Halbstadt-Hype: Erzähl mir nix von West-Berlin!
Bowie, Juhnke, Mauer-Mythos – das alles liegt nicht erst seit Rainald Grebes neuer Schaubühnen-Revue im Trend. Doch damit sollte es nun langsam gut sein.
Das hätte uns mal jemand sagen sollen, damals zu Mauerzeiten: dass West-Berlin immer größer und bedeutender wird, je länger es tot ist. Dann hätten wir uns vielleicht ein Stück Nuss-Sahne aus dem Café Senst eingefroren, hätten ein Autogramm von Sigrid Kressmann-Zschach besorgt und im Schöneberger Hausflur gewartet, bis David Bowie reingewankt wäre. Hätten. Denn nun ist das ja alles viel zu lange her, und damals konnten wir auch beim besten Willen nicht wissen, dass all der Kram um uns herum nun zur Manifestation einer bedeutenden historischen Epoche erhoben werden würde.
War was? Ist was? Warum wird alles, was während der Mauerzeit zwischen Kreuzberg und Spandau passiert ist, gegenwärtig derart gehypt – und wer ist dafür verantwortlich? Sind es wir selbst, die wir damals in dem zufriedenen Bewusstsein gelebt haben, dass zwar der Russe möglicherweise kommt, die Berlin-Zulage aber ganz sicher? Es spricht tatsächlich einiges dafür, dass sich manch alteingesessener West-Berliner, geworfen in den globalen Kapitalismus und dessen Schrecken, nach der warmen Heimeligkeit der Mauerstadt innig sehnt. Und nach dem sicheren Wissen, dass Bonn – so hieß damals die Bundesregierung – die eine Hälfte der Kohle schickt und der Senat die andere schon irgendwie auftreiben wird; in Ost-Berlin funktionierte das unter anderen Vorzeichen ja nicht wesentlich anders. Doch komischerweise ist die andere Leiche, Ost-Berlin, nicht halb so lebendig.
Juhnke, Mira, Pfitzmann, Knef - die haben schon damals genervt
Rainald Grebe hat jetzt an der Schaubühne gleich eine Nummernrevue draus gemacht – vermutlich der richtige Weg, die Klischees des Halbstadt-Lebens endlich zu Tode zu amüsieren. Lustig! Der Juhnke und die Mira, der Pfitzmann und die Knef, alle tot – aber ehrlich: Haben die nicht auch schon damals furchtbar genervt? Christiane F. und die Linie 1, Gott ja, West-Berlin hatte auch ein Bahnhofsviertel, und es kam haufenweise Heroin rein, vielleicht war’s die Stasi? Man möchte das alles gar nicht mehr so genau wissen, das ist so, als würden sie zum runden Geburtstag die doofsten Kinderfotos zeigen, als würde sich das Leben scheinbar nur um Sahnetorten und Pappnasen drehen.
Ich habe 20 Jahre West-Berlin erlebt. Es waren meine schönsten Jahre. Kneipen ohne Ende. Uni-Feten, Go-in, Steve-Club, Dschungel, und die 3 Tornados. Wunderbare Off-Theater. Und Samstags ging es zum Ku-Damm, Kino, Theater und Pizza-Ecken in der Bleibtreustraße. Heute meide ich den Ku-Damm: Invasionen von Touristen. Schreckliche Neubauten und alles sehr steril.
schreibt NutzerIn Teufelsmoor
West-Berlin im Sinne der Nostalgiker zerfällt im Grunde in zwei Teile. Der eine ist der Wilmersdorfer-Witwen-Komplex, das Gebräu von Ku’damm-Theater, Rolf Eden und Curry 195. Der andere ist gewissermaßen die Reaktion darauf, der Untergrund der Punks und Wehrdienstflüchtlinge, der sich um Clubs wie das SO36 rankte und eigentlich auch ein reines Kreuzberger Phänomen war, wenn wir Bowie und Christiane F. mal da großzügig mit reinnehmen. Ja, gut, die Motzstraße und ihre Darkrooms auch.
In Britzbuckowrudow wundert man sich nur, was man alles erlebt haben soll
Aber sonst? Reinickendorf, Spandau, Tempelhof, Britzbuckowrudow? Sind eigentlich der bürgerliche Kern West-Berlins, fallen aber regelmäßig unter den Tisch, wenn sich wieder mal jemand mit Nostalgie besäuft. Da wohnen Leute, die sich immer nur wundern, wenn sie hören, was sie angeblich alles erlebt haben sollen vor 1989. Kommt ein Architekt und verspricht ein Haus in Charlottenburg, dann wird er sofort zum Retter der West-City und ihrer heimlich mitschwingenden Geschichte stilisiert; baut er was in Wedding, merkt das überhaupt niemand.
„Inzwischen leuchtet die City West wieder“, hat die Ausstellung „West:Berlin“ des Stadtmuseums im Ephraim-Palais behauptet, was man eben so sagt, wenn man die Notwendigkeit einer Ausstellung begründen muss. Vielleicht ist das ja so, vielleicht ist das aber auch nur der Refrain zu jedem neuen Richtfest, gesungen in der Hoffnung, dass nun genau dieser gewaltige Bau endlich doch die Rückkehr der besonderen politischen Einheit, des am Tropf gemästeten West-Berlins, einleiten möge. Derzeit passiert das dort, wo mal das Beate-Uhse-Museum war.
Aber Neubauten tun gar nichts. Sie stehen einfach nur so da und sind Teil des Wandels, der erst Ost- und dann West-Berlin unter sich begraben hat. Und damit sollte es nun langsam auch gut sein. Sonst fangen wir mit dieser Leier bei jedem runden Jubiläum wieder von vorn an.
Dieser Text erschien zunächst gedruckt als Rant in unserer Samstagsbeilage Mehr Berlin.