Berlin und Brandenburg: Das fordern Bürgermeister von der Verkehrssenatorin
Viel Kritik, viele Ideen - Post für die Verkehrssenatorin aus Potsdam und Spandau. Hier finden Spandau-Newsletter-Leser den offenen Brief im Wortlaut.
Berlin und Brandenburg denken nicht gemeinsam. Sind oft zu langsam. Da enden breite Straßen an der Landesgrenze. Oder am Feldrand. Da wird seit der Wende (!) über die Rückkehr der S-Bahn diskutiert, während die Pendlerzahlen massiv zunehmen. Nicht nur nach Berlin, sondern auch nach Brandenburg, wo die Menschen arbeiten.
Oft ist das kompliziert, wo vermeintlich einfache Lösungen helfen könnten - wie zum Beispiel die Ausweitung des B-Tarifs von Berlin-Spandau um ein paar Meter nach Brandenburg, wo wiederum ganz viel Platz für P+R-Parkplätze am Bahnhof Seegefeld wäre.
Weil das aber nicht möglich ist, parken die Pendler halt nicht im C-Tarif, sondern ein paar Meter weiter in Berlin, wo der günstigere B-Tarif gilt. Und drängen so mit Autos in die Stadt.
[10 Thesen für einen besseren Verkehr: So wollen die Grünen Spandau retten - hier die Geschichte im Spandau-Newsletter. 195.000 Haushalte haben unsere Bezirksnewsletter schon im Abo. Die gibt es hier, Bezirk für Bezirk: leute.tagesspiegel.de]
Diese Idee - nur als Beispiel - hatte Spandaus Bürgermeister Helmut Kleebank, SPD, mal gemeinsam mit Falkensees Bürgermeister Heiko Müller, SPD, im Spandau-Newsletter des Tagesspiegels vorgeschlagen ("Das 700-Meter-Dilemma"). Denn so bleiben kann es ja auch nicht, oder? Die Züge sind voll, die Busse ebenfalls, die Stimmung ist gereizt.
Deshalb bekam die zuständige Senatorin in der Innenstadt einen Brief - einen offenen Brief. Empfänger: Berlins Verkehrssenatorin Renate Günther (parteilos, für Grüne) und Verkehrsministerin Kathrin Schneider, SPD, in Potsdam.
Für den Spandau-Newsletter des Tagesspiegels möchten wir Ihnen, den Leserinnen und Lesern, den Brief komplett zeigen. Den Newsletter vom Tagesspiegel können Sie kostenlos bestellen unter www.tagesspiegel.de/leute. Wir freuen uns auf Sie. - André Görke
Hier beginnt der offene Brief
"Sehr geehrte Frau Ministerin Schneider, sehr geehrte Frau Senatorin Günther, als Bezirksbürgermeister von Berlin-Spandau und Bürgermeister der großen kreisangehörigen Stadt Falkensee wenden wir uns heute an Sie, weil wir der Überzeugung sind, dass noch nicht genug getan wird, um den Öffentlichen Personennahverkehr zu stärken. Noch immer wird sich zu sehr an Grenzen orientiert, die eigentlich der Vergangenheit angehören sollten. Berlin-Spandau und Falkensee sind wie auch insgesamt Berlin und Brandenburg Teile einer Metropolregion. Die Verkehrsströme in der Metropolenregion und insbesondere zwischen Berlin und dem direkten Umland sind untrennbar miteinander verbunden. Viele der anstehenden Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft können nur gemeinsam bewältigt werden.
Verkehr im Metropolenraum – die Herausforderung der Zukunft
Die Bewältigung der Verkehrsaufgaben in Metropolenräumen wird zunehmend zur Herausforderung für die Zukunft. Neben dem Wachstum des Personen- und Güterverkehrs führen insbesondere die gestiegenen Erwartungen an den Umweltschutz und hierbei vor allem an die Verminderung der Luftverschmutzung und der Lärmbelästigung zu völlig neuen Lösungsansätzen.
Neben dem Binnenverkehr innerhalb der Landesgrenzen Berlins ist vor allem die weiterhin sehr dynamische Entwicklung im Umland Berlins ein erkennbarer Faktor. Das Bevölkerungswachstum in den an Berlin angrenzenden Bereichen Brandenburgs ist direkt mit der Lagegunst im Metropolenraum verbunden. Im Ergebnis ist weiter mit stark steigenden Pendlerströmen zwischen Wohnort und Arbeitsort zu rechnen. Obwohl die Hauptrichtung der Pendlerströme auch weiterhin in Richtung Berlin gehen wird, führen die Ansiedlung und der Ausbau von Unternehmen im Umland unterdessen zu erheblichen Pendlerbewegungen aus Berlin in Richtung Brandenburg. Neben den Pendlerströmen haben sich auch die Güterströme massiv verstärkt. Viele Logistikfirmen haben sich im Umland angesiedelt, um Versorgungsaufgaben für Berlin und die östlichen Bundesländer zu übernehmen. Eine Umkehr dieser Entwicklung ist nicht zu erwarten.
