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Streitpunkt Schallschutz: Bei der Nachbesserung des Lärmschutzes droht dem BER ein finanzielles Fiasko.
© dapd

Bauarbeiten am BER: Billig-Schallschutz kann teuer werden

Beim neuen Flughafen in Schönefeld sparten die Betreiber an lärmmindernden Fenstern – und ignorierten den Planfeststellungsbeschluss. Jetzt drohen am BER weitere Mehrkosten im dreistelligen Millionenbereich.

Potsdam – Das Missmanagement beim Willy-Brandt-Airport in Schönefeld birgt weitere Millionen-Risiken. Nach der geplatzten Eröffnung mit immer noch unkalkulierbaren Folgen und der schon vorher verheimlichten Steigerung der Baukosten von 2,4 auf bereits drei Milliarden Euro droht auch beim Lärmschutz ein teures Fiasko. Nach Tagesspiegel-Recherchen wird das laufende BER-Lärmschutzprogramm für 14 000 von 25 500 betroffenen Wohnungen mit großer Wahrscheinlichkeit wiederholt werden müssen, weil es dem rechtskräftigen Planfeststellungsbeschluss widerspricht.

Offenbar genügen die Schallschutzfenster, die bislang bewilligt und eingebaut werden, nicht den notwendigen Anforderungen und müssen deshalb ab 2015 wieder herausgerissen und durch bessere, wesentlich teurere Fenster ersetzt werden. Damit wären dann rund 75 Millionen Euro vergeudet, also die Hälfte des ohnehin knapp bemessenen Schallschutzetats für den Hauptstadt-Airport. Verantwortlich dafür ist Flughafen-Geschäftsführer Rainer Schwarz, der anders als Technik-Chef Manfred Körtgen nach dem Eröffnungsdebakel im Amt blieb. Doch die Länder Berlin und Brandenburg sowie der Bund als Eigentümer billigen bislang die riskante, juristisch fragwürdige Praxis zulasten der Anwohner – offenbar auch aus Kostengründen. Nach einem Gutachten, das die Flughafengesellschaft (FBB) in Auftrag gab, wären nämlich zwischen 256 und 297 Millionen Euro fällig, um Schallschutz nach dem geltenden Planfeststellungsbeschluss zu gewährleisten – Geld, das in keinem BER-Budget eingeplant ist.

„Mit seiner Strategie läuft der Flughafen Gefahr, den Lärmschutz zwei Mal anpacken zu müssen“, bestätigt Staatssekretär Rainer Bretschneider vom Infrastrukturministerium Brandenburg. Im Landtag hatte Bretschneider am 16. Februar 2012 „auf das Risiko des Gesellschafters“ bei diesem Vorgehen hingewiesen und offen Zweifel an der „ökonomischen Vernunft“ des Flughafens geäußert, Doppelausgaben in Millionenhöhe zu riskieren. „Dies wäre für den Steuerzahler ein Ärgernis und für den Bürger, der die Handwerker zwei Mal in der Wohnung hat.“

Das Debakel um den neuen Flughafen:

Um das Desaster abzuwenden, versuchen die Flughafen-Betreiber nun, die Praxis zu legalisieren. Und zwar mit einem Vorstoß, die Schallschutz-Standards zu senken. Am 19. April 2012 – sechs Wochen vor dem damals noch avisierten Eröffnungstermin am 3. Juni – stellte die FBB deshalb beim Infrastrukturministerium einen förmlichen „Antrag auf Änderung“ des Planfeststellungsbeschlusses. Konkret will sie die Vorgabe für das Tagschutzgebiet lockern, wonach es im Inneren von Wohnungen bei geschlossenen Fenstern keine höheren Maximalpegel als 55 Dezibel geben darf. Zum Vergleich: Kein Gespräch dürfte durch ein lautes Flugzeug unterbrochen werden. Der Flughafen will sich stattdessen sechs Pegelüberschreitungen von 55 dB pro Tag (sechs Mal 55) genehmigen lassen. Er argumentiert, dass es eine innere Unlogik und Widersprüchlichkeit im Beschluss gäbe, da sechs Überschreitungen auch für Kitas, Krankenhäuser sowie in der besser geschützten Nacht zulässig seien.

