Wahrzeichen in Berlin-Charlottenburg: Der Heimweh-Turm wird 90
Vor 90 Jahren wurde der Funkturm eröffnet und seitdem mehrmals aus- und umgebaut. Der einstige Messesprecher Jürgen Dobberke hatte zu dem Bau eine besondere Beziehung.
Für meinen Vater Jürgen Dobberke war der Funkturm einst mehr als ein weithin sichtbares Wahrzeichen (West-) Berlins. Bei Reisen spüre er immer Heimweh in dem Moment, wenn der Turm aus dem Blickfeld verschwinde, schrieb er 1976 in seinem Buch „Wie man ein Wahrzeichen wird“. Der 147 Meter hohe Stahlgittermast über dem Charlottenburger Messegelände sei „der letzte Blick des Fernfahrers zu Lande und in der Luft und der erste Gruß an Rückkehrer“, ein „Ziel der Sehnsucht aller ausgesetzten Kinder Berlins“ und ein Symbol der freien Welt.
An diesem Sonnabend jährt sich die Eröffnung des Berliner Funkturms am 3. September 1926 zum 90. Mal. Mehr als 17 Millionen Berliner und Touristen haben die Aussichtsplattform in 126 Metern Höhe oder das Restaurant in 55 Metern Höhe besucht.
Erst Mitte September dürfen wieder alle Interessierten hinauf
Doch ausgerechnet am Jubiläumstag ist dies nicht möglich: Wegen Wartungsarbeiten am Aufzug und „exklusiver Gästeveranstaltungen“ zur Internationalen Funkausstellung (IFA) hat die Messe Berlin den Turm für die Öffentlichkeit gesperrt. Am 14. September öffnet er wieder für alle, das Restaurant serviert bis Oktober ein „Gala-Geburtstagsbuffet“ mit mehr als 30 Gerichten.
Dass der Turm seit Freitag rot leuchtet, liegt nicht am Jubiläum, vielmehr setzt die IFA mit LED-Strahlern ein Zeichen. Für andere Ausstellungen wählt die Messegesellschaft weitere Farben, bei der Internationalen Grünen Woche etwa – natürlich – Grün. Manchmal sind alle Regenbogenfarben zu sehen, wenn auch nicht gleichzeitig, sondern im Wechsel. Im Juni wurde so Opfern des Anschlags in Orlando gedacht, im Juli solidarisierte sich die Messe Berlin farblich mit den „Pride Weeks“ der Homosexuellen.
Anfangs war nur ein „Antennenträger“ geplant
In Jürgen Dobberkes nur noch antiquarisch erhältlichem Buch steht vieles, das weitgehend in Vergessenheit geraten ist. Der 2011 verstorbene Autor und langjährige Journalist verfasste das Werk als Pressesprecher der Messegesellschaft, die damals noch AMK hieß. Der Turm sei wegen der „ganz nüchternen Forderung nach einem Antennenträger für den Rundfunksender Witzleben“ entstanden, steht im Buch. Erst später hätten „weitsichtige Männer“ trotz Geldknappheit beschlossen, die Aussichtsplattform und das Restaurant hinzuzufügen. Tatsächlich zeigt ein Foto von 1924, zwei Jahre vor der festlichen Eröffnung, nur ein Stahlgerüst mit Antenne.
„Wie ein unansehnlicher Wurm zum Schmetterling“ habe sich daraus das Wahrzeichen entwickelt, schrieb Dobberke. Am Ende habe der vom Architekten Heinrich Straumer gestaltete Turm dem 324 Meter hohen Eiffelturm in Paris geähnelt, allerdings unter „Verzicht auf jegliche Schnörkel“.
Techniker mussten sich viel einfallen lassen
Technisch wurde viel Neuland betreten. So musste die Carl Flohr AG den Fahrstuhl nach der Eröffnung noch beschleunigen, weil den Berlinern das ursprüngliche Tempo von 1,5 Meter pro Sekunde zu langsam war. Der heutige Aufzug mit gläsernen Wänden schafft es in 33 Sekunden bis ganz nach oben. Auch die Versorgung des Restaurants mit Gas, Wasser, Strom und Wärme warf Probleme auf. Früher konnten die Wasserwerke nur bis in etwa 40 Meter Höhe liefern, für mehr reichte der Rohrdruck nicht. Im Turmhaus mussten zusätzliche Pumpen aufgestellt werden.
1927 war unten eine kleine Grünanlage entstanden, die 1932 zum Sommergarten ausgebaut wurde. Der Funkturm diente auch als Leuchtturm für Flugzeuge. Ein 3000-Watt-Scheinwerfer drehte sich 25 Mal pro Minute und war 60 Kilometer weit zu sehen. Und eine „Wanderschrift-Anlage“ mit 4000 Glühbirnen zeigte Leuchtreklame. 1929 strahlte der Sender Witzleben über die damalige Antenne eines der weltweit ersten Fernsehsignale aus.
Doch 1935 brach ein Großfeuer in der benachbarten Funkhalle aus, vernichtete Sendetechnik und zerstörte große Teile des Turmrestaurants sowie die Lichtreklame. Im Zweiten Weltkrieg traf eine Granate eine Hauptstrebe des Turms, der so nur noch auf drei Stahlbeinen stand. Kurzzeitig „tauchte das böse Wort vom Abriss auf“, heißt es in dem Buch.
Sagt noch jemand „Langer Lulatsch“?
Während der Berlin-Blockade gab es 1948 bis 1949 oben noch einmal ein Leuchtfeuer, das Luftbrückenpiloten den Weg zum Flughafen Tempelhof wies.
Im Restaurant mit der berühmten Aussicht haben auch viele Paare ihre Hochzeit gefeiert. Dazu gehörten Prominente wie Ernst Reuter und seine zweite Frau Hanna. Wann und vom wem der Turm seinen Spitznamen „Langer Lulatsch“ erhielt, konnte Jürgen Dobberke übrigens nicht mehr nachvollziehen. Heute spricht kaum noch jemand vom „Langen Lulatsch“.