Meinung: Die vermeintliche Bildungsrepublik ist gespalten
Gesellschaftliche Fliehkäfte nehmen zu. Wir brauchen eine neue Bildungsstrategie. Ein Gastbeitrag von Elke Hannack und Matthias Anbuhl, DGB
Die westlichen Demokratien stehen unter Spannung. In den Vereinigten Staaten, in Europa und damit auch in Deutschland verzeichnen autoritäre, nationalistische Rechtspopulisten deutlichen Zulauf bei den Wahlen. Die rechten Parteien werden bei Weitem nicht nur von Menschen mit niedrigen Bildungsabschlüssen und Arbeitslosen gewählt. Auch Facharbeiter mit mittlerem Bildungsabschluss und Bessersituierte votieren oft rechtspopulistisch.
Die Wähler indes scheinen von den Programmen dieser Parteien nicht sonderlich überzeugt. Das zeigen Analysen. Das Gros dieser Menschen erhofft sich von den Rechtspopulisten keine Lösungen ihrer Probleme – und wählt sie trotzdem. Der radikale Wandel wird zum Selbstzweck, das Ziel ist zweitrangig. Diese Entwicklungen sind Anzeichen einer ernsten Krise politischer Repräsentanz.
Wer eine offene Gesellschaft verteidigen will, muss die sozialen Sorgen vieler Menschen aufgreifen: Die Ängste der alleinerziehenden Altenpflegerin, die wenig Geld verdient und sich vor Altersarmut fürchtet, müssen stärker ein Thema werden. Das gilt auch für die mangelnden Perspektiven des jungen Hauptschülers, der zahllose Bewerbungen schreibt und trotzdem keinen Ausbildungsplatz findet. Die prekäre Lage der Menschen, die im Niedriglohnsektor arbeiten, und die Sorge der Facharbeiter vor sozialem Abstieg gehören auf die Tagesordnung.
Die Unterschicht geht nicht in die Oper, sondern ins Helene-Fischer-Konzert
Der Aufstieg des Rechtspopulismus lässt sich mit dem Erleben von Abwertungen erklären. Nach den US-Wahlen schrieb die „Zeit“ zugespitzt: „Lange Jahre haben die liberalen Eliten die da unten verachtet. Jetzt wählen diese Menschen Rassisten und der Schrecken ist groß.“ Solche Abwertungen gibt es auch in der deutschen Gesellschaft. Die Unterschicht gehe nicht in die Oper, sondern allenfalls in ein Helene-Fischer-Konzert. Sie esse nicht Bio, sondern Fast Food. Diese Menschen seien an ihrem Schicksal selbst schuld, so gängige Denkmuster.
Diese Konflikte zeigen sich konkret in unserem Bildungswesen. Deutschland sei auf dem Weg in eine neue Klassengesellschaft, hieß es schon 2008 in der Studie „Eltern unter Druck“ der Adenauer-Stiftung. Mit dem Eintritt in das Bildungssystem höre die Toleranz vieler Eltern auf. „Bereits die breite Mittelschicht grenzt sich massiv nach unten ab. Man könnte hier beinahe von einer Art Kontaktsperre sprechen“, schreiben die Autoren.
Die Folge: Unterschiedliche Milieus sprechen mehr über- als miteinander. Diese Tendenzen bergen sozialen Sprengstoff. Dabei zählen Bildungseinrichtungen zu den wenigen Orten, an denen sich die verschiedenen Schichten unserer Gesellschaft begegnen können.
Wenn das Bildungswesen bei Pisa & Co. vermessen wird, richtet sich der Blick auf die Abschlüsse und Kompetenzen. Das ist richtig, sind doch diese Faktoren entscheidend für die Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Wer aber unser Bildungssystem bewerten will, muss zudem beachten, ob es Zusammenhalt fördert oder ob es nicht systematisch Lebenswelten trennt. Ein gegliedertes Schulwesen, das die soziale Auslese verschärft, kann wohl kaum die richtige Antwort sein.
Auch wenn es in Deutschland einen Trend zu höheren Bildungsabschlüssen gibt – viele Menschen bleiben von dieser Entwicklung ausgeschlossen. Die Zahl der Jugendlichen ohne Schul- und Berufsabschluss ist bedrückend hoch. Bei der Weiterbildung und im Studium bleibt ein tiefer Graben zwischen Gewinnern und Verlierern. Die vermeintliche Bildungsrepublik ist ein sozial gespaltenes Land. Deshalb brauchen wir eine neue gesellschaftliche Bildungsstrategie.
Es gilt, die progressiven Kräfte zu bündeln
Der Ausbau der Kitaplätze in Deutschland ist stark vorangekommen. Wir müssen nun auch die Qualität verbessern. Wichtig sind bundesweite Standards für die frühkindliche Bildung. Dazu zählen der Personalschlüssel, die Aus- und Weiterbildung der Erzieherinnen und Erzieher sowie die Zeit für Vor- und Nachbereitung. Diese Standards sind in einem Kita-Qualitätsgesetz festzuschreiben.
Ebenso wichtig ist ein Rechtsanspruch auf einen Ganztagsschulplatz. Damit diese Schulen ihr volles Potenzial entfalten können, müssen sie mit einem guten pädagogischen Konzept verknüpft sein. Dafür brauchen wir mehr Sozialarbeiter und Psychologen an unseren Schulen. Marode Schulbauten müssen endlich saniert werden. Auch an den Berufsschulen mangelt es oft an technischer Ausstattung und an Lehrkräften. Bund und Länder sollten daher einen Berufsschulpakt schmieden und hier mehr investieren.
Mehr noch: Rund 270.000 Jugendliche stecken in den vielen Maßnahmen im Übergang von der Schule in die Ausbildung. Sie haben oft keine Aussicht auf einen Berufsabschluss. Betriebe müssen verstärkt Hauptschülern wieder eine Chance auf Ausbildung geben. Die Gewerkschaften haben durchgesetzt, dass es mehr Unterstützung für die Unternehmen bei der Ausbildung gibt. Diese Hilfen müssen die Betriebe nun nutzen.
Auf dem Tisch liegen viele Ideen für eine Bildungsstrategie. Darüber sprechen nicht nur Gewerkschaften, sondern auch Parteien und viele andere Organisationen. Diese progressiven Kräfte gilt es zu bündeln. Sollte dieser neue Anlauf in Richtung „Bildungsrepublik“ nicht gelingen, drohen die Fliehkräfte in der Gesellschaft weiter zuzunehmen – mit gravierenden Folgen für unsere Demokratie. - Elke Hannack ist stellvertretende DGB-Vorsitzende . Matthias Anbuhl ist Abteilungsleiter für Bildungspolitik und Bildungsarbeit beim DGB-Bundesvorstand.
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