Spandau und das Havelland – ungenutzte Potentiale im Straßenbereich
Spandau, Falkensee und den anderen Orten im östlichen Havelland kommt in Hinsicht auf die Bewältigung der Verkehrsprobleme eine besondere Bedeutung zu. Jede Ansiedlung – ob Wohnen oder Arbeiten – erzeugt zusätzliche Verkehrsbewegungen.
Im Bereich des KFZ-Verkehrs können seitens Brandenburgs die Rahmenbedingungen noch verbessert werden. Dazu gehören insbesondere der Ausbau der Spandauer Straße zwischen Humboldtallee und der Landesgrenze sowie ein Lückenschluss zwischen dem Brunsbütteler Damm und der Landesstraße L20. Auf Berliner Seite wäre ein Ausbau der Falkenseer Chaussee zwischen der Landesgrenze und der Stadtrandstraße hilfreich und vor allem die Einbeziehung der Ampelanlagen in diesem Abschnitt in eine Grüne-Welle-Funktion auf Falkenseer Seite erforderlich. An der Kreuzung Falkenseer Chaussee/Stadtrandstraße müssen die Abbiegespuren an den stärker werdenden Verkehr angepasst werden.
Zudem ist die Fertigstellung der Bauarbeiten im Seegefelder Weg überfällig.
Für all diese Projekte ist eine abgestimmte Unterstützung der Landesregierung Brandenburg und des Senats von Berlin zwingend erforderlich. Darüber hinaus ist nicht damit zu rechnen, dass beispielsweise neue Straßentrassen Entlastungsmöglichkeiten bieten. Unabhängig von den beschriebenen Maßnahmen bleibt aber festzustellen: Selbst wenn diese Maßnahmen umgesetzt werden, bleibt die Situation kritisch, da die Straßen in Spandau und weiter stadteinwärts schon heute überlastet sind und zudem Parkmöglichkeiten fehlen. Auch der Umweltschutz gebietet, Alternativen insbesondere zum motorisierten Individualverkehr stärker zu fördern.
Spandau und das Havelland: ungenutzte Potentiale auf der Schiene
Im Rahmen der derzeit noch andauernden Korridoruntersuchungen der Länder Brandenburg und Berlin wurde festgestellt, dass die Nutzung des schienengebundenen Nahverkehrs im östlichen Havelland im Hinblick auf die Bevölkerungs- bzw. Pendlerzahlen geringer ausfällt, als in anderen Untersuchungsräumen. Nach Einschätzung der Experten und auch nach unserer Einschätzung liegt das weniger an der Nachfrage, sondern an den Angeboten. Im Ergebnis dieser Bewertung wurde bereits durch die Experten angeregt, dem Ausbau der Angebote in unserem Untersuchungsraum hohe Priorität zuzuordnen. Mehrere limitierende Faktoren sind dabei zu beachten. Dazu gehören die Platzkapazität der Züge, die Rahmenbedingungen für den Umstieg vom privaten Fahrzeug oder dem Bus auf den Zug bzw. die fußläufige Erreichbarkeit der Bahnhöfe und grundsätzlich die Attraktivität der Angebote. Dem Busverkehr wird nach unserer Einschätzung weiterhin eher eine Zubringeraufgabe zu den Bahnangeboten zukommen. In der Relation zwischen dem östlichen Havelland und dem Stadtzentrum von Berlin sind Busangebote eher keine attraktive Alternative zum privaten Auto oder der Bahn.
Zudem kann wohl ausgeschlossen werden, dass es zwischen dem Havelland und Berlin neue zusätzliche Bahntrassen geben wird. Deswegen gilt es, sich auf die bereits vorhandenen Bahntrassen und deren unerschlossene Potentiale zu konzentrieren. Mit den beiden Bahntrassen Berlin-Spandau nach Hannover und Berlin-Spandau nach Hamburg verfügt die Region über zwei Bahntrassen, die allerdings am Hauptbahnhof Spandau aufeinandertreffen. Nach unserer Einschätzung entsprechen weder die angebotene Platzkapazität, noch die Attraktivität der Angebote und der Umsteigemöglichkeiten den Anforderungen. Es muss das gemeinsame Interesse von Spandau und Falkensee und damit auch von Berlin und Brandenburg sein, attraktive Angebote für die stärkere Nutzung der Bahn zu schaffen. Jeder KFZ-Nutzende, der vor den Toren der Metropole Berlin in eine Bahn umsteigt entlastet nicht nur die Straßen und die Parkplatzsituation in Spandau bzw. Berlin, sondern auch die Umwelt. Derzeit wird wegen der hohen Luftverschmutzung vor allem über Fahrverbote und massive Geschwindigkeitsbegrenzungen auch auf Durchgangsstrecken diskutiert – beides Maßnahmen die für viele Verkehrsteilnehmer eine zusätzliche Belastung darstellen. Diese Maßnahmen sind sicher notwendig und sollen hier nicht weiter kommentiert werden.
Umsteigen attraktiver machen – Berlin entlasten
Wir wollen aber vorschlagen, über die Verbesserung der Attraktivität bei der Nutzung der Bahn Entlastung auf den Straßen von Berlin und damit für die Menschen in Berlin zu schaffen.
