Ein Jahr Rot-Rot-Grün in Berlin: CDU beklagt Michael Müllers "unerträgliche Führungsschwäche"
Seit einem Jahr regiert Rot-Rot-Grün. Die Union, seitdem wieder Opposition, zieht Bilanz. Eine neue Umfrage zeigt, wie der Berliner heute wählen würden.
Die Wahrnehmung könnte nicht unterschiedlicher ausfallen: Was für die einen ein Erfolg, ist für die anderen eine Katastrophe. Ein Jahr rot-rot-grüne Koalition in Berlin – Zeit für Bilanzen. So finden sich am Freitag Journalisten sowie ein Mitarbeiter der AfD-Fraktion, der offenbar mal horchen wollte, was die Konkurrenz so mit der Presse bespricht, auf Einladung der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus in einem hellen Raum mit bereitgestellten Schnittchen wieder. An den Wänden hängen zwei Monitore, die wechselnd Bilder zeigen. Zum Beispiel das dreier Kinder mit verrutschten Partyhüten, gelangweilten Mienen, jedes hat die Wange auf eine Hand gestützt, darunter der Spruch „Ein Jahr Rot-Rot-Grün – Wir haben nichts zu feiern“, #nichtmeineparty.
„Für uns ist es wichtig, seriöse Oppositionspolitik zu machen. Den Klamauk können wir hier anderen überlassen“, wird Florian Graf, CDU-Fraktionsvorsitzender, etwas später sagen. Die Image-Kampagne mit den Bildern (etwa ein pöbelnder Mann am Steuer und der Spruch: „Autofahrer? Wir haben nichts zu feiern“), ist also kein Klamauk? Das nenne er Humor, wehrt Graf ab. Wichtig sei gute Arbeit im Parlament. Und die CDU will sich bereit machen. Bereit für den Wechsel, auch wenn noch lange keine Wahl in Berlin ansteht.
Die CDU ist verärgert
„Rot-Rot-Grün ist mit dem Anspruch des guten Regierens angetreten, mein Eindruck ist, es ist eher ein Scheitern auf allen Ebenen“, sagt Graf mit ernstem Gesicht. Kein Anzeichen, dass er damit übertreiben könnte. Die Probleme seien immens, Rot-Rot-Grün bremse den Wohnungsbau aus, verschärfe die Wohnungsnot, die Situation an den Schulen verschlimmere sich, nicht nur an Gebäuden, auch beim Lehrermangel, die Behörden würden kollabieren, bei der Verkehrspolitik herrsche Chaos. Nicht zuletzt sei nach 2000 und einem Tag Nichteröffnung BER klar geworden, dass das der eigentliche SPD-Skandal der Stadt sei, der die Bürger verzweifeln lasse.
Graf holt noch weiter aus: „Wenn ich dieses Jahr resümiere, bleibt bei mir die unerträgliche Führungsschwäche des Regierenden Bürgermeisters hängen.“ Michael Müller zeichne sich dadurch aus, dass er jedes kritische Thema aussitze. „So war es bei Herrn Holm, so war es bei Air Berlin.“ Doch einen Spitzenwert habe Müller erreichen können, sagt Graf, nicht ohne Häme: „Die rot-rot-grüne Koalition ist so unbeliebt wie keine andere Landesregierung bundesweit. Und er ist der unbeliebteste Regierungschef.“
Wie beliebt ist die Regierung?
Gegenschnitt. Auszug aus einem Antrag des Landesvorstandes der Linken zu ihrem Landesparteitag. Am heutigen Sonnabend trifft sich die Berliner Linke zur Generalaussprache auf dem Wista- Gelände in Adlershof. In dem Antrag findet sich der Satz: „Rot-Rot-Grün ist die beliebteste politische Bündnisoption der Berliner*innen – sowohl für den Bund als auch für die Stadt.“
Noch ein Gegenschnitt.
Würde heute das Abgeordnetenhaus gewählt werden, wäre nach den Umfragen des Instituts Civey, mit dem der Tagesspiegel kooperiert, die CDU stärkste Kraft mit 21,3 Prozent. Doch es stimmt, Linke (18,5 Prozent), SPD (16,6 Prozent) und Grüne (14,9 Prozent) hätten zusammen noch immer eine Mehrheit. Die AfD läge mit 11,2 Prozent vor der FDP mit 8,7 Prozent. Aber beliebt?
Was für die einen ein Erfolg ...
Zurück bei der CDU sagt Graf, er wisse, man dürfe Umfragen nicht überbewerten. Doch die CDU an der Spitze erfreut ihn sichtlich. „Sollte der Senat zusammenbrechen, stehen wir sehr gut da, das zu bewältigen.“ Mit eigenen Konzepten, als Beispiel nennt er den „Masterplan Wohnen“, den die CDU begonnen hat, zu entwickeln. Bezahlbaren Wohnraum schaffen und Eigentumsbildung stärken. Für die Schulsanierungen schlägt sie eine radikale Vereinfachung der Verfahren vor. Die Besoldung der Beamten im Land müsse es mit der Besoldung der für den Bund Tätigen aufnehmen können – mit denen konkurriere das Land schließlich am Standort Berlin, wenn es um Fachkräfte geht.
Welche Themen für die Stadt aus CDU-Sicht wichtig sind, haben Graf und CDU-Landeschefin Monika Grütters in einem Brief an die Bundesführung zusammengefasst. Beim Thema Tegel offenhalten erhoffe man sich Rückendeckung, auch bei etwaigen Koalitionsverhandlungen. „Tegelretter“ FDP könne das Thema ja nicht mehr angehen. „Ich stelle fest, Herr Lindner kann den Finger hier nicht mehr heben. Er soll ihn aber auch nicht auf andere richten, wenn er sich aus der Verantwortung zieht“, sagte Graf. Dass die Berliner FDP „so zufrieden“ damit sei, dass die Partei nicht Teil der Regierung werde, habe Graf darum überrascht. Auch in der Opposition scheint zu gelten: Was für die einen ein Erfolg...
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