Berlin-Charlottenburg: Das Zeltlager mitten im Zentrum soll weg
Der Ku’damm nebenan, das Elend vor Augen: 30 Rumänen haben ein wildes Camp erbaut. Nun greift die Politik ein. Und was sagen die Bewohner? Ein Besuch.
Zusammengeflickte Zelte, Wäsche auf Bäumen, kaputte Campingstühle. Die Bilder erinnern an die Flüchtlingslager in Idomeni und Lesbos. Doch diese Szenerie befindet sich mitten in Charlottenburg in bester Kudamm-Nähe – und das schon seit Monaten. In der Heilbronner Straße leben mindestens 30 Menschen auf einer Grünfläche, direkt neben dem Bahndamm der Ost-West-Strecke. Ohne Strom und ohne sanitäre Anlagen. Darunter auch Frauen und Kinder.
Nicht nur tausende Fahrgäste sehen das Zeltlager Tag für Tag, auch die Politik weiß schon lange davon. Carsten Engelmann ist Bezirksstadtrat für Soziales und Gesundheit, gehört der CDU an und berichtet, dass das Lager irgendwann im letzten Jahr entstanden sei.
Da das brachliegende Bauland einer Privatperson gehört, könne seine Behörde nur beratend wirken. „Wir waren da mit unseren Sozialarbeitern bereits vor Ort, aber wie so vieles in Berlin beruht unser Angebot auf Freiwilligkeit“, erklärt er. Mit diesem Angebot meint er medizinische Versorgung und feste Wohnquartiere. Letzteres gestaltet sich aber immer schwieriger. „Es gibt immer mehr bedürftige und obdachlose Menschen in der Stadt“, sagt Engelmann bedauernd.
Tatsächlich existieren am Ludwig-Erhard-Ufer im Regierungsviertel und im Tiergarten bereits zwei Siedlungen von Obdachlosen innerhalb des S-Bahn Rings. Dimensionen wie in der Heilbronner Straße haben diese aber nicht. Engelmann vermutet, dass es sich bei den Menschen um osteuropäische Wanderarbeiter handelt.
Keine sanitären Anlagen auf dem Gelände
Damit liegt er nur halbrichtig. Rumänen seien sie, bestätigt einer der Camp-Bewohner in bruchstückhaftem Deutsch. Doch Wanderarbeiter scheinen sie nicht zu sein: „Keine Arbeit, nur Flaschen“, sagt er und meint damit wohl das Sammeln von Pfandflaschen. Ziemlich friedlich wirkt ihr Zeltlager zwischen den blühenden Bäumen, an denen Rasierspiegel angebracht sind und Wäsche zum Trocknen hängt. Wie lang sie schon da sind, können sie nicht beantworten, überwintert haben aber einige: „Winter war kalt“, erinnern sie sich. Bleiben wollen sie trotzdem: „Ist gut hier“, sagt einer und versichert, dass es keine Probleme mit der Polizei und den Nachbarn gebe.
Ein 60-jähriger Anwohner bestätigt das: „Sie benehmen sich und alles ist friedlich.“ Von seiner Wohnung hat er direkten Blick auf die Zeltstadt. Gestört fühlt er sich nur durch eine Sache: „Die verrichten ihr Geschäft direkt hinter unserem Zaun und das stinkt überall.“ Tatsächlich gibt es auf dem Gelände keine sanitären Anlagen.
Zum Duschen gehen die Rumänen in eine Einrichtung der Caritas, aber als Toilette genügt die freie Wiese. Den Anwohner ärgert vor allem die Untätigkeit des Ordnungsamts, von denen er sich die Errichtung sanitärer Anlagen wünscht. Auch Lebensmittelhändler im Kiez sind deshalb in Sorge.
Bezirksstadtrat Marc Schulte, Leiter der Abteilung Stadtentwicklung und Ordnungsangelegenheit, verteidigt seine Behörde: „Verantwortlich ist der Eigentümer des Grundstücks. Das Ordnungsamt hat erstmal keine Möglichkeit“, erklärt der SPD-Mann. Zwar sei der Eigentümer bereits über die Situation informiert worden, reagiert habe dieser aber nicht.
Dieses Schweigen wertete das Ordnungsamt als Tolerierung und griff deshalb lange nicht ein. Nach einer ersten Anfrage des Tagesspiegels wurde Schulte dann aber doch aktiv. „Ich habe mit dem Besitzer gesprochen und ihm deutlich gemacht, dass Maßnahmen getroffen werden müssen“, berichtet er eine Woche später.
„Wir wollen keine Vertreibung, sondern eine Lösung“
Dass er aktiv geworden ist, sei eine Mischung aus öffentlichem Interesse und weil man die Menschen nicht im Winter habe rauswerfen wollen. Wann genau die Räumung des Lagers erfolgt, wusste Schulte nicht, allerdings habe ihm der Besitzer versprochen, möglichst bald zu handeln und dann auch einen Zaun um das Gelände zu ziehen. Wie der RBB am Montagabend berichtete, sei die Umzäunung nun erfolgt und seien die Bewohner vom Besitzer aufgefordert worden, das Grundstück zu verlassen. Demnach wolle der Bezirk das Lager in den nächsten drei Wochen auflösen und andere Unterkünfte für die Bewohner suchen.
Das weitere Vorgehen des Bezirks soll ein Behördentreffen an diesem Dienstag regeln. Eines stellt er aber schon vor dem Treffen fest: „Wir wollen keine Vertreibung, sondern eine Lösung.“ Carsten Engelmann ist da weniger optimistisch: „Wir werden immer eine Verschiebung des Problems haben“, sagt er und garantiert, dass man vor der Räumung den Menschen nochmals Angebote zur Unterbringung machen werde.
Händler im Kiez berichten von Diebstählen, einmal pro Woche werde die Polizei gerufen. Die wiederum kann das auf Anfrage nicht bestätigen. Vier Diebstähle seien im ersten Quartal zur Anzeige gebracht worden. Das sei „ein deutlicher Rückgang“ im Vergleich zum Vorjahreszeitraum – also einer Zeit, in der die Zeltstadt noch gar nicht existierte. Dass das Lager aber unter genauer Beobachtung steht, beweist die Streife, die dort täglich patrouilliert und regelmäßig Kontrollen durchführt. Die Polizei-Präsenz lobt auch der 60-jährige Anwohner – er fühlt sich sicher. Den Camp-Bewohnern nutzt das nichts. Sie müssen wohl weg.