Laudatio zum Berliner Naturschutzpreis 2017: „Beeindruckender Artenreichtum, der seinesgleichen sucht"
Anne Loba wurde am vergangenen Dienstag für ihre Arbeit in der Lichterfelder Weidelandschaft geehrt. Die Laudatio hielt Harald Kächele, Vorsitzender der Deutschen Umwelthilfe. Wir dokumentieren die Laudatio in Auszügen.
Otto Lilienthal, Jane Goodall, Steve Jobs - sie alle wurden anfangs wegen ihrer Ideen belächelt. Und sie stehen beispielhaft für viele, die sich weder durch die äußeren Umstände, noch durch die Reaktion ihres gesellschaftlichen Umfelds von ihren Vorhaben abbringen ließen. Sie waren so fest von dem überzeugt, was sie planten und taten, dass es keine Alternative für sie gab. Ein solcher Typ Mensch ist auch unsere heutige Preisträgerin. […] Seit ihrer Kindheit hat sie drei Leidenschaften, die sie selbst ironisch so beschreibt: „Unkraut, Ungeziefer und Pferde“.
Spätestens jetzt wissen einige von Ihnen längst, von wem ich spreche, denn diese Kombination von Leidenschaften ist doch recht einzigartig: Die Preisträgerin in der Kategorie „Ehrenpreis“ heißt Anne Loba. […]
"Ich säe nicht, ich pflanze nicht"
Von der Deutschen Bahn mietete die Reitgemeinschaft in Lichterfelde eine Wiese. Es sollte eine Zwischenlösung sein, denn eigentlich war geplant, entsprechend große Flächen in Brandenburg zu finden. Schließlich war 1989 die Maueröffnung. Das Ganze war also zunächst ein Provisorium. Sechs Jahre später war es dies immer noch, als die Bahn ihnen weitere Flächen zur Nutzung anbot - auf dem ehemaligen Truppenübungsgelände der Amerikaner, der Parks Range. […] Was dann passierte, ist wirklich einmalig: Die räumlich und jahreszeitlich ganz gezielte Beweidung schaffte ein Grundgerüst an Strukturen. Die Flächen wurden zusätzlich händisch von ihr gepflegt. […]
Sie sieht jede Fläche an, überlegt, welche Pflanze dort zu Hause sein könnte, was passen würde. Dann bereitet sie die Fläche darauf vor, dass das, was dorthin könnte, auch dort wachsen will. „Gelenkte Spontanvegetation“ nennt sie es und sagt, „ich säe nicht, ich pflanze nicht. Die Natur macht Vorschläge und ich gehe darauf ein“. […] Siebzig Prozent des Entstehens der Weidelandschaft, so schätzt sie, geschah mit manueller Lenkung. Siebzig Prozent bei einhundert Hektar! […]
Gutachter geraten fast ins Schwärmen
Trotz all dieser Umstände pflegte und entwickelte Anne Loba die Flächen fast zwei Jahrzehnte so, als wäre es für die Ewigkeit. Mit einem großartigen Ergebnis. Der Sachverständigenbeirat für Naturschutz und Landschaftspflege bezeichnet die Fläche als einen „Hot-Spot der Biodiversität in Berlin“. Und weiter sagen die Fachleute: „Diese Art von naturnaher Nutzung und Pflege ist bundesweit einmalig und zeichnet sich dadurch aus, dass die Entwicklung der Spontanvegetation durch ein spezielles, extensives Beweidungsmanagement kombiniert mit manueller Pflege gesteuert wird.“
Mittlerweile gibt es ein umfangreiches Gutachten dazu – in Auftrag gegeben von der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz und dem Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf. Es kommt zu denselben Ergebnissen. Die Gutachter geraten fast ins Schwärmen, wenn sie aufzählen, wie viele Rote-Liste-Arten auf dem Gelände zu finden sind. Dieses mittlerweile große Interesse an der Fläche und der Arbeit von Frau Loba hat einen Grund: Dort soll gebaut werden.
Der Stadt einen Hot-Spot der Biodiversität geschenkt
Das Provisorium hat ein Ende. Aber immerhin geht es nicht um die gesamte Fläche, sondern um 39 ha der Weidelandschaft. Damit wären 57 ha gesichert - und kein Provisorium mehr. Der Investor, die Groth-Gruppe, hat sich bisher nicht den Ruf erworben, besonderen Wert auf den Naturschutz zu legen. Trotz dieses Rufes ist es genau die Groth-Gruppe, die derzeit eine halbe Stelle finanziert, damit Anne Loba die Arbeit fortführen kann.
Anne Loba hat der Stadt Berlin, hat uns, einen Hot-Spot der Biodiversität geschenkt. Sie hat all ihre Kraft und ihr Wissen dafür gegeben. Sie hat beharrlich und gegen alle Widerstände einen Traum wahr gemacht, der uns alle bereichert.
Liebe Gäste, schauen Sie sich das an, was in Lichterfelde entstanden ist. Schauen Sie es sich an, bevor ein Teil davon nicht mehr existiert. Gehen Sie hin, um zu verstehen, was es heißt, eine Fläche dieser Größe zu siebzig Prozent mit manueller Lenkung zu dem zu machen, was es jetzt ist: Eine wunderschöne Weidelandschaft mit einem beeindruckenden Artenreichtum, der seinesgleichen sucht. […]
Liebe Frau Loba, ich gratuliere Ihnen herzlich zu diesem Ehrenpreis. Und ich wünsche Ihnen die Kraft, den Mut und die Ausdauer, um weiterhin für das zu kämpfen und zu arbeiten, was ihre Leidenschaft ist: Unkräuter, Ungeziefer und Pferde. Die Kombination hat sich bewährt.
Harald Kächele