Innerhalb Berlins wird im Zusammenhang mit dem Zugang zur Bahn vor allem auf den ÖPNV, Fahrräder und die fußläufige Erreichbarkeit gesetzt. Außerhalb Berlins liegt der Schwerpunkt eher bei der Erreichbarkeit der Bahnzugangspunkte mit dem Fahrrad und dem motorisierten Individualverkehr. Deswegen ist die Erreichbarkeit und Verfügbarkeit von Parkplätzen für Fahrräder und Autos ein wesentliches Attraktivitätsmerkmal für das Bahnfahren. In Hinblick auf die Verfügbarkeit sind unterdessen erhebliche Defizite festzustellen.
Auf der „Hamburger Bahn“ eignet sich wegen der Flächenverfügbarkeit nur der Bahnhaltepunkt Seegefeld in besonderem Maße für den signifikanten Ausbau von Abstellfläche.
Der Haltepunkt Seegefeld hat aus Sicht der Berufspendler aber massive Nachteile gegenüber dem Haltepunkt Albrechtshof und dem Bahnhof Falkensee. In Hinblick auf den Bahnhof Falkensee liegt der Nachteil in der geringeren Zugfrequenz – hier wird durch den zusätzlichen Halt des RE2 ab 2022 eine Verbesserung erkennbar.
In Hinblick auf den Haltepunkt Albrechtshof liegt der Nachteil beim Wechsel der Tarifzone. Während Albrechtshof in der Tarifzone B liegt, liegt Seegefeld in der Tarifzone C.
Unser Vorschlag ist deshalb, den Haltepunkt Seegefeld in die Tarifzone B aufzunehmen. Nur dann wird die Attraktivität des Haltepunktes so steigen, dass ein massiver Ausbau der dortigen Stellplatzanlagen sinnvoll erscheint. Ein großer Park&Ride-Platz direkt vor den Toren der Stadt Falkensee an der Landesstraße L20 könnte die Nutzung von Bahnangeboten deutlich stärken.
Trotz aller Vorbehalte, die diesem Vorschlag in der Vergangenheit entgegengebracht worden sind, muss auch an dieser Stelle Politik für die Menschen und für eine vernünftige Steuerung der Pendlerströme gemacht werden und nicht auf Biegen und Brechen gegen sie.
Ganzheitlich denken
Selbstverständlich sollte ein solches attraktives Umsteige-Angebot nicht nur in Falkensee entstehen. Im Rahmen der Korridoruntersuchungen sollte auch geklärt werden, welche vergleichbaren Entwicklungen in den anderen Korridoren möglich sind. Wir halten es für zwingend, den Grundsatz, möglichst viele Pendler vor den Toren Berlins vom Auto in den Zug umsteigen zu lassen, auf alle diese Schnittstellen anzuwenden. Aus unserer Sicht stellt sich darüber hinaus auch die grundsätzliche Frage, ob das Tarifsystem mit den Tarifzonen ABC überhaupt noch zeitgemäß ist. Gerade die Pendler sollen zum Umstieg auf die Bahn motiviert werden. Insofern sollte auch durch die Politik gezielt versucht werden, die Attraktivität des Bahnnutzens zu erhöhen. Ein einheitlicher Tarif im Stadtverkehr der bisherigen Tarifzonen ABC würde einen wesentlichen Beitrag dazu leisten. Bisher gibt es zu viele Bahnnutzer, die wegen des günstigeren Tarifs zu einem Bahnzugangspunkt fahren, der eigentlich nicht der geeignetste ist. Dadurch entstehen unnötige Verkehrsbelastungen sowohl im Umland von Berlin als auch in den Randlagen Berlins innerhalb der Landesgrenze. Auch solche unnötigen Verkehrsbelastungen sollten minimiert werden. Alle reden von der Notwendigkeit, Belastungen durch den motorisierten Individualverkehr zu vermindern und das Nutzen von ÖPNV und SPNV zu fördern. Wir haben aber den Eindruck, dass noch nicht alles Sinnvolle und Machbare getan wird. Wir fordern die Landesregierungen von Berlin und Brandenburg dazu auf, bei der Bewältigung der Herausforderungen in der Hauptstadtregion die Landesgrenze auszublenden und ganzheitlich zu denken. Schnelle Entscheidungen für eine attraktive Schieneninfrastruktur sind ein entscheidender Erfolgsfaktor für die wirtschaftliche Entwicklung Berlins und Brandenburgs. Nur gemeinsam können wir erfolgreich sein. Unterzeichnet von Helmut Kleebank, SPD, Bezirksbürgermeister Berlin-Spandau, und Heiko Müller, SPD, Bürgermeister Stadt Falkensee"
Und so reagiert der Senat
Die Senatsverwaltung um Regine Günther (parteilos, für Grüne) hat mittlerweile in einer ersten Stellungnahme geantwortet. „Die Kritik an mangelnder Zusammenarbeit der Länder können wir nicht nachvollziehen“, heißt es in einem Schreiben an den Spandau-Newsletter vom Tagesspiegel - hier nachzulesen.