Kraniche in der Uckermark: „Charly“ hebt nicht ab
Die Kraniche sammeln sich zum Abflug gen Süden. Nur einen interessiert das nicht. Er will in Brandenburg bleiben.
„Charly“ hat keinerlei Berührungsängste. Mit einem stetigen Piepsen stakst der junge Kranich hinter Eberhard Henne her. Auch vor Besuchern, die das Anwesen des ehemaligen Brandenburger Umweltministers nahe Greiffenberg (Uckermark) betreten, schreckt der neugierige Vogel nicht zurück. Das Zuhause seiner Zieheltern liegt direkt am Radweg Berlin–Usedom und war im Sommer stark frequentiert. Der junge Kranich ist daher auch an Fremde gewöhnt.
„Charly hat quasi immer Hunger“, sagt Henne, während er in die Küche geht, den stubenreinen Vogel im Schlepptau. Mehlwürmer, Schaben, Heuhüpfer und Geflügelherzen stehen auf dem Kranich-Speiseplan. Mais, den Artgenossen aufgrund seines Energiereichtums schätzen, findet der Jungvogel hingegen uninteressant – wie das Rufen der Kraniche, die sich auf den Feldern ringsum sammeln, um spätestens Ende Oktober nach Süden zu ziehen. „Das ist sehr bedauerlich“, sagen Henne und seine Frau Beate Blahy unisono, „wir hatten gehofft, ihn auswildern zu können.“
"Charly" verlor seine Eltern
Am 10. Mai war das damals etwa 200 Gramm schwere Kranichküken in die Obhut des pensionierten Tierarzts und seiner Frau gekommen, die in der Verwaltung des Biosphärenreservats Schorfheide-Chorin arbeitet. Beide haben schon mehrfach Kraniche großgezogen, verletzte Vögel gesund gepflegt und wieder ausgewildert. Und beide sind Mitglieder der Brandenburger Landesarbeitsgruppe Kranichschutz. „Henne ist der Urvater des Kranichschutzes in Brandenburg. Er und seine Frau sind die absoluten Spezialisten“, sagt Ralf Donath, Sprecher der Arbeitsgruppe. „Charly“ verlor seine Familie in der Nähe von Brandenburg an der Havel, als ein Motorisierter durch das Brutgebiet raste. Die Altvögel rissen aus, die Küken blieben zurück. Irgendwie verschlug es eines davon an einen Müllplatz in Charlottenhof (Potsdam-Mittelmark). Die Suche nach den Elterntieren blieb erfolglos.
Mehrmals am Tag gehen sie mit dem Kranich spazieren
Die Zeit bei den Elternvögeln war offenbar zu kurz, als dass sie das Küken geprägt hätten. „Deswegen ist er nun auf uns Menschen fixiert, er kennt quasi nichts anderes“, erläutert Anne Grohmann von der Staatlichen Vogelschutzwarte Nennhausen (Havelland). Die größte europäische Vogelart würde den Nachwuchs den ganzen Tag lang führen. Deswegen folge „Charly“ seinen menschlichen Eltern auch auf Schritt und Tritt.
Dass das Tier so zahm werden würde, sei dennoch nicht absehbar gewesen, sagt Blahy. Noch wirkt der inzwischen etwa drei Kilogramm schwere „Charly“ mit seinem grauen Jungvogel-Federkleid recht unscheinbar. Die prächtigen Schmuckfedern am Schwanz und das typische rote Kopfgefieder wachsen ihm erst im nächsten Jahr. Dann kommt er auch in den Stimmwechsel, das Piepsen verschwindet. Werden männliche Kraniche geschlechtsreif, verhalten sie sich zunehmend aggressiv und verteidigen ihr Revier. Im Falle von „Charly“ wäre es das Grundstück von Henne und Blahy. Seine Zieheltern geben die Hoffnung noch nicht auf, ihn doch noch auswildern zu können. Mehrmals am Tag gehen sie mit dem Schreitvogel spazieren, um ihm die natürlichen Futterquellen nahezubringen.
Jeannette Bederke
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