Berlin: Reif für den Abriss?
Wohnanlage am Lützowplatz soll wegen Mängeln einem Neubau weichen Dabei wurde sie erst vor 23 Jahren für die Bauausstellung errichtet
Claudia Kleiner sitzt in der Wohnküche im zweiten Stock, vorm Haus braust der Verkehr am Lützowplatz, doch wegen der Schallschutzfenster ist es mucksmäuschenstill in der Wohnung. Ihr Blick schweift in das nach hinten liegende Wohnzimmer und die große Terrasse. „So viele wirklich alte Häuser werden saniert, warum nicht unseres?“ Sie will für das Haus, das für sie in 23 Jahren zur Heimat geworden ist, kämpfen. Um das Schlimmste zu verhindern – den Abriss.
Vor zwei Jahren bekam die vordere Platzfassade einen neuen Anstrich, was Mietern falsche Hoffnungen machte. Aber die Eigentümer sind mehr denn je entschlossen, das Haus in spätestens zwei Jahren abzureißen, einen Neubau mit Wohnungen, Büros und Geschäften zu errichten. Eine Sanierung sei teurer als ein Neubau. Damals habe man gepfuscht. „Da ist alles falsch gemacht worden, was man falsch machen kann“, sagt Andreas Wißmeier von der Dibag. „Da wurde nur Mist gebaut. Breite Risse an Wänden und Fußböden, statische Probleme, Schlamperei beim Bau, schlechtes Material.“ Dabei ist der gescholtene Bau erst 23 Jahre alt: Bitteres Fazit für ein Haus, das für die Internationale Bauausstellung (IBA) errichtet worden war. Die Münchener Dibag hatte es vor acht Jahren bei einer Zwangsversteigerung erworben. Claudia Kleiner spricht von einem „Spekulationsobjekt“.
Der Bau wurde damals schnell hochgezogen, es gab auch viele Mängel, aber neue Risse will Claudia Kleiner seit fünf Jahren in ihrer Wohnung nicht mehr bemerkt haben. Sie hat eine Interessengemeinschaft Lützowplatz gegründet, um die Anlage zu retten. In den hinteren Häusern aber klaffen Risse an der Fassade. Die Dibag versichert, sie habe die Wohnungen retten wollen. Aber neue Gutachten hätten ergeben, dass die Anlage mit ihren 84 Wohnungen aus wirtschaftlichen Gründen nicht mehr zu sanieren sei. Schon 2001 stellte die Firma einen Abrissantrag, den der Bezirk versagte – auch mit dem Hinweis auf Fördermittel für den sozialen Wohnungsbau, die in dem Projekt steckten. Die Lage hat sich geändert, Mittes Baustadträtin Dorothee Dubrau (Grüne) entscheidet über einen neuen Abrissantrag, und den hält sie für „ohne Probleme genehmigungsfähig“.
Inzwischen stehen schon 38 Wohnungen leer, in den restlichen leben rund 120 Bewohner, darunter zwei 80-Jährige. Die Mieter erhielten Schreiben, dass sie sich auf einen Auszug vorbereiten müssten.Eine Mieterberatungsgesellschaft wurde eingeschaltet. „Der Abriss ist ein hochemotionales Thema“, sagt Andreas Wißmeier von der Dibag.
Noch seien die Vorstellungen über den künftigen Bau, „sehr vage“, der Bezirk arbeite an einem Bebauungsplan. Das Büro Modersohn & Freiesleben hat in einem Gutachterverfahren Vorschläge entwickelt. Die Dibag stellt sich vorn am Platz ein Geschäftshaus mit Läden und Büros vor, als Schallschutz vor Wohnungen im hinteren Teil. Zu welcher Größe, zu welchem Preis – das ist noch unklar.
Der Leerstand wirkt sich auch auf Gärten und Terrassen im hinteren Teil der Anlage aus, die mit ihren Vier-Zimmer-Maisonettes wie eine Reihenhaussiedlung wirkt. Aber der Wohnkomplex lässt ahnen, was die IBA mit dem 22-Millionen-D-Mark-Projekt demonstrieren wollte: „Introvertiertes Wohnen“ an einem verkehrsreichen Platz, mit Ruhe- und Spielzonen im Inneren, einer Mischung von privaten und halb öffentlichen Zonen. Architekt Oswald Mathias Ungers beurteilte den Bau damals sehr kritisch, weil vieles an seinem Entwurf aus Kostengründen nicht verwirklicht wurde.
Christian van Lessen
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