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Auf der Plantage des Vereins Zuckerbaum sitzen die Besucher gemütlich unter alten Apfelbäumen.
© Enrico Bellin

Volksfest in Brandenburg: „Das hier ist Baumblüte, nicht nur irgendein Rummel“

Auf den Plantagen hat das Werderaner Baumblütenfest zu seinen Ursprüngen zurückgefunden. Am ersten Wochenende kam es auf den Bahnhöfen zu Engpässen.

Bereits am Potsdamer Hauptbahnhof bemerkt der Fahrgast am Mittag: Das Werderaner Baumblütenfest hat begonnen. Es riecht nach Bier, als sich die Türen des schon überfüllten Regionalexpress-Zuges aus Berlin öffnen. Nur mit Glück kommt man noch in den Zug – denn die Bahn hat kurzfristig wegen Personalmangels Sonderzüge ausfallen lassen. Viele Menschen bleiben am Bahnsteig zurück.

Im Zug hat die Party längst begonnen, aus Handy-Lautsprechern dröhnen Helene Fischer und Tim Toupet gegeneinander an. Eine Englisch sprechende Familie steht im Gang, sie wollen nur nach Potsdam in den Park Sanssoucci. Ihr Gesichtsausdruck beim Aussteigen am dortigen Bahnhof: Kulturschock.

Am Bahnhof Werder verlassen die Massen den Zug. Die Besucher wirken genauso geübt wie die Bundespolizisten, die ihre Taschen kontrollieren. Schnell sind die Festgäste hinter der Absperrung und vor der Abfahrtsstelle für die Blütenrundfahrten. Die Sonderbusse bringen die Besucher auf die Obstplantagen.

Schon die Abfahrt wird zur Nervensache

„Die Kirschen sind zwar schon abgeblüht. Aber die Tour geht auch an Apfelplantagen vorbei, da kriegen alle genug Blüten zu sehen“, sagt Busfahrer Denny Armborst. Der 31-Jährige fährt die Tour im dritten Jahr. Es gibt zwei Routen, die verschiedene Obsthöfe anfahren. Das Tagesticket kostet sechs Euro. Beide Touren führen nach Derwitz, über den Obstpanoramaweg nach Glindow und durch die Innenstadt wieder zum Bahnhof.

Entspannen auf der Apfelplantage.
Entspannen auf der Apfelplantage.
© FOTO: ENRICO BELLIN

Schon die Abfahrt wird zur Nervensache: Eine Mitarbeiterin dirigiert die Besuchermasse vor dem Bus an den Straßenrand, Armborst kann im Schritttempo durch, nur Zentimeter an den Menschen vorbei. „Das ist der anstrengendste Teil – zu schauen, dass man hier niemandem über den Fuß fährt“, sagt der 31-Jährige, der während der weiteren Fahrt an den Havelauen vorbei deren Geschichte als früherem Flugplatz und heutigem Stadtviertel mit Bootsanlegern vor den Häusern durch die Bordlautsprecher erzählt.

Auf dem Obstpanoramaweg wird es entspannter, doch der Weg ist gerade so breit wie der Bus. Autos sind dort nicht erlaubt. Entgegenkommende Radfahrer steigen ab, und schneller als die Radler ist der Bus auch nicht unterwegs. Die Fahrgäste: Familien, Freundesgrüppchen jeden Alters, ein Kegelclub. Die Stimmung ist ausgelassen. „Das ist doch der Obsthof, wo Karin letztes Jahr zum Schluss von der Bank gefallen ist“, hallt es durch den Bus. Das Fest hinterlässt bleibende Eindrücke.

Auch Carola Golz hat im Vorjahr die Tour gemacht, mit ihrem Mann kommt sie extra von Rügen nach Werder zum Baumblütenfest. „Hier sieht man wenigstens die Höfe und kann erahnen, welche Arbeit hinter dem Obstwein steckt.“ Die Innenstadt mit dem Rummel sei ihr zu trubelig.

„Wir sind froh, dass uns so viele Familien besuchen“

In der Tat ist es auf dem Panoramaweg und den Plantagen eher beschaulich. Rastende Radler prosten dem Busfahrer zu. Er erklärt auch vor jedem Halt Besonderheiten, etwa bei der Wiese des Vereins Zuckerbaum, dass dort außerhalb des Festes Kindern mit schwer kranken Geschwistern ein paar ruhige Stunden geboten werden.

Auf der Wiese mit blühenden alten Apfelbäumen toben am Nachmittag ein gutes Dutzend Kinder der Besucher. „Wir sind froh, dass uns so viele Familien besuchen“, sagt Vereinschefin Karin Wiesener. „Selbst, wenn sie keine kranken Kinder haben, können die Eltern in Schulen oder Kitas von uns erzählen und unsere Arbeit so bekannter machen.“ Direkt daneben entspannen Erwachsene in Hängematten oder bei Obstwein und Kuchen zwischen den Bäumen. Ihre Kinder toben mit freiwilligen Helfern über Hügel, üben mit Hula-Hoop-Reifen, machen Schmuck in der Bastelecke.

