Berlin-Tiergarten: Lücke am Lützowplatz
Am Lützowplatz wurden die Wohnhäuser des Architekten Ungers abgerissen – doch die seit Jahren geplante Wohn- und Gewerbebebauung kommt nicht voran.
Die Baugenehmigung ist erteilt, doch auf einem der interessantesten Bauplätze in Berlins Mitte tut sich noch immer nichts. Auf der Brache zwischen Lützowufer und Wichmannstraße soll ein Gewerbe- und Wohnkomplex entstehen. Die Bauherrin, die Münchner Dibag Industriebau AG, ließ eine Anfrage nach dem Baubeginn unbeantwortet.
Mehr Wohnungen und weniger Gewerbe
Das Projekt war zuletzt in Verzug geraten, weil die Planung aus dem Jahr 2009 umgearbeitet wurde. Im ersten Entwurf des Architektenbüros Modersohn & Freiesleben aus Berlin sollte der Büro- und Gewerbebereich auf der 7225 Quadratmeter großen Fläche zwei Drittel des Bauvolumens einnehmen. Ein Drittel war für Wohnungen vorgesehen. Dann wurde aufgrund der verstärkten Nachfrage nach innerstädtischen Wohnungsangeboten das Verhältnis umgedreht. Die Dibag wollte nun 55 Prozent der Geschossfläche für Wohnen und nur 45 Prozent für Geschäfte und Büros nutzen.
Der Baustadtrat von Mitte, Carsten Spallek (CDU), begrüßt die Neuorientierung, die das Vorhaben allerdings auch verzögerte: „Wir haben mit dem Eigentümer und Investor sehr konstruktiv an der Anpassung des Bebauungsplans gearbeitet, damit an diesem Ort noch mehr Wohnungen als ursprünglich vorgesehen errichtet werden können.“
Das Büro Modersohn & Freiesleben plante um, im Mai wurde der vorhabenbezogene Bebauungsplan festgesetzt. Danach soll zum Lützowplatz hin ein Büro- und Gewerberiegel den Innenbereich abschirmen. Dort sind vier siebengeschossige Hauszeilen in kammartiger Form mit 128 Wohnungen um einen Wohnhof angeordnet.
Architekt Johannes Modersohn sagt: „Es handelt sich hier um eine sehr schöne Wohngegend mit einem ruhigen Innenhof. Die Wohnungen sind nach Süden und Westen ausgerichtet und werden vom Lützowufer am Landwehrkanal aus erschlossen.“ Der neue Bebauungsplan 1-89VE Lützowplatz sieht unter anderem auch vor, 20 Laubbäume heimischer Provenienz anzupflanzen. In der Tiefgarage sind 235 Stellplätze vorgesehen.
Toplage nahe dem Tiergarten, Zoo und KaDeWe
An Nachfrage nach exklusivem Wohnraum dürfte in der 1-A-Lage kein Mangel sein. Nach Süden hin ist das KaDeWe in zehn Minuten zu Fuß erreichbar. Nach Norden auf der anderen Seite des Landwehrkanals ragt die CDU-Bundeszentrale in die Höhe, und nach Westen erstrecken sich Tiergarten und Zoo. Das Dibag-Projekt soll dem Lützowplatz städtebauliche Fassung und eine lange vermisste Blockkante geben. Stadtplaner erhoffen sich, dass die oft beklagte Leere und Zugigkeit verringert werden kann.
Um das Filetgrundstück hatte es jahrelange Diskussionen und Streitereien gegeben. Auf der Baufläche standen Stadthäuser, die der Architekt Oswald Mathias Ungers für die Internationale Bauausstellung 1987 (IBA) geplant hatte. Sie waren zwischen 1979 und 1983 errichtet worden.
Rundum wurde neu gebaut
Nach dem Fall der Mauer lag das Areal plötzlich nicht mehr am früheren Stadtrand, sondern hat einen städtebaulichen Bezug zur alten Stadtmitte. Auf dem „Klingelhöfer-Dreieck“ zwischen Klingelhöferstraße, Stülerstraße und Corneliusstraße entstanden bald die Bundesgeschäftsstelle der CDU, die Mexikanische und die Nordischen Botschaften von Schweden, Norwegen, Finnland, Dänemark und Island sowie rund um einen Pocket-Park 170 repräsentative Wohnungen.
Auf der gegenüberliegenden Seite der Klingelhöferstraße, am „Köbis-Dreieck“, hat die Konrad-Adenauer-Stiftung ihren Sitz. Des Weiteren wurden zahlreiche exklusive Apartments im Hofjäger-Palais und zuletzt im Projekt „Heydt Eins“ der Groth-Gruppe gebaut.
Die Mieter der Ungers-Bauten wollten nicht raus
Nachdem die Dibag 1998 das Grundstück am Lützowufer erworben hatte, wurden bald Abrisspläne öffentlich. Gebäudemängel, so meinte der Eigentümer, ließen sich mit vertretbarem Aufwand nicht mehr beheben. Für diese Gegend schienen die nicht unumstrittenen Ungers-Bauten mit 84 Wohnungen auch nicht mehr zeitgemäß. So sollte also ein Neubau her.
Den Mietern gefiel das natürlich nicht. Sie organisierten sich in der Interessengemeinschaft Lützowplatz, kämpften jahrelang gegen den Abriss. Am Ende mussten sie sich geschlagen geben. Mit finanziellen Abfindungen zogen 2012 die letzten Bewohner aus. Im Jahre darauf wurde die kleine Siedlung – 30 Jahre nach der Fertigstellung – endgültig abgerissen.
Schon 2005 war ein Gutachterverfahren für die Bebauung in Gang gesetzt worden. Modersohn & Freiesleben überzeugten mit ihrer ersten, gewerbelastigen Konzeption. Nach der Umplanung stehen nun 13 400 Quadratmeter Geschossfläche für Wohnen 11 200 Quadratmetern für gewerbliche Nutzung gegenüber, bisher nur auf dem Papier. Stadtrat Spallek wünscht sich, dass bald Bagger anrollen: „Ich würde mich sehr freuen, wenn die dringend benötigten Wohnungen auch zeitnah gebaut und bezogen werden können.“
Das von Johannes Modersohn und Antje Freiesleben 1994 gegründete Architektenbüro hat in Berlin ein Bürohaus im Beisheim Center am Tiergartenrand und – in Zusammenarbeit mit der Architektengemeinschaft Hilmer & Sattler – den Regionalbahnhof am Potsdamer Platz gebaut. Mehrere Wohngebäude, darunter die Häuser Choriner Straße 79 und Neue Roßstraße 16-17 in Mitte, wurden mit Architekturpreisen ausgezeichnet.
Paul F. Duwe