zum Hauptinhalt
Kazem Mahmoud kümmert sich seit 25 Jahren um das Wohl der Gäste – von Einlass bis Ausgang.
© Sven Darmer/Davids

Berliner Theatergeschichten: Zum Jubiläum ein Glas Himbeerbowle

Seit 25 Jahren serviert Kazem Mahmoud die Pausenbowle in der Komödie am Kurfürstendamm. Am 1. November ist die Bühne 90 geworden. Wie es weitergeht, scheint noch immer unklar.

Hat er nun, oder hat er nicht? Herr Mahmoud grinst. Dann lacht er herzlich, dieses hohe, fast kindliche Kichern, bei dem der weiße Schnauzbart auf- und abhüpft. Nein, sagt er, hat er nicht. Wer die Himbeerbowle erfunden hat, das weiß niemand mehr. Jedenfalls war sie schon vor ihm da. Schade eigentlich, es hätte doch so gut gepasst. Denn wenn es zwei Konstanten gibt in diesem Foyer, dann sind es die Himbeerbowle und Herr Mahmoud.

90 Jahre, die Komödie am Ku’damm feiert mal wieder Jubiläum, irgendwas gibt es hier ja immer zu feiern, und wenn es nur ist, dass die beiden Bühnen nach der Eingliederung ins Ku'damm-Karree in den 1970er Jahren und dessen mehrmaligem Verkauf noch stehen. Sei’s drum, es kommen ja doch alle, wenn Theaterdirektor Martin Woelffer ruft. Von Wowereit bis zu Familie Thalbach werden sie alle die Gläser heben, wenn der Festakt am 19. November die Jubiläumsspielzeit eröffnet. Den Sekt wird dann natürlich wieder Kazem Mahmoud einschenken, Herr Mahmoud, wie ihn hier alle nennen. Seit 25 Jahren kümmert er sich um die Gäste in den beiden Bühnen am Kurfürstendamm. Leiter der Vorderhäuser heißt das offiziell, doch wenn man Herrn Mahmoud fragt, was er denn nun genau mache, sagt er einfach: alles.

Am 1. November 1924 feierte die Komödie am Ku’damm ihre erste Premiere. Seitdem pflegt sie die Tradition des Boulevard-Theaters in der City West.
Am 1. November 1924 feierte die Komödie am Ku’damm ihre erste Premiere. Seitdem pflegt sie die Tradition des Boulevard-Theaters in der City West.
© Promo

Und das stimmt. Er ist Garderobenmeister, Kassenchef, Barkeeper, Kartenabreißer, Empfangsherr, Grußonkel. Nur was im Saal passiert, geht ihn nichts an. „Ich habe doch gar keine Zeit, mir die Stücke anzusehen“, sagt er. 15 Minuten Pause! Was man da alles vorbereiten muss! „Bis der letzte der 800 Zuschauer aus dem Saal raus ist, vergehen schon fünf Minuten.“ Noch nie, sagt Herr Mahmoud stolz, habe sich ein Gast beschwert, dass er seine Himbeerbowle nicht mehr bekommen habe.

Hier draußen ist sein Theater. Liebevoll wischt Herr Mahmoud über den Marmortresen im Foyer. Himbeerbowle 5,50 Euro steht auf der Tafel. Nur Weißwein und Sekt, sagt er, keine harten Sachen, er hat das Rezept ein wenig verändert, als er anfing, schließlich sollen die Zuschauer ja nicht einschlafen im zweiten Akt. Der lange Löffel für die Himbeeren, da haben die Gäste gleich was im Magen. Es gibt Abonnenten, die kommen seit 60 Jahren. Im Sommer, erzählt er, kommen manche rein, trinken Bowle und gehen wieder.

Seine Bowle hat Herr Mahmoud nur ein einziges Mal probiert

Für viele Gäste der Komödie am Kurfürstendamm ist eine Himbeerbowle Voraussetzung fürs Wohlbefinden.
Für viele Gäste der Komödie am Kurfürstendamm ist eine Himbeerbowle Voraussetzung fürs Wohlbefinden.
© Sven Darmer/Davids

Wie sie schmeckt, weiß Herr Mahmoud allerdings nicht mehr so genau. „Ich habe nur ein einziges Mal probiert“, sagt er. So wie er das mit allen neuen Mitarbeitern macht. Jeder darf nach dem ersten Arbeitstag ein Glas Bowle trinken, gastro-professioneller Geschmackstest. Dann gilt: Kein Alkohol bei der Arbeit. Für ihn ganz besonders. Und Herr Mahmoud arbeitet eigentlich immer. 350 Tage im Jahr, sagt er, wenn das mal reicht.

Morgens um halb sieben nimmt er die ersten Lieferungen entgegen, dann noch in Jeans und T-Shirt und nicht wie jetzt im Sakko mit goldenen Ärmelknöpfen. Mittags kurz nach Hause zum Potsdamer Platz, zu seiner Frau, 38 Jahre verheiratet, drei Kinder, ein zweijähriger Enkel. Mittagessen, etwas Bürokram, manchmal vielleicht ein Nickerchen.

Herr Mahmoud schlägt die Augen nieder, sieht auf einmal sehr müde aus. „Ich komme frühmorgens und bleibe, bis der letzte Gast gegangen ist.“ Gegen 18 Uhr Treffen mit den Mitarbeitern im Theater. Wie viele Gäste sind da? Was brauchen wir alles? Wie viel Himbeerbowle? Ende gegen 23 Uhr.

