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 Foto: Jens Kalaene/dpa
© dpa

Abschied als Berlinale-Chef: Danke, Dieter!

Sterneküche für Normalverdiener und Kiez-Kino: Dieter Kosslick hat das Festival zum Fest für alle gemacht.

Längst ist die Berlinale eine eigene Jahreszeit. „Lass uns das vor der Berlinale machen“ oder wahlweise „Wollen wir uns nicht nach der Berlinale sehen?“ sind von November bis Anfang Februar fast Standardredewendungen. Da sind zum einen die Kinogänger, die sich Urlaub für den Film-Marathon nehmen. Die offensive Demokratisierung der Filmkunst, für die der scheidende Festival-Chef Dieter Kosslick auch lange nach seinem letzten Vorhang noch stehen wird, hat dazu geführt, dass Kino in diesen zehn Tagen im Februar den Alltag bestimmt, egal in welcher Ausprägung. Dass bei einem internationalen Filmfestival auch der „Kiez“ eine Rolle spielt, ist ja so wenig selbstverständlich wie die Sterneküche beim Kulinarischen Kino.

Als die Ära Kosslick kurz nach der Jahrtausendwende begann, waren Notebooks kaum verbreitet, und Smartphones gab es nicht. Seitdem hat sich die digitale Kommunikation so stark ausgebreitet, dass die Sehnsucht nach analogen Kontakten wieder größer geworden ist. Im Kino sitzen, mit anderen Menschen über das Gesehene kommunizieren, die Filme feiern, das ist wichtiger geworden, auch wenn die Zahlen schwanken. Der Glanz, den der Fall der Mauer vorausahnen ließ, hat mit den schönen Festivalszenen zudem jede Menge Bilder bekommen.

Die Nachfolger von Dieter Kosslick treten in große Fußstapfen.

schreibt NutzerIn Gophi

Viele wollen Anteil haben

Obwohl die Stadt dann voller Kritiker ist, vermittelt Berlin im rauen Februar den Eindruck, eine lächelnde und glamouröse Stadt zu sein, eine coole Metropole mit magnetischen Filmkräften. Ganz egal, wie oft lamentiert wird, dass zu wenig Stars da sind und zu viele schlechte Filme, diesem Sog kann sich kaum jemand entziehen. Das Leid der Kritiker in den Sälen, in denen Filme nur ein einziges Mal laufen, weil sie es in die großen Kinos ohnehin nie schaffen würden, spielt nur eine Nebenrolle.

Am Ende hat Berlin jedes Jahr ein bisschen mehr gefunkelt in der internationalen Wahrnehmung. Viele wollen Anteil haben – und nicht nur als Zuschauer. Auch deswegen gibt es so zahlreiche Empfänge und Satellitenveranstaltungen, die mit dem eigentlichen Festival gar nichts zu tun haben.

Dass unabhängig von aller Kritik immer wieder so viel gute Stimmung durch die Stadt schwappt, hat auch mit dem Mann zu tun, der als künstlerischer Manager das entsprechende Klima geschaffen hat und plötzlich überall Abschiedswehmut auslöst, sogar beim Regierenden Bürgermeister, der für so was eigentlich nicht anfällig wirkt. Das mag daran liegen, dass Dieter Kosslick es immer verstanden hat, so ziemlich jedem Besucher das exklusive Gefühl zu geben, ein ganz besonderes Mosaikteilchen in diesem Festival zu sein.

Immer wieder kommen Erinnerungen zur Sprache von Berlinale-Teilnehmern, die getröstet, ermutigt und ernst genommen wurden, als sie jung, ängstlich und unsicher waren. Genau wie die Berlinale-Besucher an den Kassen sich ernst genommen fühlten. Die Hochkultur hat sich hier ein menschliches Antlitz zugelegt, und das steht ihr gut.

„I will miss myself, too.“

Bevor die Bären losgelassen werden, gab es wohl auch deshalb noch Preise für den populären Noch-Chef. Viel wurde in diesen Tagen gemutmaßt, ob es seitens der Stadt, für deren Image er so viel getan habe, eine besondere Veranstaltung gibt. Familiäre Szenen gab es beim „Variety Achievement International Award“ zu sehen. Tilda Swinton war da und der Chef des venezianischen Filmfestivals, Alberto Barbera.

Ein Zitat der Gründerin des European Film Market, Beki Probst, machte die Runde: „Dieter sieht Dinge, die andere nicht sehen.“ Den deutsch sprechenden Laudator übersetzte der Geehrte immer wieder kreativ in sein berühmtes broken Show-Englisch. Das „Wir werden dich alle vermissen, Dieter“ klang dann so: „I will miss myself, too.“ Es ging unter dem Oberbegriff „Sparkling“ auch um die Kunst des Funkelns und Glitzerns, des Sprühens und Schäumens.

Überall lagen Sonderausgaben des US-Fachmagazins für die Filmindustrie aus, voller Anzeigen mit Sympathieerklärungen, von Cinema Chile bis zum Sarajevo Film Festival. Im Textteil schriebt George Clooney über das Glück, das die Berlinale hatte, „mit Dieter an der Spitze“, dass Leidenschaft, Intelligenz und Humor das Festival so besonders machten. Schauspielerin Alba Rohrwacher erinnert sich, wie er ihre Furcht vor einem Auftritt mit einer Konversation über Honig vertrieb. Unter anderem hat er in diesen Tagen den Ehrenpreis der Ökumenischen Jury bekommen, einen der Produzentenallianz und vom Berlinale-Team Awards unter anderem für „Innovation“ und „Bester Gastgeber“.

Ob die Stadt weiterhin profitiert, auch wenn das Festival sich unter neuer Leitung verändert? Vielleicht hat sie es gar nicht nötig. Mit ihren Glanzpunkten im Februar-Alltag war diese Art der Berlinale genau richtig – und zur richtigen Zeit.

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Elisabeth Binder

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