Gerhart-Hauptmann-Schule in Berlin-Kreuzberg: Ein Kiez im Kessel: Polizei riegelt weiter ab
Gitter, Passkontrollen, genervte Anwohner. Der Einsatz in Kreuzberg beschäftigt die Politik. Die Polizei will den Kiez aber weiter abriegeln
Kein Bus mehr im Kiez, ständige Ausweiskontrollen, martialisch bewaffnete Polizisten vor dem Wohnhaus, Umsatzrückgänge in Läden und Lokalen: Anwohner und Geschäftsleute rund um die von Flüchtlingen besetzte Kreuzberger Gerhart-Hauptmann-Schule sind zunehmend genervt vom Belagerungszustand ihres Viertels. Die Kritik an den weiträumigen Polizeiabsperrungen und Kontrollen wird immer lauter. Auch der Innenausschuss des Parlaments will sich an diesem Montag mit der Frage beschäftigen, ob die „Verhältnismäßigkeit der Mittel“ gewahrt wird, so der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Frank Zimmermann. Man erwarte auch „eine Gefahreneinschätzung“ von Seiten des Polizeipräsidenten.
Die Bezirkspolitiker setzten am Sonntag ihre Beratungen fort, wie sie den Konflikt mit den Besetzern lösen wollen. Ein konkreter Plan ist nicht in Sicht: „Das Bezirksamt hat erneut beschlossen, dass es auf keinen Fall die Polizei für eine Räumung anfordern wird“, sagte Bezirkssprecher Sascha Langenbach am Sonntagnachmittag. Der Beschluss sollte auch den Flüchtlingen am Abend überbracht werden. Am Montagvormittag soll es ein weiteres Treffen von Grünen, SPD und Linken im Bezirk geben, bei denen die Stadträte den Fraktionen ihren Beschluss erklären wollen. Der Bezirk ist Hausherr in der Schule, wie lange die Absperrungen um das Gelände noch aufrecht erhalten werden, konnte Langenbach am Sonntag nicht sagen. Ob es Entschädigungen für Gewerbetreibende im Kiez geben könne, werde geprüft. Geschädigte könnten sich unter der E-Mail-Adresse wifoe@ba-fk.berlin.de melden.
Als Vermittler zwischen Besetzern und Bezirk ist seit Sonnabend der Kreuzberger Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele aktiv. Auch nach seinen Worten soll es auf keinen Fall eine gewaltsame Räumung geben. Das sicherte er am Sonnabend bei einem Besuch in der Schule den verbliebenen Flüchtlingen zu. Wie berichtet, sind am vergangenen Dienstag die meisten Besetzer in Berliner Wohnheime umgezogen. Etwa 40 Asylsuchende weigern sich aber, das Gebäude zu verlassen. Einige haben sich aufs Dach zurückgezogen. Etwa 20 Unterstützer harrten laut Polizei in der Nähe des Schulgeländes aus. In der Nacht blieb es ruhig, wie eine Polizeisprecherin mitteilte. Etwa 100 Beamten seien derzeit in den Straßen rund um die Schule im Einsatz. Am Samstagabend demonstrierten rund 3500 Menschen für ein Bleiberecht für Asylsuchende. Sie zogen vom Hermannplatz zum Spreewaldplatz in der Nähe der Ohlauer Straße in Kreuzberg. Die Demonstration verlief friedlich und löste sich gegen 19.30 Uhr auf.
Wie lange die Absperrung bleibt, ist unklar
Bereits seit fünf Tagen hat die Polizei deshalb eine Bannmeile rund um das Karree zwischen Ohlauer/Reichenberger und Lausitzer Straße gezogen. Die Buslinie M29 wird umgeleitet, Veranstaltungen fallen aus, spontane Besuche und Einkäufe im Kiez sind nur erschwert möglich. Teils sicherten Beamte mit Maschinenpistolen das Gelände, was vor allem Anwohner mit Kindern verschreckt. „So ein paramilitärisches Auftreten ist total absurd“, sagt auch Dirk Behrendt von den Grünen im Abgeordnetenhaus, dessen Wahlkreisbüro im Sperrbezirk liegt. „Hier hat doch kein bewaffneter Bankräuber Geiseln genommen.“ Die anderen Oppositionsparteien sehen das ähnlich. Elke Breitenbach von der Linken findet „den Einsatz und Eingriff in den Alltag und die Grundrechte der Anwohner völlig überzogen“. Fabio Reinhardt von den Piraten fragt sich, warum man die Absperrungen nicht viel enger um die Schule zieht und den Kiez außen vor lässt. Die jetzige Strategie trage zur Eskalation bei. Sozialdemokrat Frank Zimmermann und Innenexperte Robbin Juhnke von der CDU-Fraktion wollen der Polizei dagegen nicht vorschnell in die Parade fahren. „Solange es die Sicherheitslage erfordert, müssen die Absperrungen sein“, sagt Juhnke.
Wann die Absperrung aufgehoben wird, kann auch die Polizei nicht sagen: „Eine Sperrung ist so lange möglich, wie sie erforderlich ist“, sagt Polizeisprecher Stefan Redlich. Er stellt klar, dass die Polizei nur Amtshilfe für den Bezirk leiste, der alle Flüchtlinge umsiedeln wolle. Auf der Grundlage des Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes (ASOG) versuche sie, Störungen der Arbeit des Bezirks zu verhindern. Platzverweise oder präventiv eine Absperrung seien dafür geeignete Mittel. So gewährleiste man, dass sich die Einsatzkräfte, notfalls Rettungswagen – und am Dienstag die Busse für die Flüchtlinge – ungehindert zur Schule bewegen können. Aus Polizeisicht ist die Absperrung wegen der Gefahrenlage weiterhin verhältnismäßig. Beim Einsatz würden inzwischen keine Maschinenpistolen mehr getragen, sagte Redlich. Die zur Unterstützung anforderten Thüringer Beamten hätten diese mitgeführt.
Lesen Sie hier auch den Kommentar "Falsche Ebene" von Werner van Bebber.