Hitzige Debatte über Islamismus im Berliner Senat: CDU wirft Rot-Rot-Grün Feigheit vor – SPD-Senator Geisel wehrt sich
Innensenator Andreas Geisel plant ein Anti-Terrorkonzept. Islam-Verbände verurteilen Hassprediger in einem offenen Brief und planen interreligiöses Gedenken.
In Wien, Paris, Nizza oder Dresden morden Islamisten. In Berlin halten einige muslimische Schüler die Enthauptung des französischen Lehrers Samuel Paty für gerechtfertigt. Auf der Neuköllner Sonnenallee werden Masken des französischen Präsidenten Emmanuel Macron verbrannt. Es gab genug Anlässe, damit sich das Berliner Abgeordnetenhaus am Donnerstag mit islamistisch motiviertem Terror beschäftigte – und seiner Prävention.
Innensenator Andreas Geisel kündigte im Parlament ein „umfangreiches Anti-Terrorkonzept“ an. „Das werde ich noch in diesem Jahr vorlegen“, erklärte der SPD-Politiker und verwies auf die in den vergangenen Jahren von Terrorakten getroffene Metropole London.
Dort gebe es ein solches Konzept bereits. Nach Tagesspiegel-Informationen wird das Papier wohl im Dezember vorgelegt. Es sollen die Bereiche Prävention, Strafverfolgung, nachrichtendienstliche Arbeit und internationale Kooperation zusammengedacht werden.
„Ich kann die Feigheit nicht mehr ertragen, die Menschen davon abhält, die Probleme anzusprechen und anzugehen“, rief dagegen CDU-Fraktionschef Burkard Dregger in Richtung rot-rot-grüner Regierungsbank.
Zu Aufrichtigkeit und politischer Führung gehöre es auch, „unbequeme Wahrheiten zu nennen und Konsequenzen zu ziehen“, fuhr Dregger fort. Er warf der Koalition vor, mit „Antidiskriminierungkohorten“ – gemeint war wohl das bundesweit erste Antidiskriminierungsgesetz – Polizei und Verfassungsschutz von ihrer eigentlichen Arbeit abzuhalten: dem Kampf gegen Terror.
Schlagabtausch zwischen Geisel und Dregger
Innensenator Geisel entgegnete, es habe unter seiner Führung „umfangreiche Verbesserungen für die Sicherheitsbehörden der Stadt“ gegeben und warf der CDU vor, mit den von ihr vorgeschlagenen Maßnahmen wie der Ausweitung der Videoüberwachung hätte keiner der jüngsten Gewaltakte verhindert werden können.
„Sie bieten Lösungen für Probleme, die wir nicht haben. Für die eigentlichen Probleme bieten Sie keine Lösung“, sagte Geisel an die Adresse von Dregger und warf dessen Partei vor, im Bereich der Sicherheitspolitik nur auf Show zu zielen.
„Wir brauchen einen starken Verfassungsschutz in dieser Stadt“, appellierte Paul Fresdorf, innenpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion, an den Senat. Er rief die Muslime in der Stadt dazu auf, sich lautstark gegen Gewalttaten im Namen der Religion aufzulehnen und formulierte an deren Adresse: „Werden sie Verfassungspatrioten!“
Zuvor hatten sich, wie berichtet, Lehrerverbände erschüttert über einige muslimische Schüler gezeigt, die Sympathie für die Ermordung von Samuel Paty geäußert hatten.
Muslimische Verbände verurteilen Terrorakte
Schon am Mittwoch hatten sich verschiedene Berliner Islam-Verbände und muslimische Interessenorganisationen zusammengetan und auf Initiative von Mohamed Taha Sabri, Imam der Neuköllner Begegnungsstätte (NBS), einer der größten Berliner Moscheevereine, einen offenen Brief geschrieben. Darin verurteilen sie die Terrorakte scharf.
„Aus unserer Überzeugung heraus verurteilen wir vorbehaltlos alle verübten Gewaltakte und rufen zu Solidarität mit den Menschen auf, die unmittelbar das Grauen des Terrors erlebt haben“, heißt es in dem Schreiben, das von 17 verschiedenen Vereinen und Verbänden unterzeichnet wurde.
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Es schmerze, dass „sich Unmenschen (...) auf unseren Glauben berufen“, heißt es weiter. Der Brief endet mit einem Appell an Muslime: „Lasst uns mit noch mehr Menschlichkeit und Liebe gegen die Vereinnahmung unseres Glaubens vorgehen und jungen Menschen zeigen, dass Hassprediger die Botschaft unseres Glaubens nicht verstanden haben.“
Deutlich unversöhnlicher klang der Tonfall am Donnerstag im Parlament. Der CDU-Innenpolitiker Stephan Lenz verärgerte vor allem die Grünen massiv, als er sagte: „Überprüfen Sie doch mal ihr Verhältnis zum Islamismus, erklären Sie ihr Verhältnis zum Verfassungsschutz.“
Gemeint war Grünen-Innenexperte Benedikt Lux, der in Berlin auch Polizeistudierende ausbildet. Lux wies die Aussage von Lenz als „Frechheit“ zurück. Grünen-Fraktionschefin Antje Kapek forderte eine Erklärung von CDU-Fraktionschef Dregger.
Zuvor hatte schon die AfD die Debatte genutzt, die aus ihrer Sicht nachlässige Bekämpfung islamistischer Umtriebe in der Stadt anzuklagen und dem Senat vorgeworfen, diese indirekt zu unterstützen. „Es gibt viele Beispiele, wie Linke und Grüne Islamismus fördern“, sagte AfD-Abgeordneter Hanno Bachmann und warf den Koalitionären vor, berechtigte Kritik am radikalen Islam als „Islamophobie“ zu diskreditieren.
Rot-Rot-Grün eröffne ein „scheunengroßes Einfallstor für Islamisten“, erklärte Bachmann und nannte als Beispiel die Zusammenarbeit mit der türkisch-islamischen Organisation Ditib, die unter anderem Mitglied im Berliner Islamforum ist.
Zentralrat der Muslime organisiert interreligiöses Gebet
Innensenator Geisel unterstellte der AfD im Gegenzug, keine anständige politische Debatte zu suchen, sondern Streit, Hetze, Unversöhnlichkeit und Unruhe zu säen. „Ein Islamist ist ein Islamist, und wenn er tötet, ist er ein Mörder. Nicht jeder, der an Allah glaubt, ist ein Islamist“, sagte Geisel.
Zu Beginn der Sitzung hatte das Abgeordnetenhaus den Opfern der Anschläge in Wien, Nizza, Paris und Dresden sein Beileid ausgesprochen und eine Schweigeminute durchgeführt. Parlamentspräsident Ralf Wieland (SPD) rief dazu auf, Freiheit und Demokratie nicht dem Hass zu opfern.
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Der Zentralrat der Muslime, dessen Landesgliederung sich am offenen Brief der Islam-Verbände beteiligt hatte, will am Freitagnachmittag ein interreligiöses Gebet zum Gedenken an die Opfer des Terroranschlags von Wien abhalten. Bei der Gedenkveranstaltung vor der österreichischen Botschaft in der Stauffenbergstraße am Tiergarten werden der österreichische Botschafter Peter Huber, der Bischof des Erzbistums Berlin, Heiner Koch, der Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Christian Stäblein, und Andreas Nachama, Vorsitzender der Allgemeinen Rabbinerkonferenz, sprechen.
Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, sagte, man sehe schweren Herzens davon ab, im Freitagsgebet zur Teilnahme an der Gedenkveranstaltung aufzurufen. Eine Massenansammlung solle aus epidemiologischen Gründen vermieden werden.