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Die Idylle am Schlachtensee in Zehlendorf trügt. Zurzeit wird heftig gestritten um ein Hundeverbot, aber darüber hinaus gibt es viele andere Konflikte zwischen Bürgern und denen im Bezirksamt, die Politik für die Bürger organisieren sollen. Manche Bürger werden immer kompromissloser, manche Politiker aber auch - aus Angst vor der Debatte.
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Willkommen im Tagesspiegel Zehlendorf: Bürger gegen Bürokraten

Liebe Leserinnen und Leser, Tagesspiegel Zehlendorf folgt auf den "Zehlendorf Blog". Künftig wollen wir Ihnen, neben der liebevollen und kritischen Begleitung des Stadtteils, eine Plattform für Debatten bieten. Deshalb lesen Sie hier künftig auch lokalpolitische Analysen wie diese.

Die bezirkliche Politik mit ihren Bezirksverordneten, einem Bezirksamt mit Stadträten und großen Bürokratieapparaten kommt gerade offensichtlich an Grenzen. In Steglitz-Zehlendorf, und vor allem im Zehlendorfer Rathaus, das den Mittelpunkt dieser Geschichte bildet, ist das besonders gut zu beobachten.

Die Bezirkspolitik, und das gilt letztlich für die gesamte Berliner Politik, hat Angst vor dem Bürger – und seinem, zugegeben, mittlerweile oft großen Furor.
Letztens nach der Bezirksverordnetenversammlung sagte ein hochrangiger Vertreter einer Partei, die den Stadtteil mitregiert, einen erstaunlichen Satz: „Früher hat hier auch keiner so genau hingeschaut.“ In dem Satz steckt alles drin, was man in Zehlendorf beobachten kann: Ohnmacht, Angst, Misstrauen, Überforderung. In den letzten Wochen und Monaten hat Zehlendorf sehr viele Beispiele zu bieten, an denen man diese Überforderung festmachen kann: Das Hundeverbot am Schlachtensee, der permanente Neubau von hochwertigen Wohnungen und Luxusanlagen mit der Verdrängung der alten Mieterstruktur, der Umgang mit dem Sanierungsstau an den Schulen und Sportanlagen, die Auseinandersetzungen um Flüchtlingsunterkünfte, der Streit um Lärm oder Lärmschutz.

Das Hundeverbot am Schlachtensee ist das markanteste Signal von Ohnmacht, auch wenn die Grünen-Stadträtin Christa Markl-Vieto denkt, sie habe zu Recht konsequent und kompromisslos gehandelt, weil hier Dialog, Kompromiss, Transparenz sowieso keine Chance hätten. Die Stadträtin wollte ein bewusstes Zeichen setzen: Bis hierher und nicht weiter!

Ist es das, was Politik zu leisten hat?

Aus dem, was Christa Markl-Vieto schon erlebt hat, ist ihr Handeln verständlich. Wenn man sich mit ihr unterhält, bekommt man ein gutes Gefühl dafür, was die oft radikale Einforderung partikularer Interessen mit dem Nervenkostüm der Bezirksverantwortlichen anstellen kann. Die Stadträtin ist oft bedroht worden, per Mail und mit subkutanen Botschaften.

Ein kleines, abseitiges Beispiel, kann das veranschaulichen: Die Friedhöfe in Zehlendorf sind groß, deshalb wollte das Bezirksamt einige freie Flächen umwidmen, abgetrennt von einer großen Hecke sollte ein kleiner Tierfriedhof entstehen. Doch sofort, als der Plan bekannt wurde, gründete sich eine Initiative von Betroffenen, die der Stadträtin hart zusetzte, sie als „pietätlos“ beschimpfte und verlangte, Markl-Vieto solle die Umbettung der Angehörigen aus eigener Tasche bezahlen. Es sei unmöglich, dass Menschen neben Tieren begraben liegen!

Das derzeit noch amtierende Bezirksamt in Steglitz.Zehlendorf
Das derzeit noch amtierende Bezirksamt mit dem demnächst ausscheidenden Stadtrat für Stadtentwicklung Norbert Schmidt (CDU), Bildungsstadträtin Cerstin Richter-Kotowski (CDU), Bürgermeister Norbert Kopp (CDU), Umweltstadträtin Christa Markl-Vieto (Grüne) und Immobilienstadtrat Michael Karnetzki (SPD).
© Anett Kirchner

Tatsächlich ist es so, dass sich gerade in Zehlendorf immer häufiger und immer zahlreicher Bürger engagieren und ihre Interessen artikulieren. Das ist eher neu und zunächst gut, denn das kannte man bisher eher aus innerstädtischen Bezirken. Vor allem aber ist es neu für die Bezirkspolitik, weil sie sich nun permanent einlassen und auseinandersetzen muss. Doch sie sieht es in erster Linie als Bedrohung.

Das beste Beispiel für das Versagen der bezirklichen Kommunikation aus Angst ist der Umgang mit der katastrophalen baulichen Situation der Schulen und Sportplätze. Zigfach haben Elternvertreter sie aufgelistet, Briefe geschrieben, gemahnt, gefordert. Aber eigentlich haben sie vor allem ein offenes Signal erwartet, dass man die Sorgen ernst nimmt und Verständnis aufbringt. Statt dessen hat man sich auf formale Positionen zurückgezogen: Kein Geld, keine Chance zu handeln.

