Giffeys Neuanfang scheitert an der Realität: Das Berliner Linksbündnis startet schon mit Sollbruchstellen
Rot-Grün-Rot will regieren. Nur wie glaubwürdig kann Giffey das vertreten? Der inhaltliche Neustart gelingen? Das Miteinander besser werden? Ein Kommentar.
Sie müssen sich einiges verzeihen – und probieren es trotzdem noch einmal miteinander. SPD und Grüne in Berlin haben sich für den Weg in ein rot-grün-rotes Bündnis mit der Linkspartei entschieden.
Es sind noch Details zu klären, einiges kann, gerade bei diesen dreien, noch passieren bis zur Unterschrift unter den neuen Koalitionsvertrag, aber die Richtungsentscheidung steht: Ein Linksbündnis soll die deutsche Hauptstadt regieren. Ja, weiter so.
Aber wie? Schon der Start wird begleitet von Störungen und Unprofessionalität: aus Teilen der SPD, die mit dem Wahltag angefangen haben, Politik gegen die eigene Spitzenkandidatin zu machen. Und von den Grünen, die einen Eklat verursachten, weil sie das Sondierungsergebnis am Donnerstag per Pressemitteilung rausschickten, bevor die SPD es live verkünden konnte. Nein, so bitte nicht weiter.
Dieser Start stimmt umso pessimistischer, als das Linksbündnis ohnehin drei schwere Bürden trägt. Erstens sind viele Menschen nicht zufrieden gewesen mit der Arbeit der vorigen Koalition – über 60 Prozent kritisierten zuletzt die Regierungsarbeit.
Das hat viele Gründe: Die Bürgerämter funktionieren zu schlecht, die Wahl war so mies organisiert, dass die Wahlleiterin nun selbst Einspruch einlegen will, der Wohnungsbau stagniert, die Mobilitätswende geht vielen zu langsam und mit dem Mietendeckel wurde das zentrale politische Projekt vom Verfassungsgericht abgeräumt.
[Wenn Sie alle aktuellen Nachrichten live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]
Im selben Parteienverbund wird es schwierig, irgendwie glaubwürdig zu verkünden, für mehr als nur Reförmchen des wenig beliebten Ist-Zustands zu stehen. Die neue Koalition braucht, will sie bestehen, gleich zu Beginn einen großen Erfolg.
Der Fauxpas mit der Pressemitteilung steht – zweitens – für etwas Grundsätzliches: Unprofessionalität und Missgunst prägten das Miteinander in der alten Koalition. Im Wahlkampf traf das öffentlich vor allem Franziska Giffey: Sie wurde von Mitgliedern der Koalitionspartner wahlweise als Rassistin, Gouvernante oder Ewiggestrige dargestellt.
Es geht nicht um Liebe, aber ums Gönnenkönnen
Im Hintergrund teilte aber auch die SPD kräftig aus – vor allem in Richtung der Grünen, deren Lieblingsprojekte man kurz vor Schluss noch absägte. Nur um jetzt, als wäre nichts gewesen, wieder gemeinsam am Regierungstisch zu sitzen?
Die neue, alte Koalition muss einen komplett neuen Umgang miteinander finden, muss professioneller geführt werden. Wie das geht, machen Malu Dreyer in Rheinland-Pfalz und Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg vor. Es geht nie um Liebe in der Politik, aber ums Gönnenkönnen.
[Mehr aus der Hauptstadt. Mehr aus der Region. Mehr zu Politik und Gesellschaft. Und mehr Nützliches für Sie. Das gibt's nun mit Tagesspiegel Plus: Jetzt 30 Tage kostenlos testen.]
Drittens startet Franziska Giffey mit einem Glaubwürdigkeitsproblem. Ihr Blinken in Richtung einer bürgerlichen Koalition mag klug gewesen sein, weil es den SPD-Forderungen mehr Gewicht verliehen und manchen Verhandlungserfolg gegen selbstbewusste Grüne und Linke ermöglicht hat.
Giffey ist jetzt auf Durchsetzung ihrer Projekte angewiesen
Viele haben die SPD aber gewählt, gerade weil Giffey eine bürgerliche Alternative zu sein schien. Sie werden enttäuscht. Ob Giffey gleich zu Anfang geschwächt ist, hängt davon ab, ob sie zentrale Wahlversprechen durchbekommt: ein Bündnis für Wohnungsbau, Videoüberwachung, die Lehrerverbeamtung.
Ja, ein Neuanfang sieht wahrlich anders aus. Man kann das bedauern. Und muss dennoch akzeptieren, dass kein anderes Bündnis eine stabile Mehrheit gehabt hätte. Jetzt muss rasch, Stichwort Realismus, aus einer Regierungsidee eine spürbar andere Berliner Wirklichkeit werden.