Kriminalität in Berlin: Wie die Polizei Hütchenspieler in der City West jagt
190 Hütchenspieler tricksen in der Stadt – und werden von einer Ermittlungsgruppe verfolgt. Wir haben die Fahnder beim Einsatz begleitet.
Der Rentner aus den USA hatte keine Ahnung, dass er gar nicht gewinnen konnte, als ihn drei Osteuropäer in der City West zum Hütchenspiel animierten. „So etwas gibt es bei mir in Kansas City nicht“, sagte der Tourist später. Er verlor 100 Euro, denn wie immer bei dem betrügerischen Glücksspiel lag die Kugel am Ende nicht unter derjenigen der drei Schachteln, auf die er getippt hatte.
Und doch hatte der Mann Glück: Plötzlich nahmen Zivilpolizisten an der Ecke Tauentzien- und Rankestraße die Täter fest. Der Amerikaner bekam sein Geld zurück, ebenso wie ein Brite, der 100 Euro eingebüßt hatte. Für einen Schwerpunkteinsatz in dieser Woche, den der Tagesspiegel begleiten konnte, hatte sich die sonst nur vierköpfige „Ermittlungsgruppe Hütchenspiel“ Verstärkung geholt. Zwölf Beamte observierten drei Banden rund um die Tauentzienstraße.
Man sieht sich immer wieder
Die Betrüger haben stets Aufpasser dabei, die nach Fahndern Ausschau halten. „Sie kennen unsere Gesichter“, sagt der Leiter der Ermittlungsgruppe, Christian Grygier. Diesmal setzte die Polizei auf Beamte, die den Tätern fremd waren. Trotzdem lösten sich zwei Spielergruppen vor dem geplanten Zugriff auf. So blieb es bei Betrugsanzeigen gegen zwei der drei gefassten Männer. Gut möglich, dass Grygier diese bald wiedersieht. Denn es bleibt ein Katz-und-Maus-Spiel.
Der Betrugsvorwurf ist meistens nicht gerichtsfest
Auf die Anzeigen folgen nur selten Anklagen beziehungsweise Verurteilungen wegen Betrugs.
Dieser müsse „konkret nachgewiesen werden“, sagt ein Justizsprecher. Die Annahme, dass falsches Spiel getrieben wird, reiche nicht aus. Hütchenspiel wird als Delikt nicht statistisch erfasst. Zahlen dazu haben weder die Staatsanwaltschaft noch die Justizbehörde.
Bekannt wurde der Fall des 63-jährigen Ramadan N., den das Landgericht im Juli 2013 zu zwei Jahren und neun Monaten Haft verurteilte. Fünfmal wollten Zeugen gesehen haben, wie er das Spiel manipulierte. Doch in einem Berufungsverfahren konnten sie sich nicht mehr so genau erinnern – kein Wunder, es fand erst im Sommer 2015 statt. Aus Beweismangel wurde der Mann freigesprochen. Trotzdem sitzt N. in Haft, weil er als neue Einnahmequelle eine Diebstahlsserie gestartet hatte.
Auch beim Hütchenspiel kommt es zu Diebstählen. Neugierigen werden Geldscheine aus der Hand gerissen, wenn sie diese als möglichen Spieleinsatz zählen, oder Portemonnaies aus der Tasche gezogen. In einzelnen Fällen kommt es zu körperlicher Gewalt, also Raub. Es gebe „keinen Ehrenkodex“, der die Gaunerei auf das Spiel mit der Kugel beschränke, sagt Grygier.
Fast alle Täter stammen aus Ex-Jugoslawien
Er weiß von rund 190 Hütchenspielern in Berlin, von denen manche seit zwei Jahrzehnten hier seien. Andere kommen als Touristen. Die meisten stammen aus Ländern des ehemaligen Jugoslawiens, vor allem aus Mazedonien. Bei passendem Wetter seien täglich 30 bis 40 Täter in den Touristengegenden aktiv, sagt Grygier. Die 2013 gegründete Ermittlungsgruppe ist täglich im Einsatz. Sie kümmert sich nicht nur um die City West, sondern auch um Brennpunkte wie das Regierungsviertel, den Alexanderplatz, die Schlossbrücke in Mitte und den Checkpoint Charlie.
Der Chefermittler sieht Erfolge
Vier Fahnder seien natürlich zu wenig, sagt Grygier, er habe sich ein zehnköpfiges Team gewünscht. Dafür fehlte das Geld. Grygier sieht aber Erfolge und misst sie an der Zahl der Funkwageneinsätze nach Anrufen von Opfern oder Zeugen, die sich fast halbiert habe. Aus Mitte gehen pro Monat etwa 60 Anzeigen und Hinweise ein, aus der City West 30 bis 40. Mehr als 900 Verdächtige wurden kontrolliert und 18 festgenommen; die Polizei stellte 23 500 Euro sicher.
Bußgelder wegen der Gehwegnutzung
Die Ermittler haben es zwar schwer mit dem Betrugsnachweis, aber noch andere Mittel. Das einfachste ist der Platzverweis für einen Tag. Wirksamer sind Ordnungswidrigkeitsanzeigen wegen ungenehmigter „Sondernutzung öffentlichen Straßenlands“. Das kostet 500 bis 1000 Euro Bußgeld und im Wiederholungsfall mehr. Allein Ramadan N. soll auf diese Weise zu fast 40 000 Euro Bußgeld verdonnert worden sein, die er aber wohl nicht zahlte.
Außerdem kann Tätern, die als Touristen eingereist sind, wegen illegaler Gewerbeausübung die Aufenthaltserlaubnis entzogen werden.
Die meisten Berliner kennen die Betrügereien längst, die typischen Opfer sind Reisende. Die Polizei warnt sie unter anderem am Infomobil auf dem Breitscheidplatz – was Hütchenspieler aber nicht davon abhält, ihre Filzmatten schräg gegenüber an der Tauentzienstraße auszulegen.