Berlin-Spandau: Die geheimnisvollen Bilder der Post-Ruine
Wie der Fotograf Sascha Lisowski ins Innere gelangte und die letzten Bilder vor dem Abriss machte. Die werden im Netz tausendfach angeschaut.
Auch er hat hier in der Schlange gestanden, die endlosen gelben Schalter vor der Nase, das Paket in der Hand. Weihnachten standen hier viele Spandauer, vor Ostern genauso und auch an den Geburtstagen. Und manchmal warteten sie hier in der riesigen Schalterhalle auch nur, um eine Briefmarke zu kaufen, die man anleckte und auf die Postkarte klebte: "Schönen Gruß aus Spandau!"
"Jeder kennt die Post, jeder sieht sie, kaum einer hat Bilder aus dem Innern"
Die gewaltige Post am Ufer der Havel – „Postamt 1000 Berlin 20“ – war auch ein Spandauer Sehnsuchtsort, faszinierend vor allem für Kinder, weil das hier etwas von Fernweh hatte: „Ist Omas Paket aus Bayern schon da?“.
„Jeder kennt die Post, jeder stand hier mal an, jeder kommt daran vorbei, jeder sieht sie“, erzählt Sascha Lisowski, 34 Jahre, groß geworden in Spandau. Ab Montagmittag wird der hässliche Klotz zwischen ICE-Bahnhof, Einkaufszentrum, Rathaus und Havel abgerissen. Es gibt kaum ein Thema, das so viele Spandauer in den sozialen Netzwerken interessiert, kaum einen Ort, an dem mehr Spandauer im Bezirk vorbeikommen. Berlins größter BVG-Busknotenpunkt liegt nebenan.
So sah es vor 90 Jahren an der Postbrache aus
Er arbeitet im Havelpark - der wurde 1995 eröffnet, als die Post am Ende war
„Komischerweise gibt es vom Gebäude viele Bilder, aber keine aus dem Inneren“, erzählt Lisowski. Also hat er einfach mal im Bezirksamt nachgefragt, dem Investor eine Mail geschickt und gebeten, mit seiner Kamera in der alten Post fotografieren zu dürfen und ob ihm jemand die Tür aufschlie… Klick, Klack, und plötzlich war die Tür offen.
Sascha Lisowski ist eigentlich Tierfachverkäufer, arbeitet bei „Pflanzen Kölle“ im Havelpark, der in jenem Jahr eröffnet worden ist, als die Post im Spandauer Zentrum geschlossen wurde – 1995. Lisowski fotografiert gern, Pflanzen und Tiere, die Natur. Und „Lost Places“, wie man Ruinen heute unter Fotografen auch nennt. „Als die Tür aufging und mich der Wachmann hineinließ, war das atemberaubend“, erzählt Lisowski. Sofort waren da die Bilder im Kopf. Stand er nicht dort am Schalter an?
"Es ist kalt, es riecht wie in einem Keller"
„Es ist kalt im Haus, es riecht wie in einem Keller“, erzählt Lisowski. Viele Fenster sind mit Brettern versperrt, weil hier gesoffen wurde und geschlafen und manchmal auch beides. „Es sah aus, als ob kurz vor uns jemand da gewesen ist“, erzählt Lisowski. Zettel mit alten Zeichnungen der Post lagen auf dem Boden. Eine Schreibmaschine. Wartebänke. Uhren überall. Alles ist so bunt, gelb und rot, überall rundes Design – typischer Stil der 80er Jahre. Die Post wurde 1980 eröffnet. Und dann spazierte Lisowski hindurch durch den Schutt, vorbei an eingeschlagenen Fensterscheiben und suchte Fotomotive.
Die Bilder stellte er auf seine Facebook-Seite und schickte eine kurze Mail an den Tagesspiegel, ob wir nicht vielleicht Interesse hätten – und so kam es, dass in der Nacht, in der wir auf unserer Spandauer Facebook-Seite auf Lisowskis Bilder hinwiesen, mehr als 10.000 Menschen fasziniert Sascha Lisowskis Fotos anschauten und sich bei ihm bedankten. Dafür, dass er „so ein altes Stück Spandau für die Nachwelt im Kasten hat“, wie ein Leser schrieb.
Arbeiter werfen Müll aus dem Fenster
Vorbei. Der Neubau der Hochhäuser, Restaurants und Wohnungen hat begonnen. Gestern räumten Arbeiter im Inneren auf und warfen den Müll aus dem Fenster. Am Montag kommen die Bagger.
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Und was wird aus dem Post-Brunnen? Montag beginnt der Abriss der großen Post. Davor steht seit 1980 eine Skulptur der berühmte Bildhauerin Ursula Sax. Die hat auch schon einen Wunsch.
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André Görke