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Beate Zschäpe und ihr Anwalt Mathias Grasel
© REUTERS

NSU-Prozess: Was bezwecken die Aussagen von Beate Zschäpe?

Die Hauptangeklagte im NSU-Prozess hat viele Details genannt. Damit will sie ihre Glaubwürdigkeit stärken. Gleichzeitig könnte Beate Zschäpe aber auch mehr über ihre Rolle verraten, als ihr lieb ist.

Der Tag war eine Zäsur. 32 Monate nach Beginn des NSU-Prozesses hat Beate Zschäpe am Donnerstag erstmals einen Mitangeklagten belastet und mutmaßliche Beschaffer von Waffen genannt. Das Netzwerk der Unterstützer des NSU, im Prozess schon häufig ein Thema, bekommt weitere Konturen. Die Hauptangeklagte hat damit im Oberlandesgericht München einen Kurswechsel präsentiert, weit mehr als mit der eher larmoyanten Einlassung im Dezember. Aber die von Zschäpes Verteidiger Hermann Borchert verlesenen Antworten auf Fragen des 6. Strafsenats haben auch Tücken.

„Wir“, sagt Zschäpe und meint die mit ihr 1998 untergetauchten Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, seien  von André E. unterstützt worden. Der szenetypisch tätowierte Mann, auf seinem Oberkörper prangt die Parole „Die Jew Die“ (Stirb Jude stirb), ist inzwischen der einzige Angeklagte, der weiter schweigt. Dass Zschäpe ihn nun belastet, macht eine Verurteilung von André E. wahrscheinlicher. Doch Zschäpe hat nicht alle Taten genannt, die in der Anklage André E. vorgeworfen werden. War das Absicht?

Laut Zschäpe hat André E. für sie, Mundlos und Böhnhardt in Chemnitz eine Wohnung gemietet, zwei Bahncards besorgt sowie eine Krankenkassenkarte, die Mundlos und Böhnhardt nutzten. Außerdem soll André E. geholfen haben, im Januar 2007 einen heiklen Termin bei der Polizei in Zwickau zu überstehen. Nach einem Diebstahl und einem Wasserschaden in dem Haus, in dem die drei Untergetauchten lebten, gab André E. bei einer Zeugenaussage Zschäpe, die auch befragt wurde, als seine Frau Susann E. aus. Der Polizei fiel der Schwindel nicht auf, die Terrorzelle blieb unentdeckt.

In den am Donnerstag verlesenen 54 Antworten sagt Zschäpe allerdings nichts zu den weiteren, gravierenden Vorwürfen der Bundesanwaltschaft gegen André E. So soll er unter anderem das Wohnmobil gemietet haben, mit dem Mundlos und Böhnhardt Ende 2000 nach Köln fuhren, um einen Sprengstoffanschlag auf ein iranisches Geschäft zu verüben. Bei der Explosion der in einer Christstollendose versteckten Bombe wurde die Tochter des Einzelhändlers schwer verletzt.

Die anderen Anwälte wollten genau das verhindern

Im weitgehend nebulösen Komplex der Waffenbeschaffung für die Terrorzelle hat Zschäpe allerdings interessante Details genannt. So will sie von Böhnhardt erfahren haben, dass über Jan W. eine Pistole geliefert wurde, vermutlich mit Schalldämpfer. Jan W. war einer der Anführer der sächsischen Sektion der im Jahr 2000 vom Bundesinnenminister verbotenen Skinhead-Vereinigung „Blood & Honour“. Zschäpes Angaben lässt aufhorchen, da 1998 der Brandenburger Verfassungsschutz von einem V-Mann erfuhr, Jan W. soll für „drei Skinheads“ Waffen besorgen. Im NSU-Prozess hat Jan W. die Aussage verweigert, da die Bundesanwaltschaft gegen ihn ermittelt.

Als weiteren mutmaßlichen Waffenlieferanten erwähnt Zschäpe einen Hermann S. Er soll über einen „Spieleladen in Zwickau“ eine Pumpgun für Uwe Mundlos besorgt haben. Die Bundesanwaltschaft führt auch Hermann S. auf der Liste mit insgesamt neun Beschuldigten, gegen die parallel zum Prozess Verfahren anhängig sind.

Zschäpe selbst hat außer André E., Jan W. und Hermann S. zehn ehemalige oder noch aktive Rechtsextremisten aus dem Umfeld des NSU genannt: Volker H., Matthias D., Max-Florian B., Gunter Frank F., Carsten R., Thomas R., Mandy S., André K., Thomas S. und Tino Brandt, ehemals Anführer der Neonazi-Truppe „Thüringer Heimatschutz“  und Ex-V-Mann des Thüringer Verfassungsschutzes. Andererseits kommen weitere Personen, die mutmaßlich auch Kontakt zu den drei Untergetauchten hatten, in Zschäpes Angaben nicht vor. Und die Herkunft von mindestens einem Dutzend Waffen der Terrorzelle bleibt unklar.

Dennoch hat Zschäpe zumindest Erkenntnisse von Bundesanwaltschaft und BKA bestätigt. Damit versuchen die Hauptangeklagte und ihre neuen Verteidiger Hermann Borchert und Mathias Grasel offenbar, die Glaubwürdigkeit der Kernaussage Zschäpes zu stärken. Die Angeklagte will von der Vorbereitung der Morde und Sprengstoffanschläge nichts gewusst und bei Mundlos und Böhnhardt später  heftig gegen die Taten protestiert haben.

Mit den Raubüberfällen war sie allerdings einverstanden. Zudem wächst mit jedem Detail, das Zschäpe nennt, das Risiko, sich ungewollt doch als Mitglied der Terrorzelle darzustellen. Davor hatten sie die Verteidiger Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm bewahren wollen und empfohlen, zu schweigen. Zschäpe hat mit ihnen gebrochen. Sie vertraut Borchert und seinem jungen Kollegen Mathias Grasel. Ihnen hat sie sich offenkundig weit mehr geöffnet als jemals Heer, Stahl und Sturm.

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