Lärmbelästigung am Platz des 4. Juli in Lichterfelde: Quietschende Reifen, laute Motoren und Hupkonzerte
Nächtliche Autorrennen, übende Fahrschulen, Trödelmarkt am Wochenende - das ist seit jeher Geräuschkulisse am Platz des 4. Juli. Seit 2012 ziehen immer mehr Menschen in die dortige ehemalige McNair-Kaserne ein. Sie fühlen sich gestört - und veralbert.
„Der Platz wird zur Ruhezone, als grüne Oase umgestaltet, zum Verweilen und Entspannen.“ Diesen Argumenten der Immobilienmakler haben die Wohnungseigentümer am Platz des 4. Juli geglaubt. 2012 zogen die ersten Bewohner in die ehemalige McNair-Kaserne in Lichterfelde ein. Seitdem kann von Entspannen und Verweilen nicht die Rede sein, sagen Jakov Kuschner, Marion Zehoff und Heinz-Christian Schmidt stellvertretend für etwa 70 Anwohner, die sich hier massiv durch Lärm belästigt fühlen. Quietschende Reifen, starkes Beschleunigen, aufheulende, laute und laufende Motoren, Hupkonzerte: 24 Stunden, sieben Tage in der Woche. Und dabei gibt es gleich drei Lärmquellen, wie die Anwohner berichten: sonntags finde regelmäßig ein Trödelmarkt statt, werktags trainierten Fahrschulen und nachts nutzten Auto- sowie Motorradfahrer den Platz als illegale Rennstrecke.
Eigentlich ist hier aber die Durchfahrt für Fahrzeuge aller Art verboten, ausgenommen sind allerdings Fahrschul- und Prüfungsfahrzeuge. Seit nunmehr zwei Jahren sind die Anwohner wegen der Lärmbelästigungen im Dialog mit dem Bezirksamt, der Polizei, den Trödelmarktbetreibern und dem Fahrlehrer-Verband. Nach ihrem Empfinden hat sich bislang kaum etwas verbessert. Sie fühlen sich im Stich gelassen und veralbert. „Wir sind arbeitende Steuerzahler und haben Anspruch auf Ruhe, wenigstens einen Tag, wenigstens am Sonntag“, erklärt Jakov Kuschner. Um auf ihre Sorgen jetzt öffentlich aufmerksam zu machen, haben sich die Anwohner an den Tagesspiegel Zehlendorf gewandt. Sie erklären uns vor Ort, welchen Belästigungen sie täglich ausgesetzt sind.
Und in der Tat: der Platz des 4. Juli ist ein schmaler, etwa 400 Meter langer Platz, asphaltiert, ohne Hindernisse - durchaus geeignet als Rennstrecke. Zeugnisse nächtlicher Wettläufe sind tiefe Bremsspuren im Asphalt, manchmal auch kreisförmig: „Dann machen sie Schleuderübungen“, erklärt Kuschner. Meist seien es junge Leute. Wenn man auf sie zugehe, werde es gefährlich. „Sie drohen und werden aggressiv“, sagt er. Schon oft hätten sie die Polizei rufen müssen. Bevor diese aber erscheine, seien die Verursacher meist verschwunden. Manche Anwohner haben inzwischen Angst, lassen ihre Kinder nicht mehr allein auf die Straße.
Nicht minder unangenehm sei tagsüber das Miteinander mit den Fahrschulen. Obwohl viele eine Selbstverpflichtung unterschrieben hätten, in der es unter anderem heißt, dass nach 19 und vor 8 Uhr sowie an Sonn- und Feiertagen der Platz nicht genutzt werde. „Die Fahrschulen sind trotzdem zwischen 6 und 20 Uhr durchgehend mit Motorrädern, Pkw, Lkw und Bussen gleichzeitig auf dem Platz; ebenfalls an Feiertagen“, erklärt Heinz-Christian Schmidt. Viele kämen sogar aus dem Umland. Fahrlehrer, die man anspreche, reagierten nicht selten uneinsichtig und genervt. „Ich war kürzlich mit meinem Hund spazieren und wurde ermahnt, dass ich den Betrieb störe“, erzählt Marion Zehoff.