Das Fichtenberg-Gymnasium ist deshalb zum Symbol dafür geworden, wie man eine Schule im Bürokratiewahn jahrelang im Stich lassen kann. Die Auflistung der Mängel an dieser Schule und ernsthaften, womöglich lebensgefährlichen Bauschäden ist sehr lang. Die Verantwortlichen im Bezirksamt, das sind mehrere Stadträte, haben sich immer gegenseitig die Verantwortung zugeschoben. Irgendwann wurde der Schulleiter, ein unerschrockener Mann mit viel Empathie für seine Schüler, vor lauter Gram und Kummer schwer krank. Was sich anhört wie aus Grimms Märchen entspricht der Wahrheit. Der Mann möchte über sein Schicksal nicht mehr reden, aber es hatte, sagt er, vor allem damit zu tun, wie man mit ihm umgegangen sei.

In Zehlendorf hechelt die Bezirkspolitik den Ereignissen zu oft erstaunt hinterher.

Bei den Containerbauten an Schulen, die nun den Brandbestimmungen nicht mehr entsprechen, hieß es erst, man könne notsanieren, ein paar Wochen später hieß es, sorry, geht leider doch nicht. Es ist diese Art der Kommunikation die Eltern, Schüler und Direktoren verzweifeln lässt.

Der Bürgersaal im Rathaus Zehlendorf, in dem einmal im Monat die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) stattfindet, derzeit sind die Piraten, die Grünen, die CDU und die SPD in der BVV vertreten.
Der Bürgersaal im Rathaus Zehlendorf, in dem einmal im Monat die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) stattfindet, derzeit sind die Piraten, die Grünen, die CDU und die SPD in der BVV vertreten.
© Anett Kirchner

Gerade erst endete auch die von Anwohnern erzwungene Informationsveranstaltung über die Pläne, ein Rugby-Stadion auf dem Gelände der Wilma-Rudolph-Oberschule zu bauen wie das Hornberger Schießen. Die Stadträtin Cerstin Richter-Kotowski (CDU) war einfach nicht im Stoff und konnte die eigenen Argumente nicht verständlich artikulieren. Niemand hatte sich im Vorfeld Gedanken darüber gemacht, dass ein solcher Plan naturgemäß nicht allen gefallen wird. Die Veranstaltung drohte zu eskalieren.

Dabei gibt es sehr gute Argumente für das Stadion: Die Schule, übrigens eine Sportschule, bekommt endlich einen sanierten Sportplatz, der Bezirk könnte es alleine sowieso nicht bezahlen, und die Anwohner würden womöglich beruhigt sein, hätte man ihnen früh die Chance gegeben, ihre Bedenken zu äußern.

Ein Informationsabend nur für geladene Gäste

Und noch ein absurdes Beispiel aus Zehlendorf: Gerade erst in dieser Woche fand endlich die erste Informationsveranstaltung zum Thema Flüchtlingscontainer an der Potsdamer Chaussee statt. Auch hier auf Druck der Anwohner. Bald sollen dort, für maximal zehn Jahre, Flüchtlinge einziehen. Selbst Bürger, die die Not der Flüchtlinge sehen und helfen wollen, machten sich Gedanken darüber, wie sich der Ort verändern würde. Das Bezirksamt aber wollte erst informieren, wenn, wie es der Bürgermeister sagte, „alles in trockenen Tüchern ist“. Dann wiederum musste es ganz schnell gehen, und weil die Veranstalter auch noch Angst davor hatten, dass die „Falschen“ kommen könnten, also auch Rechte oder Rechtsradikale, sollte der Abend quasi heimlich stattfinden, nur mit den unmittelbar betroffenen Anwohnern.

Auf der Veranstaltung selbst sprach schließlich eine Frau aus, was der Bezirkspolitik womöglich in Vergessenheit geraten ist: "Sie vertreten auch die Interessen derer, die sie gewählt haben. Das sollten sie wenigstens berücksichtigen."

Offener Dialog und Mut, politische Entscheidungen zu vertreten, sehen anders aus. Politik und Behörden dürfen aber nicht vor der notwendigen demokratischen Auseinandersetzung kapitulieren. Die Bezirksverordneten und auch die Stadträte organisieren Politik für die Bürger. Sie sind geradezu zum Ausgleich, zum Dialog, zur Auseinandersetzung verpflichtet. Das ist mit Sicherheit keine leichte Aufgabe, im Gegenteil, und die Bürger sollten Respekt und Verständnis haben. Letztlich gehört es aber zu dieser Aufgabe, auszuhalten, dass Partikulargruppen ihre Interessen durchsetzen wollen. Der Bürger kann sich eine kompromisslose Haltung im Meinungsstreit leisten. Aber der Politiker darf niemals kompromisslos entscheiden, weil er sonst noch mehr Kompromisslosigkeit und Politikverdrossenheit produziert.

Der Staatsrechtler Oliver Lepsius plädiert an dieser Stelle für eine „Kultur des Kompromisses“. Wörtlich sagt er: „Es ist zutiefst demokratisch, eine Kultur des Kompromisses verständlich zu machen. Bei uns ist ja nicht das Problem, dass wir zu wenige unterschiedliche Meinungen haben, das Problem ist, für Entscheidungen zustimmungsfähige Mehrheiten zu finden. Wenn es hier schwierig wird, sagt die Politik gerne, eine Entscheidung sei ‚alternativlos’. Damit stiehlt man sich aus der Begründung und Verantwortung.“

Vielleicht ist es letztlich richtig, das Hundeverbot am Schlachtensee und der Krummen Lanke durchzusetzen. Aber der Weg ist der falsche. Aus Angst, Ohnmacht und Ärger über den Bürger und sein Verhalten, gar nicht erst in den Dialog einzutreten, kann nicht richtig sein.

Der Autor ist Redakteur für besondere Aufgaben im Tagesspiegel und hat das lokale Portal Tagesspiegel Zehlendorf konzipiert. Folgen Sie dem Autor auch auf Twitter oder Facebook.

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