Hertha 03 Zehlendorf und sein Jugendkoordinator: Wahnsinn und Liebe
Ehrenamtler im Sport sind nicht mehr selbstverständlich. Es gibt weniger, und die Wenigen müssen mehr machen. So war es auch bei "Kiki" Broßmann von Hertha 03 Zehlendorf - bis er beinahe nicht mehr konnte.
„Manch einer sagt, ich bin bekloppt." Christian Broßmann, den hier alle nur Kiki nennen, lächelt verlegen, dann sagt er noch: „Und in gewisser Weise bin ich das ja auch.“
Broßmann, 45 Jahre alt, drahtige Figur, ist der kommissarische Jugendleiter und Kleinfeldkoordinator bei Hertha 03 Zehlendorf. Vermutlich gehört heutzutage ein bisschen Wahnsinn dazu, wenn man trotz Familie und eigener Firma viele Jahre ehrenamtlich arbeitet.
Ehrenamtler werden in Deutschland vor allem in Sportvereinen immer weniger. Die Zahlen sind seit Jahren rückläufig. Es gibt Studien, etwa die von Sebastian Braun, Professor für Sportsoziologie an der Humboldt-Universität, die diese Erosionstendenzen belegen. Man kann im Prinzip sagen: Es gibt weniger Ehrenamtler und die, die es gibt, müssen immer mehr tun.
Genau so war es bei Kiki Broßmann; allerdings konnte er sich nicht wirklich dagegen wehren, denn er ist sozusagen von Geburt an ein 03er, ein Zehlendorfer: Ihm wurde das Engagement schon in die Wiege gelegt. Vater und Mutter Broßmann waren lange Jahre Mitglieder im Klub an der Onkel-Tom-Straße im Südwesten Berlins gelegen. Papa Broßmann hat den kleinen Christian gleich nach der Geburt im Verein angemeldet. Seither ist er geradezu symbiotisch mit dem Verein verwachsen, auch wenn es eine Zeit der „Abstinenz“ gab. Aber der Reihe nach.
„Schon seitdem ich zwei oder drei Jahre alt war, habe ich meine Zeit auf dem Sportplatz hier verbracht“, erinnert er sich. Von der F- zur B-Jugend durchläuft er alle Jugendmannschaften. Dann kommt der Bruch mit einem Trainer, der ihn ein paar Spiele nicht spielen lässt. Wutentbrannt wechselt der 16-Jährige zum FV Wannsee. „Das war eine reine Trotzreaktion. Ich hatte wohl nicht den richtigen Ansprechpartner“, sagt er heute.
Der Opa meldet den Enkel in alter Familientradition an
Und während er die Berliner Auswahlteams durchläuft, „verliert er nie sein Herz für Hertha“, wie er sagt; schließlich sind seine Familie und Freunde alle noch dort. Dann, kurz vor dem Sprung in die Oberliga, reißt das Kreuzband. Das Aus für seine Spielerkarriere. 2002 wird sein Sohn geboren. Und wieder ist es der alte Broßmann, inzwischen Opa, der den Knirps bei der Geburt bei Hertha anmeldet. „Das war sozusagen Tradition“, sagt Kiki Broßmann stolz.
Als der Sprössling mit dem Training anfängt, verschwindet plötzlich sein Trainer, und so bietet Kiki Broßmann sich an, das ehrenamtlich zu übernehmen. „Ich bin da so rein gerutscht; auch wenn ich eigentlich keine Zeit hatte.“ Es ist ein sehr typisches Beispiel dafür, wie Ehrenamt beginnen kann. Und sein Einsatz wird immer mehr gebraucht und gefordert, 2010 übernimmt er die Koordination der Kleinfeldmannschaften, das sind die G- bis D-Jugendlichen, also die Vier- bis Vierzehnjährigen.
