten würden“, sagt Kuratorin Sklebitz. Aus einem Urnengrabfeld in Brandenburg wird die sogenannte Blockbergung vorgeführt: Die Urne wurde mit dem sie umgebenen Erdreich grob ausgegraben, die Studierenden werden sie nun am Tisch fein säuberlich freilegen. Das ist keine Simulation, sondern echte „Feldarbeit“.

Denn Wemhoff geht es nicht nur um die Ausstellung schöner und bedeutender Objekte, sondern auch um die Vermittlung der Inhalte. So können Besucher auch das Prunkstück der Ausstellung in einer modernen Kopie praktisch erproben. Ein rund 10.000 Jahre altes Hirschgeweih wurde 1953 bei Schachtarbeiten in der Heesestraße gefunden und lagerte seitdem im Stadtmuseum.

Hirschmaske, Geweih / Knochen, Biesdorf, 9000–8000 v. Chr. Wahrscheinlich diente diese Maske kultischen Zwecken.
Hirschmaske, Geweih / Knochen, Biesdorf, 9000–8000 v. Chr. Wahrscheinlich diente diese Maske kultischen Zwecken.
© Staatliche Museen zu Berlin, Museum für Vor- und Frühgeschichte / Cl. Klein

Auf den ersten Blick ist es nur ein Geweih, doch auf den zweiten Blick erkennt man, dass unsere Vorfahren es in mühevoller Kleinarbeit gespalten haben. Warum? Wahrscheinlich diente dieses Geweih kultischen Zwecken und wurde als Maske auf dem Kopf getragen. Durch die Bearbeitung wurde das Gewicht halbiert und so konnte man es mit Bändern am Kopf befestigen.

An den Flussläufen könnten noch viele Schätze liegen

Matthias Wemhoff hofft, dass die Langzeit-Flächengrabung in Biesdorf der Beginn einer neuen Ära der Landesarchäologie ist. „Wir müssen in Zukunft noch viel genauer die Flussläufe an den Rändern von Berlin untersuchen und uns nicht immer nur auf die Mitte konzentrieren.“ Das alte archäologische Bild von Berlin, das durch die Ödnis der Völkerwanderungszeit geprägt ist, müsse revidiert werden. „Wir zeigen durch diese Grabung, dass davor eine lange Zeit von Besiedlung existierte“, sagt Wemhoff.

Dies angesichts des zunehmenden Siedlungsdrucks der wachsenden Metropole zu erforschen, sei eine Herausforderung für die Bodendenkmalpflege – und eine große Chance auf weitere bedeutende Funde.

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