Das Fest auf der Wiese ist die Haupteinnahmequelle des Vereins, sagt Wiesener. Die Nachbarn spenden Kuchen, eine Metzgerei Fleisch. „Das Engagement der Nachbarn hier für die Kinder ist wirklich riesig“, sagt Wiesener. Seit sechs Jahren gibt es die Wiese inzwischen.

Das Baumblütenfest ist besonders bei Radfahrern beliebt.
Das Baumblütenfest ist besonders bei Radfahrern beliebt.
© ENRICO BELLIN

Die genießt auch Susanne Schlabitz aus Potsdam, die mit Freunden eine Radtour macht. „Meine Kleine wollte hier einfach anhalten und Pause machen“, sagt sie und zeigt auf die Tochter, die in der Bastelecke sitzt. „Das hier ist Baumblüte, nicht nur irgendein Rummel“, fasst Begleiter Timo Meinhardt zusammen.

Im Schatten alter Plantagenbäume

Ähnlich wie beim Zuckerbaum sieht es auf der Plantage von Obstbauer Heiko Wels in Glindow aus. Sandburgen, Strohballen und kleine Spielgeräte stehen zwischen den Apfelbäumen. Der Hof wird nicht direkt von den Blütenrundfahrten angefahren, liegt aber am Obstpanoramaweg.

Schon das Panorama mit den steil abfallenden Baumreihen und den Bierbänken im Tal macht Lust aufs Verweilen. Die mit etwa einem Hektar für Werderaner Verhältnisse kleine Plantage ist selten überrannt. Neben Radfahrern kommen vor allem die Glindower selbst her sowie Stammkunden vom Wochenmarkt.

„Angefangen haben wir hier, um den Wochenmarktbesuchern zu zeigen, wie ihr Obst eigentlich wächst“, sagt Heiko Wels. Der 50-Jährige, der Marktstände in Werder und Spandau hat, erklärt, dass er auch selbst Wildbienen hält, die die Blüten bestäuben und derzeit fleißig unterwegs sind. Die Gäste sind aber ungefährdet, Wildbienen stechen nicht.

13 Sorten Obstwein kann man bei Wels noch bis zum 6. Mai probieren. Im 0,2-Liter-Becher für 2,50 Euro, die Literflasche kostet acht Euro. Er mache nur Wein aus selbst angebautem Obst. „Daher gibt es in diesem Jahr etwa keinen Wein aus Knuppern“, sagt Wels. Die Ernte der bekanntesten Süßkirschensorte der Region ist im Vorjahr durch Frost ausgefallen. Dafür hat er aus verschiedenen Sauerkirschsorten unterschiedlich herbe Weine gekeltert.

Obstbauern müssen erfinderisch sein. Und auch ein Auge für Schönheit haben: So hat Heiko Wels auf der Plantage neben den jungen, in Reih und Glied stehenden Bäumen auch 30 Jahre alte Exemplare stehen lassen. „Die Äpfel kann man zwar nur noch für Most nehmen“, sagt Heiko Wels. Seine Gäste erholen sich aber gern im Schatten der knorrigen Bäume.

Jeder zweite Sonderzug ausgefallen

Weil die meisten geplanten Sonderzüge ausfielen, mussten sich tausende Besucher des Baumblütenfestes in Werder am ersten Wochenende in übervolle Waggons quetschen. Platzmangel gab es bei der An- und Abfahrt.

Chaos bei An- und Abreise

Ausgerechnet zum Baumblütenfest konnte die Bahn am Wochenende nur jeden zweiten der stündlich geplanten Sonderzüge zwischen Berlin und Werder (Havel) fahren lassen. Der Grund war Personalmangel. Schon die Anreise nach Werder in die Mittelmark zog sich bis 18 Uhr hin, da viele Menschen lange auf einen Platz im Zug warten mussten.

Probleme gab es auch bei der Abreise: Am Abend musste die Bundespolizei den Zugang zum Bahnsteig in Werder wegen des großen Andrangs zeitweise sperren, die Abreise vom Fest, das um 22 Uhr endet, zog sich bis Mitternacht hin. „Ab dem 1. Mai wollen wir aber alle Sonderzüge fahren lassen“, sagte eine Bahn-Sprecherin.

Rekorde

Trotz der Probleme brachte das erste Festwochenende Besucherrekorde für das Baumblütenfest: Laut Bundespolizei waren am Samstag mehr als 22.000 Gäste per Bahn zum Fest angereist – gut 2.000 Besucher mehr als am gleichen Tag des Vorjahres. Am Sonntag kamen dann nur noch 14.000 Besucher per Bahn in die Stadt.

Straftaten

Mit der Besucherzahl ist auch die Zahl der Straftaten gestiegen: Am Samstag hat die Bundespolizei mehr als 40 Anzeigen (2017: 12) aufgenommen: 13 wegen Körperverletzungen, der Rest überwiegend wegen Drogen. Es gab auch mehr Platzverweise: Im Vorjahr waren es am ersten Tag 56, in diesem Jahr 200. Die Bundespolizei führt das auch auf die Wartezeiten am Bahnhof zurück.

Enrico Bellin

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