„So etwas habe ich noch nie erlebt“: Covid-19 bringt die Berliner Gesundheitsämter an ihre Belastungsgrenze
Erst nach fünf Tagen wurde eine Patientin über ihr positives Testergebnis informiert. Die Gesundheitsämter sind in der Coronavirus-Krise überfordert.
Die Zahl der Corona-Fälle in Berlin steigt, und die Gesundheitsämter der Bezirke sind dafür zuständig, Infizierte sowie von einer Ansteckung bedrohte Personen zu informieren. Zwei Fälle aus Prenzlauer Berg und Mitte zeigen: Die Behörden sind maßlos überfordert, Informationen erfolgen entweder gar nicht oder erst viel zu spät.
Die schlechte Nachricht für Mark Schröder (Name geändert) kam per Post: Unter dem Betreff „Vollzug des Infektionsschutzgesetzes – Anordnung der Absonderung“ informierte das Gesundheitsamt Pankow Schröder darüber, dass dieser „im Kontext des aktuellen Covid-19-Ausbruchs dem Risiko einer Infektion mit dem neuartigen Coronavirus ausgesetzt“ war.
Die Folge: Schröder und Familie – also die Partnerin und der Sohn – müssen in Quarantäne. Zwei Wochen lang dürfen die drei weder die Wohnung verlassen, noch Besuch empfangen. Sie sind darüber hinaus verpflichtet, zweimal am Tag Fieber zu messen sowie ein Tagebuch über Symptome zu führen.
So unangenehm die Anordnung ist, für Schröder kam sie nicht überraschend. Wie etwa 100 andere Kinder auch besucht sein Sohn die „Kita Pappelallee 40“ in Prenzlauer Berg. Weil dort eine mit dem Corona-Virus infizierte Erzieherin Anfang März Dienst tat, ist die Kita seit dem 6. März geschlossen.
Während die logische Konsequenz Quarantäne heißen musste, passierte zunächst überhaupt nichts. Erst am vergangenen Samstag und damit acht Tage nach Bekanntwerden des Infektionsrisikos, wurde Schröder – genau wie alle anderen Eltern – informiert.
Fünf Tage wurde nicht über die Quarantäne informiert
Zudem gilt die Maßnahme quasi rückwirkend. Im Schreiben wird der Quarantäne-Zeitraum vom 6. bis zum 20. März festgesetzt. Der Brief selbst trägt das Datum 11. März. „So etwas habe ich nie erlebt“, sagt Schröder und sieht Deutschland auf dem Weg zur „Bananenrepublik“.
Seit dem Ausbruch des Virus in China sei klar gewesen, dass auch hierzulande Vorbereitungen hätten getroffen werden müssen, sagt Schröder. Stattdessen würden Quarantänemaßnahmen viel zu spät angeordnet, seien Notrufnummern dauerbesetzt. Drei volle Tage lang habe er nach Bekanntwerden des Coronavirus-Falls versucht, einen Mitarbeiter der zentralen Hotline ans Telefon zu bekommen – erfolglos.
Coronavirus-Patient musste reanimiert werden
Ein anderer Fall hat Auswirkungen vor allem in Brandenburg. Die Schicht am vergangenen Freitag war keine wie jede andere: Gemeinsam mit einem Kollegen habe sie einen Patienten reanimiert, erzählt Monika Häusel (Name geändert) am Tag danach. Nicht das erste Mal im Berufsleben der 48-Jährigen.
Mehr als zehn Jahre arbeitet sie in der Notaufnahme eines großen Krankenhauses im Land Brandenburg. Der Patient habe überlebt, auch sonst sei „die Hölle los“ gewesen, berichtet sie. Nach 13 Stunden war Feierabend. Häusel setzte sich in den Regionalexpress. Nur noch nach Hause, nach Berlin-Mitte, wo die Ärztin lebt.
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Am Samstag dann der Griff zum Handy. Eine tags zuvor übersehene Sprachnachricht, eingegangen zu der Zeit, als Häusel sich gerade um frisch eingelieferte Patienten kümmerte. Eine Frauenstimme spricht, meldet sich als Mitarbeiterin des Gesundheitsamtes Berlin-Mitte: „Ich weiß nicht, ob Sie es jetzt schon erfahren haben, ob Sie schon jemand kontaktiert hat. Ich wollte Ihnen nur nochmal Bescheid geben, dass Sie auf jeden Fall noch das Testergebnis abwarten sollen. Wenn es negativ ist, können Sie ja raus.“
Plötzlich scheinen alle in Gefahr
Und wenn nicht? Die Frage schießt der Medizinerin sofort durch den Kopf. Genau wie Szenen des Vortages, die rund zehn Kollegen, mehr als 20 Patienten, zu denen sie Kontakt hatte. Plötzlich scheinen alle in Gefahr.
Dabei war die eigentlich gebannt. Am Donnerstag, dem Tag vor der Schicht, hatte die Frau vom Gesundheitsamt schon einmal eine Nachricht auf der Mailbox von Häusel hinterlassen. Sie hat sie gespeichert. „Ich rufe Sie an, um mit Ihnen über Ihre häusliche Quarantäne zu sprechen“, sagte die Mitarbeiterin und erklärte, die Quarantäne sei aufgehoben. Vier Tage zuvor hatte sich Häusel testen lassen. Ein aus Südtirol zurückgekehrter Kollege hatte Corona-Symptome gezeigt, kurz darauf war auch Häusel erkrankt.
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Warum das Quarantäne-Ende am Freitag plötzlich nicht mehr galt, wusste die Ärztin auch am Sonntag nicht. Dutzende Anrufe beim Gesundheitsamt blieben unbeantwortet, genau wie Mails mit Fristsetzung. Dramatisch an dem Fall: Häusel ist als Kontaktperson mit medizinischen Notfällen nicht nur „Multi-Multiplikatorin“, wie sie sagt.
Bei Infektion wird die gesamte Notaufnahme geschlossen
Ihr Testergebnis liegt schon seit Tagen vor. Am Donnerstag habe ihr das ein Mitarbeiter des Labors bestätigt, erklärt Häusel. Den Inhalt durfte er aus Datenschutzgründen nicht mitteilen. Weil das Gesundheitsamt Mitte bislang nicht in der Lage war, seiner Aufgabe nachzukommen, drohen massive Konsequenzen. Ist Häusel infiziert, müssen die Notaufnahme der Klinik geschlossen, Räume und Geräte desinfiziert werden.
Kollegen sowie die von ihr behandelten Patienten müssen unter Quarantäne gestellt werden. „In der Zeit können Menschen nicht behandelt werden, es drohen Tote“, sagt sie am Telefon. Die Parallele zur Charité ziehe nicht. Auch dort hatte die Notaufnahme vorübergehend geschlossen werden müssen, Patienten wurden auf andere Notaufnahmen aufgeteilt. In Brandenburg sind die Entfernungen dafür zu groß.
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