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November 2011: Nach Ermittlungen um einen missglückten Banküberfall in Arnstadt und ein explodiertes Wohnhaus in Zwickau sieht sich die Bundesrepublik erstmals seit der Wiedervereinigung mit rechtsextremem Terror in größerem Ausmaß konfrontiert. Schnell ist die Rede vom Jenaer Neonazi-Trio um Beate Z. (36), Uwe B. (34) und Uwe M. (38). Ihre Spur lässt sich bis in die 90er Jahre zurückverfolgen.
© dapd

NSU-Skandal: Brandenburger Verfassungsschutz verhinderte Festnahme des NSU-Trios

Das Innenministerium in Brandenburg hat offenbar 1998 die Festnahme der Terrorgruppe NSU verhindert. Im Landtag wird nun ein Untersuchungsausschuss wahrscheinlich. Selbst die Linken, die mitregieren, fordern Aufklärung.

Der Druck zur Aufklärung des NSU-Skandals samt Verwicklungen des Brandenburger Verfassungsschutzes durch den Landtag wächst. Gründe dafür gibt es mehrere: Zunächst war es das Auftreten eines V-Mann-Führers der Verfassungsschutzabteilung des Brandenburger Innenministeriums im Münchner NSU-Prozess vor zwei Wochen. Kaugummikauend trat der in den Zeugenstand und erklärte dann zu seiner Vorbereitung auf die Aussage, gelegentlich geheime Unterlagen in seinem Behördenpostfach gefunden zu haben.

Der zweite Grund: Die Aussage des V-Mann-Führers bestätigte bisherige Erkenntnisse, dass der Brandenburger Verfassungsschutz die Mordserie des NSU-Trios hätte verhindern können. Nun legen die Anwälte der NSU-Opfer nach: „Das Innenministerium hat die Festnahme der drei vereitelt und so die spätere Mordserie des NSU ungewollt erst ermöglicht“, sagte Thomas Bliwier von der Hamburger Kanzlei BDK der Tageszeitung „Die Welt“. „Bis heute verschleiern Brandenburger Behörden, dass sie damals dem Quellenschutz Vorrang vor der Festnahme der Gesuchten gegeben haben und die Polizei im Regen stehen ließen.“

Die Kritik trifft einen wunden Punkt: Brandenburgs Innenministerium hat bislang zur Rolle des Verfassungsschutzes kaum etwas Erhellendes beigetragen, die Aufklärung im ersten Untersuchungsausschuss des Bundestages und im NSU-Prozess in München immer wieder torpediert und verschleppt. Im Landtag spielte der NSU auch kaum eine Rolle, lediglich in der geheim tagenden Parlamentarischen Kontrollkommission.

CDU drängt auf Aufklärung

Das könnte sich nun ändern. Die CDU drängt auf Aufklärung und droht mit einem Untersuchungsausschuss, auch die Grünen können sich das vorstellen, die Freien Wähler unterstützen ebenfalls einen Untersuchungsausschuss. Den fordert auch die Linkspartei, ein Parteitag beschloss im November 2015, dass im Landtag ein NSU-Untersuchungsausschuss her müsse, alternativ zumindest eine wissenschaftliche Aufarbeitungskommission. Beides scheitert bislang an der seit 1990 regierenden SPD. Die verweist stattdessen auf Brandenburgs Vorreiterrolle beim Kampf gegen Rechtsextremismus und bei der Überprüfung von rechtsextremistischen Mordfällen.

Beim NSU aber betreibt die SPD seit Bekanntwerden der Mordserie 2011 Blockade, die Linke hielt sich aus Koalitionsräson zurück. Das ändert sich nun: Die beiden Vize-Landesparteichefs Norbert Müller und Sebastian Walter forderten am Sonntag, auch in Brandenburg müsse nun endlich ein Untersuchungsausschuss her. „Wir werden um eine weitere Aufklärung nicht herumkommen“, sagte Walter. Zumal in sechs Bundesländern Untersuchungsausschüsse eingerichtet wurden, im Bundestag arbeitet inzwischen der zweite.

Zum Hintergrund: Carsten Sz., Deckname „Piatto“, spähte Ende der 90er Jahre die Neonazi-Szene in Chemnitz aus, und zwar direkt im Führungszirkel der später verbotenen Gruppe „Blood and Honour“. Die Neonazis versteckten damals die aus Jena abgetauchten späteren NSU-Terroristen, die von 2000 bis 2006 neun rassistisch motivierte Morde an türkischen und griechischen Gewerbetreibenden verübt haben sollen. 1998 berichtete „Piatto“ seinem V-Mann davon, dass die Chemnitzer Neonazi-Szene Waffen für die drei Neonazis aus Jena beschaffen wollte, um die Flucht nach Südafrika zu finanzieren.

„Piatto“ hatte vom brandenburgischen Verfassungsschutz auch ein Handy erhalten. Auf diese Nummer hat der Chemnitzer Neonazi-Anführer Jan W. damals eine SMS geschickt: „Was ist mit dem Bums?“ Damit waren offenbar Waffen gemeint. Ausgewertet wurde das Handy nie. Abgefangen hatte die SMS das Thüringer LKA, als der Chemnitzer Neonazi-Anführer sie an Piatto abschickte. Am selben Tag tauschte der Verfassungsschutz Piattos Handy aus.

Brandenburger Innenministerium muss für Aufklärung sorgen

Fest steht: Das waren 1998 einige der wenigen Hinweise bundesweit auf den NSU. Das Trio wurde von der Thüringer Polizei per Haftbefehl gesucht. Der Verfassungsschutz Brandenburg leitete die Informationen von Piatto zwar weiter, verweigerte den Ermittlern in Thüringer aber Auskünfte zum Einsatzort des V-Mannes und zum Umfeld. Die Begründung: Quellenschutz. Piatto sollte Informationen zu „Blood and Honour“ liefern.

Was dann kam, ist bekannt: Der erste von mindestens zehn Morden, die der NSU begangen haben soll, geschah am 9. September 2000 in Nürnberg.

Nebenklageanwalt Bliwier will nächste Woche neue Beweisanträge im NSU-Prozess stellen. „Das Brandenburger Innenministerium muss jetzt für volle Aufklärung sorgen“, sagte er der „Welt“. Weitere Beamte sollen als Zeugen vorgeladen werden. „Die Hinterbliebenen haben das Recht zu erfahren, ob staatliche Stellen die Morde des NSU durch ihr Verhalten erst möglich gemacht haben.“ Ob Brandenburg sich in dieser Frage weiter so bedeckt halten kann? Nein - findet auch eine wachsende Mehrheit im Landtag.

Alexander Fröhlich

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