Der Flughafen spielte beim Schallschutz auf volles Risiko

Trotzdem hat der Antrag im Grunde keine Chance, zumal die Planfeststellungsbehörde ihre klare Position komplett revidieren müsste. Für den zuständigen Infrastrukturminister Jörg Vogelsänger (SPD) gibt es keinen Spielraum, wie er am 17. Januar 2012 im Verkehrsausschuss des Landtages zu Protokoll gab: „Es steht für uns fest, dass das Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes wie folgt zu interpretieren ist: Es ist sicherzustellen, dass in den sechs verkehrsreichsten Monaten durchschnittlich weniger als ein Mal pro Tag ein Maximalpegel von 55 dB im Rauminnern auftritt. Das ist eindeutig. Das ist vom Gericht entschieden und umzusetzen.“

Drei Monate danach reichte die FBB den Antrag trotzdem ein. Und darin wird deutlich, worum es wirklich geht, nämlich dass sonst für 7560 Wohnungen „eine höhere Anzahl und höher dimensionierte Schallschutzvorrichtungen erforderlich“ wären, mit „der Folge höherer Kosten“. Bei 2100 Wohnungen wären Schallschutzmaßnahmen sogar „technisch sehr aufwendig und kostenintensiv“. Und die Eigentümer von 3920 Wohnungen hätten nach dem Planfeststellungsbeschluss Anspruch auf Entschädigung. Die Kosten des Tagschutz-Programms, so wird vorgerechnet, würden sich von 74 Millionen auf 259 Millionen Euro erhöhen. Oder sogar auf 296 Millionen, wenn man 70 000 Euro statt 60 000 Euro Entschädigung je Wohnung zahlt.

Besuchertag am unfertigen Terminal:

Das Kernproblem aber bleibt, dass der Flughafen beim Schallschutzprogramm – wie beim Eröffnungstermin – mit vollem Risiko spielte. Das Vorgehen war darauf ausgerichtet, dass die erst im April 2012 beantragte Änderung des Planfeststellungsbeschlusses gelingt. Wie Flughafenchef Rainer Schwarz am 17. Januar 2012 im Landtag bestätigte, werden alle „Kostenerstattungsvereinbarungen“ – knapp 14 000 sind verschickt, 4000 unterschrieben – wie folgt berechnet, Zitat: „Wir haben nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass wir auf sechs Mal 55 schützen“. Dies hätten die Ingenieurbüros von der FBB als „klare Vorgabe“. Schwarz behauptete zudem, dass der BER „der erste Flughafen der Welt“ wäre, bei dem auf einem Niveau von ein Mal täglich 55 Dezibel geschützt würde, das gäbe es „nirgendwo“. Diese Aussage des Flughafenmanagers, bewusst oder aus Unkenntnis, ist falsch. Auf Tagesspiegel-Anfrage bestätigte etwa die Flughafen Wien AG, dass mit dem dortigen Schallschutz-Programm für Wohnungen im Umkreis gewährleistet wird, „dass Spitzenschallpegel von 52/53 dB nicht überschritten werden“.

Kein Häuslebauer dürfte vor einer Genehmigung vollendete Tatsachen schaffen. Die Frage ist, warum Brandenburgs Behörden beim Flughafen nicht eingreifen, was nach einem Landtags-Gutachten möglich wäre. Staatssekretär Bretschneider widerspricht: Man habe derzeit keine juristische Handhabe, da noch nicht geflogen werde, die eingebauten Schallschutzfenster bis zum erwarteten Flugaufkommen des Jahres 2015 selbst den strengeren Standard sicherten.

Doch fest steht, dass dem Infrastrukturministerium und damit Brandenburgs Regierung die riskante Schallschutzpraxis der FBB schon seit dem 17. Mai 2011 bekannt ist. Trotzdem gab es im Aufsichtsrat keine Interventionen, weder von den Länderchefs Klaus Wowereit und Matthias Platzeck (beide SPD) noch von den Linke-Ministern Ralf Christoffers und Helmuth Markov. Als Platzeck vergangene Woche seine Regierungserklärung zum BER-Desaster abgab, waren die Aussagen zum Schallschutz auffällig dürr: Er kündigte an, dass die „Schlagzahl erhöht“, an den „festgelegten Mitteln für den Lärmschutz auf jeden Fall“ festgehalten werde. Nur welchen Schallschutz er meint, verriet Platzeck mit keinem Wort.

Thorsten Metzner

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