Berlin-Charlottenburg: Neue City-Seelsorgerin in der Gedächtniskirche
Dorothea Strauß, die neue Pfarrerin der Gedächtniskirche, hat große Pläne – vor allem für Berlin-Besucher.
Die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche ist als Berliner Wahrzeichen und Mahnmal gegen den Krieg der wohl größte Anziehungspunkt am Charlottenburger Breitscheidplatz: Gerade hat eine Erhebung des Fördervereins ergeben, dass jährlich rund 1,3 Millionen Menschen die evangelische Kirche besuchen. Die meisten davon sind Touristen – und vor allem um diese kümmert sich künftig die neue Pfarrerin Dorothea Strauß. Beim Abendgottesdienst am 1. Mai um 18 Uhr wird sie von Superintendent Carsten Bolz offiziell in ihr Amt eingeführt. Genau genommen ist die 55-Jährige aber schon seit Monaten in der Gedächtniskirche tätig.
Für Besucher soll es eine neue Anlaufstelle geben
Anders als Pfarrer Martin Germer und seine Kollegin Katharina Stifel „bin ich aber keine Gemeindepfarrerin“, sagt Strauß. Ihre Stelle für die „City-Seelsorge“ werde von der Landeskirche finanziert. Strauß will ein Konzept für „niedrigschwellige Angebote“ entwickeln. In einem Nebengebäude der Kirche, dem sogenannten Foyer, plant sie einen „Infopoint“. Dort könnten sich Besucher beispielsweise über den Ein- oder Austritt in die Kirche beraten lassen oder Fragen zu einer Taufe stellen. Auch eine Wiedereintrittsstelle solle dazu gehören.
Kirchencafé scheiterte am Denkmalschutz
Bereits im Herbst 2012 hatte Pfarrer Germer an gleicher Stelle ein Kirchencafé mit einer Beratungsstelle angeregt. Doch für Gastronomie wäre ein zweiter, direkter Zugang nötig, den das Landesdenkmalamt und das bezirkliche Bauamt ablehnen. Wie alle Teile der Gedächtniskirche steht auch das von Egon Eiermann gestaltete Foyer unter Denkmalschutz.
Seit Anfang 2015 wird es allerdings kaum noch genutzt. Damals hatte die Berliner Stadtmission ihre soziale Anlauf- und Beratungsstelle für Obdachlose und andere Bedürftige geschlossen. Zu den wenigen neuen Aktivitäten in dem Gebäude gehören Deutsch-Sprachkurse für Asylbewerber, die in einem nahen Flüchtlingsheim wohnen. Baulich gibt es einige Probleme im Foyer. So musste im vorigen Jahr das Dach saniert werden, weil es hineinregnete.
In der alten Form werde die Beratungsstelle nicht neu aufleben, stellt Strauß klar. „Ich bin keine Sozialarbeiterin.“ Außerdem habe die nur wenige hundert Meter entfernte Bahnhofsmission am Zoo „bessere Möglichkeiten“, Wohnungslose zu betreuen. Bei ihr stünden vielmehr „die Touristen im Fokus“. Das bedeute allerdings nicht, dass sie selbst die Seelsorge für die vielen Berlin-Besucher übernehmen wolle. Denn außer ein paar Brocken Englisch und Italienisch „spreche ich keine Fremdsprachen“.
Friedensgebete und Kurzgottesdienste
Den Segen erteilt sie immerhin auf Deutsch und Englisch, und zwar in einigen der Kurzgottesdienste der Gedächtniskirche. Unter dem Motto „Zwölf Minuten Ewigkeit“ finden diese montags bis freitags um 13 Uhr, 17.30 Uhr und 18 Uhr statt. Strauß ist auch für die täglichen Mittagsandachten mit Friedensgebeten zuständig. „Das ist ein wichtiger Akzent und kommt auch bei Touristen gut rüber.“ Schließlich sei die Kirche mit ihrer Gedenkhalle in der Turmruine und als Mitglied der „Nagelkreuzgemeinschaft“ von Coventry ein weltweit bekanntes Zentrum für Frieden und Versöhnung.
Strauß stammt aus der Nähe von Stuttgart und studierte Theologie in Tübingen und Berlin, in die Hauptstadt kam sie kurz nach dem Mauerfall. Ungewöhnlich war ihr Vikariat, das sie nicht nur in der Kirchengemeinde Am Lietzensee absolvierte, sondern teilweise auch am damaligen Schillertheater. Damit habe sie mehr über „Handlungsabläufe“ gelernt, sagt sie. Sprechtheater und Gottesdienste ähnelten sich ja darin, das sie einem festgelegten Muster folgten.
Für die Aids-Hilfe erhielt sie das Bundesverdienstkreuz
Schon seit 1993 leitet Strauß die ökumenische Aids-Initiative „Kirche positHIV“ mit der Unterstützung eines Franziskanerpaters. Vor 16 Jahren wurde sie dafür mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. „Ich habe selbst Freunde durch Aids verloren“, begründet sie ihr Engagement, das sie fortsetzen will. Die Initiative hat ihren Sitz in der Gemeinde Am Lietzensee; mehr als 25 ehrenamtliche Helfer beraten Erkrankte und deren Angehörige oder Freunde.
In der Gedächtniskirche plant Strauß eine weitere Neuerung: Bald sollen Besucher persönliche Wünsche auf Karten schreiben und in einen Kasten werfen können, an dem Kirchwart Uwe Radicke in den vorigen Tagen in seinem Werkstattzimmer bastelte. Auf die Anliegen der Gäste könnten die Pfarrer anschließend in Gottesdiensten eingehen und Fürbittgebete sprechen, stellt sich Strauß vor. Es geht also mehr um göttlichen Beistand als um einen herkömmlichen Kummerkasten.