Ebenfalls als stark belastend empfinden die Anwohner den Trödelmarkt, der seit vielen Jahren auf dem Platz des 4. Juli stattfindet. Einige Beispiele: widerrechtliches Parken, Lärm durch den Auf- und Abbau der Stände sowie durch an- und abfahrende Besucher. „Der Bürgermeister hat im November 2014 versprochen, für 2015 keine Genehmigung mehr zu erteilen“, berichtet Detlef Fitzner, der auch hier wohnt. Der Trödelmarkt sei trotzdem genehmigt worden, wenngleich mit veränderten Bedingungen und weniger Terminen.
Seit 2012 ziehen täglich mehr Menschen in die umgebauten, ehemaligen McNair-Kasernen am Platz des 4. Juli. Die Anwohner schätzen, dass rund 500 Wohneinheiten derzeit belegt sind, Tendenz steigend, denn es wird weiter gebaut. „
"Freundlichen Worten folgen keine Taten"
Die Politik hat versäumt, die Rahmenbedingungen den aktuellen Gegebenheiten anzupassen und tut sich auch jetzt schwer, hier Entscheidungen zu treffen“, sagt Detlef Fitzner. Den vielen freundlichen Worten der Bezirkspolitiker folgten bisher so gut wie keine Taten. Und die Polizei sei genervt und machtlos.
Bürgermeister Norbert Kopp (CDU) bestätigt indes, dass er gesagt habe, dass der Trödelmarkt nicht mehr genehmigt werde. Das Bezirksamt sei aber ein Kollegialorgan und dort habe man ihn überstimmt. „Es tut mir leid, dass ich mich nicht durchsetzen konnte“, sagt er und verspricht zugleich, dass der Markt nur noch in diesem Jahr auf dem Platz des 4. Juli stattfinden werde. Das Tiefbauamt arbeite derzeit an einem neuen Nutzungskonzept für den Platz.
Die dafür zuständige Bezirksstadträtin, Christa Markl-Vieto (Grüne), ergänzt, dass der Platz einer für ein Wohngebiet geeigneten Nutzung zugeführt werden soll, vor allem, weil Spielraum und Aufenthaltsqualität für Jugendliche und Kinder derzeit dort fehlten. „Was genau auf dem Platz stattfinden wird, erarbeiten wir bis Ende des Jahres“, sagt sie. Dass sich die Anwohner durch Lärm belästigt fühlten, könne sie zwar nachvollziehen, aber sie hätten auch vorher gewusst, dass sie in ein Gebiet ziehen, in dem lärmintensive Aktivitäten schon existierten.
"Ordnungsamt ist an Straßenrecht gebunden"
Bezirksstadtrat Michael Karnetzki (SPD), unter anderem für das Ordnungsamt zuständig, die Genehmigungsbehörde für Trödelmärkte, beruft sich auf den Paragrafen 11 Absatz 2 des Berliner Straßengesetzes. Danach soll einem Antrag auf Sondernutzung der öffentlichen Straßen in der Regel die Erlaubnis erteilt werden, wenn überwiegende öffentliche Interessen der Sondernutzung nicht entgegenstehen oder ihnen durch Nebenbestimmungen zur Erlaubnis entsprochen werden können. „Das Ordnungsamt ist an dieses liberale Straßenrecht gebunden“, sagt er. Im vorliegenden Fall gebe es keine öffentliche Nutzung der gewidmeten Straßenfläche.
Gleichwohl habe man versucht, die Belastungen der Anwohner zu verringern: Die Anzahl der Markttage sei auf 15 im Jahr begrenzt, die Fläche auf dem Platz verlegt und verkleinert worden. Ferner gebe es neue Regelungen für das Parken, den Stromgenerator und die Toiletten. Auch die Marktzeiten seien reduziert worden.
"Anwohner wussten, dass es keine ruhige Idylle ist"
„Berücksichtigen muss man schließlich auch, dass es nicht nur Anwohner gibt, die sich gestört fühlen, sondern auch Bürger, die sich für den Erhalt des Marktes einsetzen“, sagt Karnetzki. Ihm sei eine Liste mit über 1.000 Unterschriften überreicht worden. Stellvertretend für die Befürworter steht Sabine Baumann, die regelmäßig den Trödelmarkt besucht. „Der Markt wäre ein großer Verlust, weil er beliebt ist, sich dort alle Nationalitäten friedlich treffen, ob als Verkäufer oder als Käufer“, beschreibt sie. Man finde gute Sachen für kleines Geld. Der Markt sei sauber und gut organisiert. „Die Anwohner, die dort hingezogen sind, wussten, dass es keine ruhige Idylle ist“, schildert Baumann. Berlin sei eben eine Großstadt und kein verschlafenes ruhiges Dorf.
