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Er weiß, dass er großes Glück gehabt hat. Muhammad Alzeen ist angekommen in Berlin, in seiner Wohnung in Friedenau
© Nora Tschepe-Wiesinger

Alltag eines syrischen Flüchtlings in Berlin, Teil 2: "Wir sind dankbar!"

Wir berichteten vor ein paar Wochen im Tagesspiegel Zehlendorf über den syrischen Flüchtling Muhammad Alzeen. Nun haben wir ihn erneut besucht. Nach Jahren auf der Flucht und Monaten in einer Turnhalle in Dahlem hat Muhammad endlich ein Zuhause gefunden.

„Hörst du, wie ruhig es ist?“, fragt Muhammad Alzeen, die Augen halb geschlossen, die langen schwarzen Haare akkurat zurückgekämmt. Aus dem Fenster hinter ihm fallen Sonnenstrahlen auf sein Gesicht. Er lächelt, wirkt entspannt. Kein Kindergeschrei, kein Handyklingeln, kein Stimmengewirr. All diese Geräusche waren bis vor kurzem noch fester Bestandteil seines Alltags. Drei Monate lang war Muhammad Alzeen, 24 Jahre alt, aus Damaskus, Syrien, in einer Turnhalle zuhause: 1200 Quadratmeter, die er sich zusammen mit 200 anderen Menschen geteilt hat.

Er ist einer von rund 2500 syrischen Flüchtlingen, die momentan in Berlin leben. Seit Dezember letzten Jahres sind er und sein zwei Jahre jüngerer Bruder Ahmad in Deutschland; bis vor kurzem haben sie in der Turnhalle der Freien Universität, die kurz vor Weihnachten sporadisch als Flüchtlingsnotunterkunft hergerichtet wurde, gelebt. Das ist jetzt Vergangenheit.

Alzeen sitzt, die Beine verschränkt, auf einem Stuhl in einem Zimmer, das fast komplett leer ist. Bei jedem Satz, den der junge Syrer spricht, hallt es. Alzeen ist glücklich. Seine Welt ist nicht länger die laute, volle Turnhalle, sondern eine Wohnung in Berlin-Friedenau: Eineinhalb Zimmer, 55 Quadratmeter, vom Balkon aus blickt man auf einen blühenden Apfelbaum. Er und sein Bruder Ahmad werden hier in den nächsten Tagen einziehen, im Flur der Wohnung stehen Farbtöpfe, am Wochenende wollen sie anfangen zu streichen. Dass Muhammad Alzeen nach nur fünf Monaten in Deutschland bereits in einer eigenen Wohnung lebt, ist nicht selbstverständlich und alles andere als gewöhnlich. Er hat sehr viel Glück gehabt und kannte die richtigen Leute – das weiß er. „Ohne die Hilfe deutscher Freunde wären wir jetzt nicht hier, sondern in Spandau oder Lichtenberg“, sagt er. Dorthin wurden die 200 anderen Flüchtlinge, die zusammen mit ihm in der Turnhalle gelebt haben, nach vier Monaten gebracht – zwar in richtige Flüchtlingsheime, aber so viel Platz und Ruhe wie die Brüder Alzeen haben sie nicht.

"Schlafen, wann ich will und kochen, was ich will"

„Wir sind sehr dankbar“, sagt Alzeen. Sein Blick schweift ungläubig über die nackten weißen Wände und die hellen Holzdielen. Eine der Anwohnerinnen in Dahlem, die er aus seiner Zeit in der FU-Turnhalle kennt, hat sich um die Wohnungssuche gekümmert, Telefonate geführt, mit dem Vermieter gesprochen, Formulare übersetzt. Das LAGeSo (Landesamt für Gesundheit und Soziales), das Flüchtlinge sonst bei der Wohnungssuche unterstützt, übernimmt die Mietkosten und hilft bei der Beschaffung von Möbeln. „Ich kann endlich anfangen, ein normales Leben in Deutschland zu führen: Schlafen, wann ich will und kochen, was ich will“, sagt Alzeen und wirkt zuversichtlich, obwohl er nicht weiß, wie lange er dieses normale Leben überhaupt führen kann. Seine Aufenthaltsgenehmigung wurde zwar um ein Jahr bis zum 13.4.2016 verlängert, aber sein Asylantrag immer noch nicht bewilligt. Eigentlich soll darüber spätestens drei Monate nach der Antragsstellung entschieden werden, doch die zuständigen Ämter sind überlastet, es fehlt an Personal und Zeit. „Es wird noch eine Weile dauern, bis wir ein wirklich friedliches Leben hier haben“, sagt Alzeen.

