Die Grüne Woche in Berlin: Im ICC die Flüchtlinge, nebenan die Trachtengruppe
Im ICC leben 500 Flüchtlinge, genau gegenüber läuft gerade die Grüne Woche. Ein Ortsbesuch zwischen Schicksalen und Drehorgeln.
Die Drehorgel steht 50 Meter weiter, in der Unterführung am ICC, ein Mann mit schwarzem Hut dreht die Kurbel, ein Stoffaffe klebt am Instrument. Die Musik ist ja auch nicht für Flüchtlinge wie Mouid Moaldi gedacht, die Musik begleitet die Massen, die zur Grünen Woche strömen. 20 Männer und Frauen in bayerischer Tracht strömen auch vorbei, sie kommen aus der Gegend von Schweinfurt, sie haben Auftritte bei der Messe. Folklore meets Flüchtlingsschicksale, getrennt nur durch ein paar Fahrspuren.
Mouid Moaldi zieht wieder an seiner Zigarette, genau gegenüber stehen die Besucher an den Kassen, sie wollen Tickets für die Grüne Woche, sie beachten das ICC nicht, das wie ein Raumschiff daliegt, und die drei Flüchtlinge, die vor dem silbernen Gebäude an ihren Zigaretten ziehen und ohne Socken in Plastikschuhen in der Kälte stehen, erst recht nicht. Mouid Moaldi aus Syrien ist mit einer Gruppe beim Rauchen. Drin dürfen sie es nicht.
Exotische Früchte, Trachtengruppe? "Kein Interesse"
Die Gruppe registriert die Masse da drüben gleichgültig. Irgendjemand, Moaldi weiß nicht mehr wer, hat ihn gefragt, ob er auch mal rüber möchte, zu den tollen Speisen, zu den exotischen Früchten, zu den Bühnen, auf denen eine bayerische Trachtengruppe auftritt? Aber Moaldi schüttelt nur gleichgültig den Kopf. „Nee, ich habe kein Interesse“, sagt er dann. Auch die anderen Raucher winken bloß ab. Altasaem Hassan, der Syrer, der schon ein paar Brocken Deutsch kann und unvermittelt strahlend verkündet: „Danke Deutschland“. Aber auch Al Alamg Hassam aus dem Irak, 30 Jahre alt, früher Verkäufer in einem Kleiderladen.
Im Moment leben rund 500 Flüchtlinge im ICC
Drei von rund 500 im ICC. Sie leben im vierten und fünften Stock, unten, im Erdgeschoss sind die drei Zimmer, in denen Deutsch unterrichtet wird, der medizinische Trakt, aber auch die Büros, in denen die Maltester sitzen. Die Malteser betreiben das Heim. Aber jetzt ist Samstag, die Flure hinter den Eingangstüren sind gähnend leer, nur leise Gitarrenmusik zieht sich durch den riesigen Flur. Die Gitarren gehören zu dem Film, den ein einsamer Wachmann auf seinem kleinen Laptop verfolgt. Er hängt in seinem Stuhl, außer zwei Mitarbeitern der Malteser ist weit und breit niemand zu sehen.
500 Menschen, auch wenn sie auf zwei Flure verteilt sind, sind Potenzial für Spannungen, für Konflikte. Aber die Drei in der Kälte erzählen von Harmonie, von angenehmer Atmosphäre, von freundlichen Gesprächen. Sie bestätigen, was Matthias Nowak, der Pressesprecher der Malteser, sagt: "Wir haben dort friedliche Gruppen. Das liegt auch daran, dass sich 30 Sozialarbeiter um die Menschen kümmern." Die Menschen, Nowak nennt sie "Gäste", werden rundum betreut. Ursprünglich sollten nur Familien im ICC wohnen, aber das ließ sich nicht verwirklich. Jetzt sind Familien und Alleinreisende im Gebäude. Trotzdem herrscht eine ruhige Atmosphäre. Irgendwann werden 80 weitere Flüchtlinge einziehen. Aber mit 600 Personen ist dann die maximale Grenzen erreicht.
Es gibt einen Kindergarten, es gibt Sportmöglichkeiten, eine Sporthalle, es gibt Deutschunterricht, es wird für alles gesorgt. Und das Problem mit den Windpocken, sagt Nowak, habe man auch im Griff. 30 Personen waren erkrankt, kamen aber nicht in Quarantäne. Für Schwangere waren die Windpoken besonders gefährlich, sie durften sich nicht anstecken. Aber alle wurden untersucht und geimpft, es gebe keine Probleme, sagt Nowak.
Aber draußen, außerhalb des ICC, weit weg von den Themen Windpocken oder Essen oder Sportmöglichkeiten, weg von der Harmonie und friedlichen Atmosphäre, da läuft gerade eine emotional aufgeheizte Diskussion. Da geht’s um die Frage, ob jetzt dringend Schluss sein müsse mit dem Zuzug neuer Flüchtlinge. Ob das Land Obergrenzen benötige. Ob Deutschland nicht ohnehin zu viele Flüchtlinge habe. Das Klima verschärft sich. Was bekommen sie davon im ICC mit?
Gar nichts bekommen sie davon mit, sagen alle Drei. Hassan, der 30-jährige Syrer, der in seiner Heimat als Automechaniker gearbeitet hatte, schaut so, dass man in seinen Blicken Ratlosigkeit erkennen könnte. „Davon weiß ich nichts. Das habe ich noch nie gehört.“ Schwer vorstellbar, aber gut, mal angenommen, es ist so. Was aber macht dieser Streit, mit ihnen, jetzt da sie von ihm gehört haben? Bekommen sie ein mulmiges Gefühl? Empfinden sie immer noch das Gefühl von „Danke Deutschland“? Die Antworten sind erstmal gesenkte Köpfe. Dann ein unverständliches Murmeln Richtung Asphalt. Aber eine klare Antwort, die kommt nicht. Vielleicht haben sie auch gar keine. Was sollen sie auch sagen?
Sie sehen Deutschland als ihre neue Heimat, sie wollen dieses Land, in dem seit ein paar Monaten leben, nicht als feindliches Umfeld wahrnehmen. Zurück nach Syrien? Wenn alles vorbei? „Nein“, sagt Mouid Moaldi, der Syrer, er spuckt das Wort geradezu aus. Dann kreuzt er die Arme. Ich wurde gefesselt, sagt diese Geste. „Ich war zwei Jahre im Gefängnis. wenn ich zurück gehe, werde ich wieder verhaftet.“ Weshalb er im Gefängnis war, bleibt unklar. Auch die anderen bekommen große Augen beim Wort Rückkehr. „Nie“, sagen sie auf Englisch.
Sie lernen gerade ihre neue Heimat kennen, Menschen mit weißen Kniestrümpfen, rustikalen Lederhosen und geschwungenen Hüten zum Beispiel. Diese Menschen stehen genau gegenüber. Die Trachtengruppe hat den Haupteingang erreicht.