Hartnäckig und mit großer Liebe zu den Kindern
Broßmann selbst hat sein eigenes Engagement nie hinterfragt. Es war einfach so. Sein Leben war sowieso der Sport. Er hat selbst bei einer Fußballschule gearbeitet, hat sich weitergebildet, hat Trainerlizenzen gemacht, und so wurde er auch immer unentbehrlicher für einen Verein wie Hertha 03. Vor allem aber deshalb, weil er eine tiefe Verbindung, eine hohe Identität mit dem Klub hat. In diesem Sinne, sagt er, sei er „eine aussterbende Spezies". Und da Kiki Broßmann über eine gesunde Portion Trotz und Hartnäckigkeit verfügt, gepaart mit einer großen Liebe zu den Kindern, will er diese Spezies "auf keinen Fall aussterben lassen".
Im Jugendfußball ist die Konkurrenz vor allem in Berlin riesengroß, und der Spagat zwischen Breitensport und Leistungssport wird immer schwieriger für Klubs, die beides anbieten wollen. Viele der jungen Talente werden aus Zehlendorf abgeworben, sie gehen zu Hertha BSC, 1. FC Union, aber längst auch zu RB Leipzig, Wolfsburg oder Bremen. Kiki Broßmann versucht, Eltern wie Kindern zumindest im Kleinfeldbereich Argumente mit auf den Weg zu geben, warum sie nicht immer "gleich irgendwoanders hinrennen müssen". So wie er, als 16 war...
Natürlich schafft er es nicht, jedes Kind bei der kleinen Hertha zu halten, trotz der sehr guten Ausbildung im Verein - oder vielleicht gerade deshalb nicht. „Wenn die weg wollen oder den Ruf zu Hertha BSC bekommen, kann ich nur der Ansprechpartner sein." Tatsächlich klingelt und fiept sein Handy pausenlos während des Gesprächs. Es scheint, als wolle ständig jemand etwas von diesem Mann. Doch der bleibt ruhig und konzentriert, hält auch im Gespräch immer schön den Ball flach. Die Spieltechnik ist für die Trainer des Klubs im Kleinfeld die oberste Maxime. Die Kinder sollen beidfüßig ausgebildet werden.
Spricht er über seine aktuelle Mannschaft, leuchten die Augen
Broßmann: „Das Schöne ist, auch ich lerne in dem Job nie aus, da kommt immer was Neues, und es ist immer was los.“ Aber genau das ist auch ein Problem, und es wurde auch zu seinem: es war immer sehr viel los. Bis es zu viel wurde.
Bis in den vergangenen Herbst hinein hatte Broßmann auch noch seine eigene Firma "Sportykids", denn auch ein Ehrenamtler muss Geld verdienen. Über viele Jahre holte er Kinder mit dem Bus aus dem Kindergarten, dem Hort oder aus der Schule ab, gab ihnen Schwimm- oder Fußballunterricht und fuhr sie zurück. "Eine tolle Sache, wenn es nicht so stressig gewesen wäre", sagt er. Denn auch im Verein war er dauerpräsent, trainierte die so genannten "Knöpfe", die noch an keinem Spielbetrieb teilnehmen, koordinierte andere Teams, suchte Trainer, saß in Gremiensitzungen und musste immer wieder Streit schlichten, Eltern beruhigen. Er sagt: „Vor den letzten Sommerferien habe ich gemerkt, dass ich ziemlich ausgebrannt war.“
In den Ferien organisierte er jedes Jahr auch noch die Ferienkurse, und er hat in der Saison 2014/2015 noch die jüngste Mannschaft des Vereins übernommen, die heutige 1.G oder U7. Wenn man ihn auf dieses Team anspricht, leuchten seine Augen, man sieht den Idealisten in ihm - und das Kind im Manne: "Das ist ein tolles Team, wir haben Spaß und arbeiten trotzdem konzentriert." Er hat sich sogar schon entschieden: Er wird "diese Jungs auch in der F-Jugend coachen".
Spaß, Herzblut, Leidenschaft und ein dickes Fell
Aber Broßmann hat auch im Verein Gespräche geführt, und so wird er wohl demnächst auch der offizielle Jugendleiter des Klubs sein, wenn man ihn wählt, woran niemand zweifelt. Dann ist er nicht mehr nur Ehrenamtler und hat ökonomisch weniger Druck.