64 Jahre alt ist Herr Mahmoud, passt perfekt hinein in dieses altmodische Ambiente, nichts könnte das etwas angestaubte Image des alten West-Berlin besser bebildern als die goldenen Handläufe, der Marmorfußboden und die Stehtische, der verschnörkelte Zuschauerraum. Kaum etwas hat sich verändert seit dem 1. November 1924. Ob es damals auch schon Bowle gab, ist nicht überliefert. Was im Krieg zerstört wurde, wurde nachgebaut wie früher. An beiden Seiten des kleinen Foyers hängen unter den riesigen Kronleuchtern Schwarz-Weiß-Aufnahmen von der Eröffnung, Goldonis „Diener zweier Herren“ wurde an jenem Abend gespielt. Max Reinhardt hatte beim Theaterarchitekten Oskar Kaufmann ein kleines Boulevard-Theater in Auftrag gegeben. Drei Jahre zuvor hatte schon die Schwesterbühne zwei Häuser weiter eröffnet. Dazwischen das heutige Café Wohlfahrt's & Dressler.

Herr Mahmoud sucht einen ruhigeren Tisch im hinteren Teil aus. Dass er eigentlich hier arbeitet, wissen die meisten nicht. Herr Mahmoud und sein Team sind nur ausgeliehen ans Theater. Das Dressler, wo die Theatermitarbeiter die Hälfte zahlen und die Schauspieler Premieren feiern, hieß früher einfach Theatercafé. „Es gab einen Durchgang direkt zur Bühne“, sagt Herr Mahmoud und zeigt auf die Wand, vor der nun die rot gepolsterte Bank steht.

Ein älteres Paar nähert sich langsam dem Nebentisch. Herr Mahmoud springt auf. „Ich nehme ihre Jacke“, sagt er, Handschlag, Herzlichkeit, kurzes Gespräch, dann kehrt er zurück. „Stammgäste“, flüstert er, „kommen zweimal am Tag, morgens und mittags.“ Herr Mahmoud hat es gern perfekt, ist der Typ Mann, der sich nicht von einer Frau die Tür aufhalten lässt. „Möchten Sie wirklich nichts essen?“, fragt er wieder und wieder, ja ja, das Wohl der Gäste.

Und er hatte sie alle. Günter Pfitzmann, Johannes Heesters, Judy Winter, Harald Juhnke natürlich. Eigenartig sei das immer gewesen mit dem. Eines Abends war er mit einem Mädchen im Theater, erzählt Herr Mahmoud, das habe hinterher in allen Zeitungen gestanden. Am nächsten Morgen sei er wiedergekommen, habe gefragt: Herr Mahmoud, kann es sein, dass ich gestern meinen Mantel hier vergessen habe? Nein, sicher nicht. Herr Mahmoud weiß so etwas. „Eine Woche lang ist Harald Juhnke jeden Abend gekommen, weil er seinen Mantel nicht mehr finden konnte.“ Wieder hüpft der Schnurrbart.

Herr Mahmoud kam mit 18 aus Syrien nach Berlin, allein, studierte BWL, lernte seine Frau kennen, blieb. Dann immer Gastronomie: Eierschale am Breitenbachplatz, Geschäftsführer in der Filmbühne Wien, wenige Meter weiter: Tischtelefone im heutigen Apple-Store. Bis ihn ein Freund bat, die Gastronomie in den Ku’damm-Bühnen in Ordnung zu bringen, sechs Monate, mehr nicht. Doch als alles so schön ordentlich war, ließ ihn Jürgen Wölffer nicht mehr gehen. Aus sechs Monaten wurden 25 Jahre. Und wenn es nach Herrn Mahmoud geht, dürfen es gerne noch 25 werden. Früher habe er gern gemalt, „aber dazu komme ich nicht mehr“, sagt er. „Ohne Theater läuft bei mir gar nichts mehr.“ Und er weiß, in den Bühnen läuft ohne ihn auch nichts.

Es gab eine Zeit, wo hier alles von selbst ging, als jeder, der nach West-Berlin kam, einmal im Theater gewesen sein musste. Die Zeit ist vorbei, das weiß auch Herr Mahmoud. Aber die familiäre Atmosphäre lockt die Schauspieler und die wiederum die Zuschauer. Und wenn Oliver Mommsen spielt – wie ab dem 19. zum Start des Jubiläumsprogramms in „Eine Sommernacht“ – oder Bastian Pastewka, dann kommen auch die Jüngeren.

Vielleicht bleibt zumindest in der Komödie alles beim Alten, nach jüngsten Ideen von Kaufinteressenten für das Ku'damm-Karree könnte sie stehen bleiben, während das Theater am Kurfürstendamm einer neuen Einkaufspassage weichen müsste.

Aber auch die die bisherigen Pläne sind noch nicht vom Tisch. Danach sollen beide Theater abgerissen und durch ein neues ersetzt werden. „Im ersten Stock, können Sie sich das vorstellen?“ Herr Mahmoud schlägt sich mit der flachen Hand auf die Stirn. „Wir sind doch kein China-Restaurant.“

Wie auch immer es kommt, Herr Mahmoud ist dabei. In der Hand immer ein frisches Glas Himbeerbowle.

Alle Infos zum Jubiläumsprogramm www.komoedie-berlin.de

Der Artikel erscheint auf dem Ku'damm-Blog, dem Online-Magazin für die westliche Innenstadt.

Zur Startseite