100.000 Selbstständige beantragen Soforthilfen: Corona-Schock legt Computer der Berliner Förderbank lahm
Ansturm von 100 000 Antragstellern lässt den Internetserver der landeseigenen IBB zusammenbrechen. Das Institut beschwichtigt.
Das Land Berlin hat den ersten großen Belastungstest zur Auszahlung finanziellen Hilfen für kleine Unternehmen nicht bestanden. Das Computersystem der landeseigenen Investitionsbank Berlin (IBB) brach am Freitag unter der Zahl der gestellten Anträge für die Auszahlung kurzfristiger Hilfen mehrfach zusammen. Nur ein Bruchteil der Anträge wurden bearbeitet. Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) warb um Nachsicht. „Auch wer erst später seinen Antrag stellen kann, wird sein Geld schnell und unbürokratisch erhalten“.
Mit einstündiger Verspätung hatten Berlins Freiberufler, Soloselbstständige und Unternehmen mit maximal zehn Beschäftigten ab 13 Uhr ihre Anträge auf Zuwendungen aus den Zuschussprogrammen von Bund und Land Berlin auf der Internetseite einreichen können – theoretisch. Doch die meisten kamen nicht durch.
Man habe beim Start bis zu 1000 Nutzer pro Sekunde auf dem System gehabt, sagte IBB Sprecher Jens Holtkamp. „Das schafft auch keine Postbank oder die KfW, die normal von 20 000 bis 100 000 Anträgen im Jahr ausgeht. Wir haben 60 000 an einem Tag“. Man arbeite mit Hochdruck daran, das Problem zu beheben. Besucher der Internetseite wurden aufgefordert, sie mögen es später noch einmal versuchen – zum Beispiel an den Tagesrandzeiten.
Als Angaben verlangt die IBB nur die Postadresse, die Rechtsform der Firma, ein Ausweisdokument, die Steuer-ID und eine Bankverbindung. Je nach Betriebsgröße können Antragsteller damit bis zu 15 000 Euro Soforthilfe beantragen. „Die IBB ist ein vergleichsweise kleines Institut und hat es binnen dreier Tage geschafft, diesen Prozess aufzusetzen.
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten bis zur Erschöpfung, um alle Anträge zu bearbeiten. Das verdient Respekt. Und es ist unerträglich, wenn sich das Personal von einigen Antragstellern am Telefon oder per E-Mail beschimpfen lassen muss“, sagte Senatorin Pop.
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Kunden sollen Verständnis zeigen
Die IBB sei zudem die einzige Stelle in Berlin, die Anträge bearbeite, weil sich viele Hausbanken, die sonst gutes Geld mit Berlins Firmen verdienen würden, noch vor ihrer Verantwortung in dieser Krise drücken würden. Pop sagte, Kunden müssten nun ein wenig Verständnis zeigen. „Auch wer in den nächsten Tagen durchkommt, wird Geld erhalten. Anders als andere Förderbanken weist die IBB die Zahlungen umgehend an.“
Bearbeitung und Auszahlung stellt die IBB innerhalb weniger Tage in Aussicht. Das wären dringend benötigte Hilfen für Freiberufler, kleine Gewerbetreibende, Agenturen, Kanzleien. Bewilligt sind die Mittel bereits: Abgeordnetenhaus und Bundestag hatten Mitte der Woche die dafür nötigen Gesetze im Eilverfahren verabschiedet. Am Freitag folgte der Bundesrat.
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Die IBB als abwickelndes Förderinstitut hat damit begonnen, ihre Prozesse anpassen und nachrüsten. Einfach mehr Rechenleistung anzumieten – etwa beim weltgrößten Speicherplatzanbieter Amazon – geht offenbar nicht. „Aufrüsten via Amazon und Co über die Cloud können wir aus Datenschutz und Sicherheitsgründen nicht machen“, erklärte Holtkamp. „Wir nehmen keine Bestellungen für Ware entgegen, sondern weisen Anzahlung in dreistelliger Millionenhöhe an.“
Also müssen organisatorische Verbesserungen greifen. So rief die IBB auf ihrer Homepage etwas unglücklich formuliert die „Vorfahrt für Corona“ aus. Soll heißen: Anträge für andere Programme der Wirtschaftsförderung würden bis zum 1. Mai pausieren. Zudem hat die Bank ein Warteschleifenmanagementsystem installiert, das Transparenz schaffen und so Frust abbauen soll: 35 Minuten Zeit haben Antragsteller, um sich einzuloggen, dann eine volle Stunde Zeit, um den Antrag zu stellen. Das geht zwischen 6 und 23 Uhr. „Dann legen wir eine Erfassungspause ein, damit alle auch schlafen können“, erklärt IBB-Sprecher Holtkamp.
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Sachbearbeiter können rund 3.400 Anträge am Tag schaffen
Immerhin 200 Anträge habe das Team in der ersten Stunde bearbeiten können. Halten die Sachbearbeiterinnen und -arbeiter dieses Tempo durch, würden sie demnach rund 3400 Anträge am Tag schaffen, also offensichtlich zu wenig für die mehr als 100 000 Personen, die die Warteschleife am Nachmittag anzeigte. Insgesamt sind in Berlin rund 240 000 Unternehmen registriert, inklusive Soloselbstständiger ohne weitere Mitarbeiter, aber in der Regel durchaus mit finanzieller Verantwortung für Familienangehörige zum Beispiel.
Insofern war kaum überraschend, dass einige in den Sozialen Medien Frust über den digitalen Antragsstau abließen. Christian Miele vom Bundesverband Deutsche Startups schrieb auf Twitter: Wenn man hier nicht so schnell wie möglich einen skalierbaren Weg von der Beantragung bis zur Auszahlung finde, „endet das in einem ungeheuerlichen Debakel“.
Jan Eder, der Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK), zeigte derweil Verständnis. „Die IBB ist mit einem historisch beispiellosen Andrang konfrontiert, dass technische und personelle Kapazitäten an Grenzen stoßen, ist nachvollziehbar.“ Gleichzeitig sei aber auch der Ärger der Unternehmer verständlich, befänden sie sich doch in einer existenzbedrohenden Notlage und seien auf schnelle finanzielle Hilfen dringend angewiesen. „Hier sind auch Politik, Verwaltung und die Hausbanken gefragt, die IBB mit allen Kräften zu unterstützen.“
Persönliche Daten von Antragsteller gingen an fremde Person
Am Abend meldete sich beim Tagesspiegel ein Kameramann, der ebenfalls Stunden in der Warteschleife und mit der Antragsstellung verbracht hatte. Eine Bestätigungsmail bekam er nicht. Stattdessen seien am Ende seine gesamten persönlichen Daten in einem PDF an eine ihm völlig unbekannte Person gegangen. Die Person, eine Frau, habe ihm daraufhin eine Mail geschickt, um ihn darauf hinzuweisen. Bei den persönlichen Angaben handelte es sich um die Kontonummer, die Personalausweisnummer, Steuer-ID sowie weitere hochsensible Daten. Bei Facebook habe er gesehen, dass dies offensichtlich nicht nur ihm, sondern auch anderen Personen passiert sei. Es könnte also gut sein, dass die IBB sich demnächst auch noch für einen Datenskandal rechtfertigen muss.