Potsdamer Platz: Das kalte Herz von Berlin
Der Potsdamer Platz verliert mit der Spielbank seine nächste Attraktion der Mittelmäßigkeit. Das künstlich erbaute Stadtzentrum verödet immer mehr. Eine Abrechnung.
Die häufigste Frage am Potsdamer Platz lautet vermutlich: „Wo ist denn jetzt der Potsdamer Platz?“ Die Antwort fällt unterschiedlich aus, je nach Qualifikation des Befragten: „Weeß ick ooch nich“ oder „Na, det allet hier!“ Gelegentlich wird auch auf den Leipziger Platz gezeigt, der immerhin wirklich einer ist. Aber der Potsdamer? Diese öde, verkehrsumtoste Fläche vor dem S-Bahnhof?
Er reicht weiter, bis zum Marlene-Dietrich-Platz, dorthin, wo das mit gewaltigem Aufwand in den Neunzigern bebaute Areal gegenwärtig die größten Probleme aufwirft: Nach der Schließung des Musical-Theaters hat nun auch die Spielbank, immerhin die umsatzstärkste in Deutschland, keine Lust mehr. Geschäftsführer Günter Münstermann bekundete gerade seine Absicht, in das neue Ku’damm-Karree umzuziehen, also zurückzugehen in den Westen der Stadt, wo die Spielbank 1975 ihren Betrieb aufgenommen hatte. Wann das sein wird, steht zwar noch in den Sternen – aber für den Potsdamer Platz heißt es, dass dort wieder eine Attraktion nur noch auf Abruf existiert.
Die Spielbank an diesem Platz, das war von Anfang an ein Missverständnis. Renzo Piano hatte die Räume für ein Automobilmuseum entworfen, das nicht zustande kam, dann drückte der Senat die Spielbank mit der deutlichen Drohung hinein, andernfalls die Konzession für das Europa-Center nicht zu verlängern. Immer wieder wurde umgebaut und umorganisiert, am auffälligsten im ersten Obergeschoss, wo erst das „Live Bingo“ floppte und dann Hans-Peter Wodarz’ misslungene Erotik-Show „Belle et Fou“ – heute heißt der Saal „Sternberg“ und wird als „Eventlocation“ vermietet, weit abseits der öffentlichen Wahrnehmung.
„Eventlocation“ – das ist auch das Schicksal der riesigen Disco gegenüber, wo einst mit dem Kugelkino die erste größere Seifenblase des neuen Potsdamer Platzes geplatzt war. Mehr los ist abends manchmal im „Adagio“-Club, dem letzten regulär bespielten Teil des Piano-Baus neben der Spielbank; er ist ein bunter Fremdkörper in der authentischen und in aller Welt bestaunten Berliner Clubszene. Tagsüber ist der Vorplatz immer gähnend leer, nur ein paar Passanten hasten vorbei, außer, es herrscht wie ab Anfang Februar wieder die Geschäftigkeit der Berlinale.
Echtes städtisches Leben gibt es hier nicht
Gerade sind Arbeiter dabei, für das Filmfest einen zweigeschossigen Zweckbau zusammenzuschrauben – damit ist der Durchgangsverkehr blockiert. Die Sonne scheint, aber es ist kalt, und so gehen auch die Bemühungen der Bar „Que Pasa“ ins Leere, deren Mitarbeiter ihr Stück Bürgersteig der Alten Potsdamer Straße mit dicken Polstersesseln vollgestellt haben; sitzen will dort selbstverständlich niemand.
Que pasa? Die mexikanische Restaurantkette steht stellvertretend für den nicht existierenden Charakter des gesamten Areals: Internationale Systemgastronomie dominiert das Angebot, zeigt, dass Ortsansässige sowieso nicht gebraucht werden, um die Pacht zu erwirtschaften. Nur das Weinhaus Huth erinnert auf verlorenem Posten daran, dass wir uns hier doch irgendwie in Berlin befinden.
Ähnlich fällt die Diagnose für das Sony-Center gegenüber aus. Dort ist zwar mit dem Filmmuseum eine etwas anspruchsvollere Attraktion etabliert, aber der einst so aufwendig verschobene Kaisersaal kann nur von außen betrachtet werden, denn auch er ist zum Dornröschenschlaf der „Eventlocation“ verdammt. Dazwischen ist das Center eine architektonisch imponierende, aber kalte Durchgangszone. Zwischen beiden Arealen tost der Verkehr, auf dem zugigen Mittelstreifen der Potsdamer Straße vegetiert der „Boulevard der Stars“ vor sich hin, der offensichtlich gescheiterte Versuch, hier eine Art „Walk of Fame“ à la Hollywood zu installieren. Letzter Zugang: Matthias Schweighöfer.
Das Grundproblem des gesamten Areals: Echtes städtisches Leben gibt es hier nicht. Tagsüber dominieren Büroangestellte und Touristen, abends kommen noch Kinobesucher dazu – aber wenn die zur letzten Vorstellung in den Kinosälen sitzen, hat sich die metropolitane Geläufigkeit erledigt. Allenfalls, wenn im Sommer die sinnfrei schiefen Rasenflächen zwischen Arkaden und Köthener Straße zu Liegewiesen werden, ruht eine entspannt urbane Stimmung über ihnen.
Damit es aber nicht zu gemütlich wird, führen die provozierend kreischblauen Rohre einer Grundwasserabsenkung durchs Bild, genau dort, wo sie optisch am meisten weh tun. Sie führen vom Landwehrkanal bis in die Erna-BergerStraße, wo sie hoch oben über einer betagten Baustelle im Nichts enden. Gleich mittendrin dagegen, aber meist von Reisebussen verdeckt, steht absurd der koreanische „Pavillon der Einheit“ – wie bestellt und nicht abgeholt.
Kein Charakter, Vernachlässigung im Detail, ewige Bauarbeiten, dazu im Frühwinter die Ramschmöblierung mit der tropfenden Rodelbahn und ihren Satelliten – das ist der aktuelle Potsdamer Platz. Falls die Spielbank nach Westen zieht, ist das für die Gesamtsituation schlecht. Allerdings tragen die meist diskreten, weitgehend unsichtbaren Spieler auch jetzt nur wenig zur Belebung der Gegend bei.
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