Eigentlich ist er jeden Tag auf der Anlage, Training, Trainersitzungen, als Ansprechpartner, und am Wochenende sind die Spiele. Manchmal, sagt er, bekäme er auch noch gegen 21 Uhr Anrufe, auch abends am Wochenende. „Dann sagt meine Frau: ’Ein Büro hat doch jetzt auch zu’. Sie unterstützt mich aber sehr und fährt auch zu den Auswärtsspielen am Wochenende gern mit.“ Sie wisse ja, dass er mit Leib und Seele dabei sei.
Spaß, Herzblut, Leidenschaft und ein dickes Fell. Das sind wohl die Dinge, die man braucht als Mann für alle Fälle in einem Verein wie Hertha 03. In den Feriencamps des Klubs kommen bis zu 700 Kinder, zu einem bisschen Logistik sollte man also auch noch in der Lage sein als Verantwortlicher.
Sein Lohn sieht vor allem menschlich aus und ist noch nicht so groß: „Wenn ich sehe, wie sich die Kinder von Woche zu Woche weiter entwickeln, dass sie verstanden haben, den Ball anzunehmen, und wie viel Spaß sie dabei haben, dann macht mir das unheimlich viel Freude. Und wenn sie freudestrahlend auf mich zu kommen und „Kiki, Kiki“ rufen, dann weiß ich, dass ich viel richtig gemacht habe.“
Viele Eltern sind nur auf Leistung fixiert
Wenn manchmal nur die Eltern nicht wären. Er kennt viele Diskussionen seit vielen Jahren, es sind oft dieselben, er sagt: "Mit manchen Eltern ist es schon anstrengend, viele sind nur auf Leistung fixiert." Die soziale Komponente werde ignoriert. „Da wird rein gerufen, da werden taktische Anweisungen gegeben, und das Kind weiß dann nicht, auf wen es hören soll.“ Für die „Überehrgeizigen“ hat der Verband mittlerweile Fanzonen eingerichtet: Die Eltern dürfen jetzt am Kleinfeld nicht mehr auf dem Kunstrasen stehen. „So ist der Weg zum Reinrufen weiter." Anfeuern findet er auch richtig und wichtig, aber: "Ich möchte keine Diskussion über die Spieltaktik.“
Er ist sich natürlich klar, dass nicht alle mit ihm können. „Wenn ich mal unpopuläre Entscheidungen treffe, passt das vielen nicht. Aber ich setze das durch, wenn es den Verein weiter bringt.“ Auf jeden Fall suche er die Trainer alle selbst aus, denn da müsse es schon eine gewisse Homogenität gegeben sein, was die vereinsinterne Trainerphilosophie angeht: Die Ergebnisse sind weniger wichtig als die Technik.
Es gibt Dinge, die sind ihm einfach sehr wichtig, da ist er kompromisslos: „Trainer sollen zum Beispiel nicht in Jeans am Spielfeldrand stehen, sondern was von Hertha 03 anhaben.“ So wie er selbst auch hier im Büro sein weißes Hertha-Shirt trägt. Vielleicht braucht es genau diese Form der Verrücktheit, um heute die Kinder am Ball zu halten: Schließlich ist früher der Verein die Familie gewesen und umgekehrt. Heute habe der Vereinssport zu viel Konkurrenz, findet Brossmann. „Inzwischen hat doch jeder einen Computer, da fühlt man sich einem Verein nicht mehr in dem Maße zugehörig wie früher.“
Broßmann versucht es anders, er hält alle großen Feiern im Vereinshaus ab und nicht in einem Restaurant. Das Zusammengehörigkeitsgefühl sei früher zwar intensiver gewesen, jetzt grinst er wieder, aber eines sei heute auf jeden Fall noch viel besser: die Ausbildung und die Kompetenz der Trainer.
Die Autorin schreibt für den Tagesspiegel und für Tagesspiegel Zehlendorf, das digitale Stadtteil- und Debattenportal aus dem Berliner Südwesten, auf dem dieser Text erscheint.
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