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Die ersten Elftklässler der neuen Oberstufe am Campus Rütli bereiten sich aufs Abitur vor.
© Kai-Uwe Heinrich

Neuköllner Schulen: Sie können auch anders

Zwei Schulen, die mal ganz unten waren, sehen wieder Licht am Horizont – und können Erfolge vorweisen. An der Rütli- und Heinrich-Mann-Schule in Neukölln geht es aufwärts. Aber der Weg ist beschwerlich.

Als Tina im letzten Jahr zum Campus Rütli kam, um Abitur zu machen, war sie auf alles gefasst. „Die schlagen sich da, und Deutsche werden als Schweinefleischfresser beschimpft“, lautete die Botschaft, die sie von ihren Lichtenberger Klassenkameraden auf den Weg bekam. Und dann das: „Die Siebtklässler halten einem die Türen auf. Ich habe hier noch nie etwas Schlechtes erlebt“, erzählt die 18-Jährige nach einem halben Jahr Neukölln.

Tina hat sich mit ein paar Klassenkameraden zusammengesetzt, um zu berichten, wie es sich anfühlt, in Deutschlands ehemals verschrienster Schule zum ersten künftigen Abi-Jahrgang zu gehören. Die „1. Gemeinschaftsschule Neukölln“, wie der Zusammenschluss von Rütli-Hauptschule und Heinrich-Heine-Realschule heißt, hat es aus dem Stand geschafft, rund 40 Schüler für die erste elfte Klasse in ihrer rund 100-jährigen Geschichte zu gewinnen. Wer tut sich das an, an diesem Experiment teilzunehmen?

„Ich habe hier 2010 den Mittleren Schulabschluss abgelegt. Leider gab es damals noch keine gymnasiale Oberstufe“, berichtet Rozan, 17. Ein Jahr lang hat sie dann ein Oberstufenzentrum besucht, aber ihre Noten waren nicht so gut, und so kam sie zurück zum Campus Rütli. Schulleiterin Cordula Heckmann hat Rozan darin bestärkt, es an ihrer alten Schule zu versuchen, „denn wo ein Wille ist, ist auch ein Weg, wenn man fleißig ist“, sagt Rozan.

Rozans Geschichte ist ziemlich typisch für die ersten Oberstufenschüler an der ehemaligen Problemschule. Viele von ihnen haben es zwischendurch woanders probiert und sind dann zurückgekommen, weil sie wussten, dass sie vom Rütli-Kollegium individueller unterstützt werden als dies in einer Schule mit großer Oberstufe möglich wäre.

„Wir werden hier richtig bemuttert“, beschreibt die 18-jährige Ezgi die starke Unterstützung, die sie erfährt, und Mohamad, 17, gibt ihr Recht: „Wenn man etwas nicht versteht, wird es eben noch mal erklärt“.

Cordula Heckmann, Leiterin der Rütlischule.
Cordula Heckmann, Leiterin der Rütlischule.
© Kai-Uwe Heinrich

Die ehemalige Rütli-Schule ist wild entschlossen, diesem Jahrgang nach Kräften zu helfen, „denn er ist damals in den schwierigen Jahren nach dem Brandbrief durch den Rost gefallen“, erinnert sich Cordula Heckmann. In den sechs Jahren sei „kein Stein auf dem anderen geblieben“. Alles wurde umgekrempelt, das Kollegium, das Konzept, und die Idee des Campus Rütli entstand. Es gab viel Unterstützung durch die Freudenberg-Stiftung, durch den Senat und den Bezirk, aber ein Selbstläufer sei das trotzdem nicht gewesen, betont Klaus Lehnert.

Der ehemalige Direktor des angesehenen Albert-Einstein-Gymnasiums in Britz war frisch pensioniert, als er 2007 vom Bezirk gebeten worden, als Koordinator des Campus Rütli zu fungieren. Damals hätte er sich nicht träumen lassen, dass er im Jahr 2012 noch immer mit der Aufgabe beschäftigt sein würde: Sie lässt ihn offenbar nicht mehr los.