Michael Karnetzki geht indessen auch auf die Problematik mit den Fahrschulen ein. Dort sei noch keine Entscheidung getroffen. Die Fläche sei berlinweit eine von wenigen für Fahrschulen. „Irgendwo in der Stadt muss es auch solche Übungsflächen geben“, findet der Bezirksstadtrat.
Der Vorsitzende des Berliner Fahrlehrer-Verbandes, Peter Glowalla, bestätigt, dass auf seinem Tisch die Erklärungen zur Selbstverpflichtung von 76 Fahrlehrern liegen. „Nach meiner Kenntnis haben lediglich drei nicht unterschrieben“, sagt er und ergänzt: „Wir können aber auf die Fahrschulen keinen Zwang ausüben.“ Die Argumente einiger Anwohner seien darauf ausgerichtet, die Fahrschulen von dem Platz zu vertreiben. Die Mehrzahl der Anwohner habe in Gesprächen vor Ort den Fahrlehrern jedoch häufig bestätigt, dass diese unauffällig, ruhig und überhaupt nicht störend seien.
Und was sagt die Oberste Straßenverkehrsbehörde, die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt dazu? Im Jahr 2013 sei erstmalig den Fahrschulen in Form einer Allgemeinverfügung eine Ausnahmegenehmigung zum Aufstellen kleiner Leitkegel für die Fahrschulausbildung erteilt worden. Unter Beteiligung und auf Vorschlag der zwölf Berliner Bezirke sowie der Polizei wurde in dem Zusammenhang auch eine Liste erstellt, welche Plätze sich für die Fahrschulausbildung eignen, teilt die Behörde mit. Diese Allgemeinverfügung habe man im Juli 2014 erneut mit den Bezirken und der Polizei abgestimmt.
Nächtliche Wettrennen? Ein Überwachungsproblem
„Beschwerden von Anwohnern hinsichtlich der Nutzung des Platzes des 4. Juli sind seitdem hier nicht eingegangen“, sagt Pressesprecher Martin Pallgen. Auch das Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf sei bezüglich einer Streichung des genannten Platzes bis heute nicht auf die Senatsverwaltung zugekommen. Bekannt sei jedoch, dass sich der Bezirk und der Fahrlehrer-Verband gemeinsam mit den Anwohnern um eine für alle Seiten akzeptable Lösung bemüht hätten.
Und die nächtlichen illegalen Wettrennen? „Die stellen ein Überwachungsproblem dar, das in den Aufgabenbereich der Polizei fällt“, erläutert Bezirksstadtrat Michael Karnetzki. Thomas Neuendorf, stellvertretender Sprecher der Polizei Berlin sagt dazu: Entsprechend häufig werde der Platz in die tägliche Streifentätigkeit einbezogen. Fahrzeuge, die diesen Platz beführen, würden gezielt überprüft. 2014 seien wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis allein auf dem Platz des 4. Juli 19 Strafverfahren, 2015 bisher zwei solcher Strafverfahren eingeleitet worden.
Wettrennen seien dem zuständigen Polizeiabschnitt allerdings in den Jahren 2014 und 2015 nicht bekannt. Wenn derartige Meldungen eingingen, fahre sofort eine Polizeistreife dorthin. In solchen Fällen seien aber bisher beim Eintreffen der Polizei keine Fahrzeuge mehr auf dem Platz des 4. Juli gewesen. „Eine Ahndung war daher nicht möglich“, erklärt Neuendorf.
Wie auch immer sich die Situation hier in den nächsten Wochen, Monaten oder Jahren entwickelt, die Anwohner wollen nicht aufgeben. „Wir wissen, dass politische Prozesse lange dauern, deshalb fordern wir kurzfristige, einfache und preiswerte Lösungen“, erklären sie. Nur ein Beispiel wären große Blöcke, die man auf dem Platz als Hindernisse stellen könnte, um die illegalen Wettrennen zu verhindern. Was sich die Betroffenen wünschen? Einmal eine Nacht in Ruhe durchschlafen: Eigentlich ein bescheidener Wunsch.
Die Autorin Anett Kirchner ist freie Journalistin, wohnt in Steglitz-Zehlendorf, und schreibt als lokale Reporterin regelmäßig für den Zehlendorf Blog des Tagesspiegels. Folgen Sie Anett Kirchner auch auf Twitter.