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Lernwillig. Aylin Sener, 21, (links) und Adriana, 19, sind zwei von 18 Schülerinnen, die am Campus Rütli ihr Abitur bestanden haben. Die Verhältnisse vor dem Brandbrief können sie sich nicht mehr vorstellen.
© Kitty Kleist-Heinrich

Frühere Problemschule in Neukölln: Campus Rütli: War da mal was?

Acht Jahre nach dem Brandbrief machen die ersten Rütli-Schüler in Neukölln Abitur. Aus der einst verrufenen Schule in Berlin ist ein Vorzeige-Campus geworden.

Vor acht Jahren klang es noch so: „Türen werden eingetreten, Papierkörbe als Fußbälle missbraucht, Knallkörper gezündet und Bilderrahmen von den Flurrahmen gerissen. (…) Gegenstände fliegen zielgerichtet gegen Lehrkräfte durch die Klasse. (…) Der Intensivtäter wird zum Vorbild“. Das sind Sätze aus dem berüchtigten Brandbrief, den die Lehrer der Neuköllner Rütli-Schule 2006 schrieben und in dem sie erklärten, dass sie angesichts der Probleme, die an der Schule kulminieren, ratlos seien, und die Auflösung der Schulform Hauptschule forderten.

Heute klingt es so: „Ich bin aus einem beschaulichen Gymnasium in Niedersachsen bewusst an diese Schule gekommen und habe es noch keinen Tag bereut. Die Schüler sind toll, geradeheraus, das Kollegium engagiert und jung, und es gibt eine sehr persönliche, vertrauensvolle Atmosphäre.“ Das sagt Lehrer Giorgio Paschotta, der vor vier Jahren in Neukölln anfing.

Was nach dem Brandbrief folgte, war erst ein gewaltiges Beben in den Medien und dann eine beispiellose Anstrengung, die Rütli-Schule von der Schule mit dem schlimmsten Ruf in eine Vorzeigeschule zu verwandeln. Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD) machte das Projekt zur Chefsache, der Senat beteiligte sich, Christina Rau wurde Schirmherrin, Stiftungen und Quartiersmanagement engagierten sich. Schulpsychologen und Sozialarbeiter kamen dazu, die auch Türkisch und Arabisch sprachen, die Elternarbeit wurde verstärkt, das ganze Konzept umgekrempelt. Aus der Rütli-Schule wurde der Campus Rütli, auf dem Areal zwischen Weserstraße und Pflügerstraße in Nordneukölln gibt es Kitas, Sport- und Freizeitstätten und das Herzstück, die Gemeinschaftsschule, in der gleich drei Schulen fusioniert wurden: die Franz-Schubert-Grundschule, die Rütli-Hauptschule und die Heinrich-Heine-Realschule.

Vor drei Jahren wurde dort dann die gymnasiale Oberstufe aufgebaut, und jetzt hat der erste Jahrgang Abitur gemacht. 23 Schülerinnen und Schüler sind es in der 13. Klasse, 18 haben alle Prüfungen bestanden, fünf haben immerhin den schriftlichen Teil des Fachabiturs in der Tasche. Einer der Abiturienten ist der 19-jährige Schirin. Der Sohn irakischer Einwanderer will jetzt Maschinenbau studieren und hat einen Schnitt von 2,4. Angefangen hat er als Hauptschüler. „Damals war ich ziemlich demotiviert“, erzählt er. „Doch es gab Lehrer, die an mich geglaubt haben und mir gesagt haben, dass ich doch ein schlauer Bursche sei. Und dann hat es irgendwann klick gemacht.“ Er fühlt sich auch als Vorbild für seine sechs Geschwister, und seine Mutter sei stolz auf ihn. „Ich bin der Erste in der Familie, der Abitur macht.“ Auch seine Mitabiturientinnen Adriana und Aylin wollen gleich weiterlernen und ein Studium beginnen, Grundschulpädagogik und BWL.

Am Freitag bekommen sie ihre Abiturzeugnisse, Bürgermeister Heinz Buschkowsky und Bildungsstadträtin Franziska Giffey kommen zur feierlichen Übergabe, auch ein hochrangiger Vertreter der Senatsbildungsverwaltung wird dabei sein.

Stolz auf ihre Abiturienten ist auch Schulleiterin Cordula Heckmann. „Nur zwei von ihnen hatten nach der Grundschule eine Gymnasialempfehlung. Jetzt zeigt sich, warum wir hier gestartet sind.“ 2009 übernahm Heckmann die Leitung der Gemeinschaftsschule. Sie spricht von der Anstrengung, gleich drei Schulen zusammenzubringen, und einem Mentalitätswandel, der inzwischen stattgefunden hat: „Wir unterrichten keine Klassen, sondern Schüler.“ Individuelle Betreuung und Förderung, darauf legt sie Wert. Die nächste Herausforderung steht bevor: Der Campus soll ausgebaut werden, auf dem Gelände einer ehemaligen Kleingartenkolonie entstehen Werkstätten, auf dem Schulhof ein Erweiterungsbau für die Grundstufe. „Das wird ein Kraftakt, den Unterricht bei den laufenden Bauarbeiten zu organisieren“, sagt Ilse Wolter, die Projektleiterin des Campus Rütli.

Auch bei den Schülern hat es offenbar einen Mentalitätswandel gegeben. Die Zustände aus dem Brandbrief kennen die jetzigen Kinder und Jugendlichen auf dem Campus nur noch vom Hörensagen. So ganz glauben können sie nicht, dass es damals so war. „Wir werfen ganz bestimmt nichts nach den Lehrern“, sagt die 16-jährige Zainab. „Wenn wir ein Problem haben, gibt es immer jemanden, der uns hilft. Ich fühle mich hier total wohl.“

Sylvia Vogt

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