„Es geht darum, ungenutzte Potentiale zu entdecken“, beschreibt Lehnert die Bestimmung des Campus Rütli. Anders ausgedrückt: Auch in einem der sozial schwierigsten Kieze der Republik gibt es Jugendliche, die das Abitur schaffen können - wenn man ihnen die notwendige Unterstützung zukommen lässt. „Wir haben einen dramatischer Rückgang von Schülern ohne Abschluss“, verkündet Lehnert nicht ohne Stolz. „Der Beweis ist erbracht: Es geht!“, lautet deshalb sein Resümee nach fünf Jahren Camps Rütli. In seinen Augen ist Rütli deshalb „ein Mutmacher“, der inzwischen auch von den Eltern angenommen wird: Immerhin 109 Anmeldungen gibt es für die 96 Plätze in den siebten Klassen, was das Schulamt gleich zu der Meldung veranlasste, dass die Schule die „erfolgreichste“ des ganzen Bezirks sei. Gemeint war damit, dass sie bei den Anmeldezahlen die höchste Steigerungsrate hatte. Immerhin.

Muss eine Schule erst Brandbriefe schreiben, damit sich etwas tut?

So weit ist die Heinrich-Mann-Schule noch nicht. Sie liegt auch in Neukölln, sie hat auch eine schwierige Vorgeschichte, aber ihr Brandbrief liegt erst weniger als ein Jahr zurück. Dennoch hat sich auch hier schon viel getan. Das Kollegium arbeitet mit den Schülern in „Lernbüros“. Hier können sie für zwei Stunden am Tag selbständig Themen behandeln und ihre Erfolge in einem „Logbuch“ festhalten. Außerdem wurden die siebten Klassen mit Whiteboards ausgerüstet, neue Lehrer wurden eingestellt und auch der neue Rektor Rudolf Kemmer trat seinen Dienst an. Kemmer gilt als Glücksfall, weil er nicht nur ausgebildeter Hauptschullehrer und Schulpsychologe ist, sondern auch eine Montessorischule geleitet hat und pädagogischer Berater deutscher Schulen in Südamerika war und entsprechend weltläufig agiert. Kemmer berichtet davon, dass es inzwischen schon einzelne Eltern gibt, die Verantwortung übernehmen wollen. Auch die Kooperation mit Oberstufenzentren geht voran.

Rudolf Kemmer, Direktor der Heinrich-Mann-Schule, begrüßt morgens seine Schüler persönlich.
Rudolf Kemmer, Direktor der Heinrich-Mann-Schule, begrüßt morgens seine Schüler persönlich.
© Mike Wolff

Aber Kemmer redet nicht drumherum und spricht offen aus, dass er „eine schwierige Schule“ leitet. Dass es „Einzelfälle gibt, wo es nicht klappt, aber ich würde hier nicht sitzen, wenn ich nicht glaubte, dass man es schaffen kann.“ Er geht davon aus, dass man „eine Generation von Schülern braucht“, also vier bis fünf Jahre, um eine Schule zu verändern. Andererseits: „Die Kinder sind offen, und es ist ein starker Wunsch nach Beziehung zu spüren“. Deshalb macht es Kemmer auch Freude, ebenso wie Heckmann morgens ab 7.30 Uhr am Eingang zu stehen und alle Schüler persönlich zu begrüßen. Inzwischen spüre er „eine gewisse Aufbruchstimmung“ und ansonsten halte er es mit der Erkenntnis, „dass Rom auch nicht an einem Tag gebaut wurde“.

Muss eine Schule also erst Brandbriefe schreiben, damit es bergauf geht? Detlef Pawollek hält das nicht für ein Patentrezept. Seine Schule, die Neuköllner Löwenstein-Hauptschule, wurde im Zuge der Sekundarschulreform mit der Röntgen-Realschule fusioniert und hatte dieses Jahr immerhin 114 Anmeldungen für 100 Plätze. Pawollek wünscht sich mehr Eigenverantwortung und eine Politik, die für mehr Geld kämpft. „Denn wir verwalten eine Unterversorgung“. Seine Kollegen, die im Schnitt 56 Jahre alt sind, müssen keinen Brandbrief schreiben, damit er weiß: „Sie stoßen an ihre Grenzen“ - in diesem Kiez, unter diesen Bedingungen.

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