Bis vor wenigen Wochen bestand das Leben des Syrers Muhammad Alzeen vor allem aus einem: Warten
Bis vor wenigen Wochen bestand das Leben des Syrers Muhammad Alzeen vor allem aus einem: Warten
© Nora Tschepe-Wiesinger

Er weiß, dass er und sein Bruder bereits sehr viel erreicht haben – mehr als Abdullah, Hoger, Ehmed, seine syrischen Bettnachbarn in der Turnhalle, die nun in den Flüchtlingsheimen in Spandau und Lichtenberg leben. Er hat kaum noch Kontakt zu ihnen. Den Deutschkurs, den Ehrenamtliche der evangelischen Kirchengemeinde Dahlem täglich für die Flüchtlinge aus der Turnhalle angeboten haben, gibt es zwar noch, aber von Spandau und Lichtenberg ist der Weg nach Dahlem weit. Nur noch wenige nehmen regelmäßig daran teil.

Muhammad Alzeen darf durch die Verlängerung seiner Aufenthaltsgenehmigung außerdem endlich offiziell an einer Volkshochschule Deutsch lernen. Er hat sich ein Ziel gesetzt: In einem Jahr will er die Sprache fließend sprechen. „Ich muss endlich richtig Deutsch lernen“, sagt er fest entschlossen. Man merkt ihm an, wie ernst es ihm mit seiner Zukunft in Deutschland ist, wie viel er bereit ist dafür zu geben. Seine Zielstrebigkeit ist sein Schlüssel zum Erfolg. Auch seine Offenheit und Ehrlichkeit, mit der er über seine Vergangenheit und seine Ziele für die Zukunft spricht, helfen ihm. Es fällt ihm leicht, mit anderen ins Gespräch zu kommen. Durch den Deutschunterricht hat er sich mit vielen Dahlemern angefreundet, die ihm und seinem Bruder helfen und sie unterstützen. Ein älteres Ehepaar hat Kontakte zu einem ägyptischen Koch, der Alzeen angeboten hat, arabische Gerichte in seinem Restaurant zu kochen. Alzeen darf jetzt vierzig Stunden in der Woche arbeiten, kochen ist ohnehin seine Leidenschaft. Noch lieber würde er aber sein Studium in Deutschland beenden, das er wegen des Bürgerkriegs in seinem Land abbrechen musste. Er hat englische Literatur studiert, stand ein Jahr vor seinem Abschluss, wollte Übersetzer werden. Momentan weiß er nicht, ob er überhaupt wieder an die Uni zurückkehren kann, denn er darf in Deutschland erst studieren, wenn sein Asylantrag bewilligt wird.

Alzeens Tage sind jetzt sehr ausgefüllt. Statt stundenlang aufs Handy zu starren und auf die nächste Mahlzeit zu warten, muss er ständig zu Behörden und Ämtern: die Wohnung anmelden, sie beim LAGeSo und Bundesamt für Migration und Flüchtlinge registrieren, einen Sozialversicherungsausweis beantragen.

Er denkt noch oft an die Zeit in der Turnhalle und wird fast ein wenig melancholisch, wenn er darüber spricht. „Die Leute fehlen mir manchmal. Wir haben uns aneinander gewöhnt, die Halle war unser Zuhause.“ Die Worte gehen ihm leicht über die Lippen, jetzt wo seine Zeit dort vorbei ist. Er erzählt von der Abschiedsfeier vor zwei Wochen, von dem gemeinsamen Grillen und Ausflügen zur Krumme Lanke.

Muhammad Alzeen ist angekommen in Berlin, in seiner Wohnung in Friedenau. Er weiß, wie man mit der Ringbahn am besten zum Tempelhofer Feld kommt und wo es die beste Pizza in Schöneberg gibt. Er hat deutsche Freunde und Bekannte, mit denen er am Sonntag den Tatort guckt und ihnen beibringt, arabisch zu kochen. Er freut sich auf seine Zukunft, aber hat Angst vor dem Ablaufdatum seines Glücks. Bis zum 13.4.2016 sind es noch 342 Tage.

Die Autorin ist freie Mitarbeiterin des Tagesspiegel. Ihre erste Reportage über Muhammad, für die sie mehrere Tage in der Notunterkunft in Dahlem verbracht hatte, erschien auf der Reportageseite dieser Zeitung und auf dem Zehlendorf Blog, dem Online-Magazin aus dem Südwesten.

Nora Tschepe-Wiesinger

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