Hundeverbot und andere Alltagskonflikte in Berlin: Freiheit und Rücksicht passen zusammen
Den Konflikt ums Hundeverbot am Zehlendorfer Schlachtensee kann man als Symptom für vieles beklagen oder sich darüber lustig machen. Man könnte auch daraus lernen. Lesen Sie, was der Chefredakteur von Tagesspiegel-Online in der Debatte vorschlägt.
Zehlendorf sieht in überregionalen Medien derzeit nicht gut aus. "Mahnwachen und Protestmärsche", meldet die "Süddeutsche Zeitung" aus dem Südwesten der Hauptstadt nach Bayern und hält sich dabei an das bei Berlin-Themen in der Münchner Redaktion streng einzuhaltende Süffisanz-Gebot: "Es geht um eine große Sache - darum, ob an einem Badeweiher Hunde erlaubt sein sollten." In der "Welt" bleibt erwartbar die Chance, das "Bedürfnis der Gesellschaft, alles zu reglementieren" anhand des Hundeverbots am Schlachtensee zu beklagen, nicht ungenutzt.
Derweil leitet die "taz" daraus die studentenwitzige Forderung nach einem "landesweiten Hundeverbot" ab. Und der ganz hohe Ton erklingt im Feuilleton der "Zeit", in dem eine Linie von den Zehlendorfer Hundefreunden über "Wutbürger" der Marke Pegida hin zu großen Popcornbechern im Kino als Markierung einer angeblichen Infantilisierung unserer Gesellschaft gezogen und kritisiert wird, dass sich die kindischen Zehlendorfer Demonstranten um den Auslauf ihrer Hunde sorgen statt erwachsen gegen die NSA zu protestieren.
Mich erinnern diese Meta-Einlassungen in der medialen Berlin-Korrespondenz an die Arroganz mit der in der großen oder sich für groß haltenden Berliner Politik mit Alltagsproblemen umgegangen wird. Oder besser: wie sie ignoriert werden. Unter Weltfrieden machen wir es hier nämlich nicht. Läuft doch irgendwie, wir sind nicht Haiti. Mit Themen wie Vandalismus, Lärm oder eben Behelligungen durch Hunde sollte man sich lieber nicht diskursiv auseinandersetzen, will man nicht als kleinkariert, regulierungswütig, provinziell oder humorlos dastehen. Und außerdem gibt es ja immer ein noch größeres Problem, warum sich also die Mühe machen, im Kleinen überhaupt anzufangen?
Einsicht als politisches Ziel
Wir könnten diese Themen aber auch als zentral für ein ziviles Zusammenleben anerkennen. Und es könnte gerade anhand dieser Themen im Kleinen erprobt werden, wie eine Gesellschaft womöglich mit weniger Regulierung, Verboten etc. auskäme. Es könnte dabei zum Beispiel herauskommen, dass Freiheit und Rücksicht sehr wohl zusammenpassen. Sogar in Berlin.
Einsicht wäre der Begriff, der beides verbindet. Einsicht zu ermöglichen sollte das Ziel jeder Politik im konflikanfälligen direkten Umfeld der Bürger sein: Verständnis zu erzielen, Hineinversetzen in die Position des Gegenübers, Umdenken aus Vernunft und damit letztlich aus freien Stücken, so wie es dann auch am nachhaltigsten ist.
Dafür aber braucht es Diskurs und Kommunikation. Konkret: Sobald ein tatsächlicher oder möglicher Konfliktpunkt erkannt ist, mischt sich die bezirkliche Politik mit Diskursangeboten, nicht mit Sanktionen ein und setzt auf Überzeugungsarbeit am Ort des Geschehens.
Das Geld zum Beispiel, das nun für Polizeieinsätze samt Mediatoren am Schlachtensee aufgebracht werden muss, oder für Kontrollen, um das Hundeverbot durchzusetzen, wäre in systematische Streifengänge am See, schiere Präsenz, bevor es überhaupt zu dem unseligen Verbot kommen musste, viel besser investiert gewesen. Das Bezirksamt hätte dort schon früh und regelmäßig Menschen hinschicken sollen, deren Aufgabe nicht zuallererst Observation, Kontrolle und Ahndung, sondern Diskurs und Kommunikation ist, Überzeugung mit Argumenten.
Die direkte Ansprache der Bürger, ohne diese gleich mit Formalitäten zu behelligen, gehört in Berlin bislang nicht zur irgendwie maulfaulen behördlichen Alltagskultur. Es wäre schon so viel gewonnen, wenn die lieben Leutchen vom Ordnungsamt mal den einen oder anderen Hundehalter präventiv in das eine oder andere freundliche Informationsgespräch verwickeln würden - zum Beispiel über das, was an einem Badesee sinnvoll zu tun oder zu lassen wäre.
Lesen Sie hier auch die Antworten unserer Leser auf einen nicht ganz so verbissen gemeinten Aufruf des Tagesspiegel-Chefredakteurs Lorenz Maroldt im Checkpoint. Es ging um die Frage, dürfen denn Hunde noch in Boote?
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Der Autor ist Chefredakteur Online beim Tagesspiegel und Kiezblogger fürs Bayerische Viertel. Der Text erscheint auf Tagesspiegel-Zehlendorf, dem digitalen Stadtteilportal aus dem Südwesten.