Eine neue Lehrerin erzählt: "Das Klischee über Berliner Schüler stimmt nicht"
Jahr für Jahr fangen tausende neue Lehrer in Berlin an. Im Sommer machte sich Hannah Haider aus Österreich auf den Weg. Ihre Bilanz? Hier ist sie.
Erst fünf Monate ist das jetzt her. Da war Hannah Haider gerade aus Linz gekommen und saß in der neuen Wohnung zwischen Koffern und Kisten, um in Kreuzberg Klassenlehrerin zu werden.
Und wie lief’s nun?
Die 23-Jährige kann nicht klagen. "Tolle Eltern, tolle Kinder", lautet die erste Bilanz, und sie muss lachen, dass man sie in ihrer Heimat wegen ihrer Berlin-Pläne als "Masochistin" bezeichnet hatte. Inzwischen weiß sie: "Das Klischee über die Berliner Schüler stimmt nicht." Jedenfalls nicht an ihrer Schule.
An der Carl-von-Ossietzky-Schule in Kreuzberg ist die Grundschullehrerin gelandet, als sie im Sommer nach Berlin kam: In ihrer Heimat Oberösterreich standen damals rund 850 Lehrer auf der Warteliste für ihren beruflichen Einstieg. Haider hätte dort erst mal nur als Horterzieherin arbeiten können, aber das wollte sie nicht – jedenfalls nicht mehr, nachdem sie Berlins Lockruf gehört hatte.
Berlin warb in Österreich um Lehrkräfte
Dieser Lockruf kam über eine Anzeigenkampagne daher mit Sprüchen wie "Kein Schmarrn. Mit 4450 Euro starten." oder auch: "Trend statt Tracht". Da war sie dann mit ihrem Freund zum "Berlintag" im Ludwig-Erhard-Haus gefahren, auf dem Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) um neue Lehrer warb. Und dort traf sie auf die künftigen Kolleginnen der Ossietzky-Gemeinschaftsschule, die dringend Pädagoginnen für ihre im Aufbau befindliche Grundschule suchten.
"Der Unterschied besteht nicht zwischen Kindern aus Österreich oder Deutschland, sondern zwischen Kindern aus der Stadt und vom Land", hat die junge Pädagogin inzwischen herausgefunden: Die Erstklässler aus dem Bergmannkiez sind also gar nicht so viel anders als die Kinder in Linz, mit denen sie während ihrer Praxistage im Studium zu tun hatte.
Und gibt es denn gar keine Probleme mit dem österreichischen Dialekt? Eigentlich nicht. Manchmal bringt sie ihre Klasse allerdings zum Lachen – etwa wenn sie "Sessel" sagt, obwohl sie "Stuhl" meint, denn in Österreich trägt das schnöde Holzmöbel die Bezeichnung "Sessel". Da kann es dann schon mal passieren, dass sie ihre Schüler zum "Sesselkreis" einlädt.
Und manchmal sagt sie noch "Mathematik" mit der österreichischen Betonung auf dem zweiten "a". "Das ist lustig, meine Schüler weisen mich dann darauf hin", erzählt die Neuberlinerin, die nicht nur Klassenlehrerin ist, sondern auch Sportkoordinatorin an der neuen Grundschule.
Österreichische Redensarten sorgen bei ihren Schülern oft für Heiterkeit
Und dann gibt es noch eine Redewendung, die regelmäßig für Heiterkeit sorgt: In Österreich sagt man gern und oft: "Es geht sich nicht aus." Gemeint ist damit, dass man etwas nicht schafft oder etwas nicht passt. Das rutscht ihr noch manchmal raus.
Und was ist mit dem "Beistrich", dem österreichischen Wort für "Komma"? Kein Problem bislang: In der ersten Klasse spielt die Kommasetzung noch keine Rolle. Also hat sie noch ziemlich viel Zeit, sich den "Beistrich" abzugewöhnen. Mehr Unterschiede als bei der Sprache oder beim Verhalten der Kinder sieht Haider allerdings in den Unterrichtsformen: "Hier wird freier an individuellen Aufgaben gearbeitet und weniger frontal im Klassenverband unterrichtet", hat sie festgestellt. Das mache auch Sinn, weil die Kinder mit sehr unterschiedlichem Vorwissen in die Schule kämen. In Österreich seien die Unterschiede geringer, was daran liegen könne, dass alle Kinder vor der Einschulung mindestens ein Jahr lang die Kita besucht haben müssen; wer dann noch immer nicht schulreif ist, muss ein Vorschuljahr absolvieren. Positiv fällt ihr auf, dass die Lehrer an der Ossietzky-Schule sehr stark zusammenarbeiten: "Das Teamteaching läuft super gut" begeistert sich Haider; in Österreich seien die Lehrer eher "Einzelkämpfer".
"Ich kann jedem empfehlen, hier zu unterrichten, allerdings muss man sich bewusst sein, dass es mit großem Aufwand verbunden ist", lautet ihre Botschaft Richtung Heimat: In Berlin müssen die österreichischen Lehrer zunächst einen sogenannten Anpassungslehrgang – eine Art Referendariat – absolvieren, denn die österreichische Lehrerausbildung war bis vor Kurzem viel kürzer als die deutsche. Für Hannah Haider bedeutet dies, dass sie 19 Stunden unterrichtet und neun Stunden Seminare besucht, die in Rudow stattfinden – eine ziemliche Fahrerei. Außerdem muss sie Lehrproben ablegen: Dann sitzen in ihrer Klasse Schulräte und Seminarleiter, die ihren Unterricht beurteilen. Bislang hat das aber so gut geklappt, dass sie beantragt hat, den Lehrgang von 18 auf sechs Monate zu verkürzen, "um sich endlich voll auf die Klassenleitung zu konzentrieren".
In Berlin verdienen Lehrer deutlich mehr als in Österreich
Gut möglich, dass auch zum nächsten Schuljahr wieder ein paar Dutzend Österreicher nach Berlin kommen werden, um den Lehrermangel zu dämpfen: Das deutsche Monatsbrutto liegt rund 2000 Euro über dem Verdienst in der Alpenrepulik. Zwar winkt in Berlin keine Verbeamtung, aber die gibt es in Österreich ohnehin nicht für Lehrer.
Auf jeden Fall wird der Berliner Bedarf sobald nicht schrumpfen: Zum Sommer sind abermals rund 2250 Stellen zu besetzen; nur ein Bruchteil ist aus eigenen Nachwuchskräften zu rekrutieren. Für die Europaschulen soll womöglich erstmals sogar in England geworben werden. So zieht Berlins Lehrersuche immer weitere Kreise: Während früher die Suche von Bezirk zu Bezirk ablief und dann vor knapp zehn Jahren auf andere Bundesländer und später auf Quereinsteiger ausgeweitet wurde, muss jetzt das Ausland helfen. Die Erfahrung zeigt allerdings bisher, dass hier nicht viel zu holen ist: Hannah Haider ist bislang nicht die Regel, sondern die Ausnahme – was ihr allerdings nichts ausmacht: Sie möchte noch eine ganze Weile in Berlin bleiben. Aber erst mal wird gefeiert: Auf der Silvestermeile am Brandenburger Tor – bis dahin ist sie mit ihrem Freund vom Weihnachtsbesuch bei ihren Familien in Linz zurück.
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