Innenministerium hatte "Mahnwache" zugelassen: Bezirk Mitte beendet Reichsbürger-Demo am Reichstag
Bei einer wochenlangen Mahnwache wird Corona im Zentrum Berlins als eine Erfindung der globalen Eliten bezeichnet. Mittes Bezirksbürgermeister ist sauer.
Die Mahnwache von Corona-Leugnern vor dem Reichstag ist verschwunden. Als Beweis twitterte Mittes Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel (Grüne) am Samstagmorgen ein Foto des leeres Vorplatzes.
Bis Freitag war am Reichstag eine mittelgroße Bühne aufgebaut, dahinter drei Zelte, in denen sich etwa 20 Leute aufhielten: Frauen und Männer, leger gekleidet, eher Typ Hippie und Punk.
Ordner in gelben Westen bewachten die Bühne und die großen Lautsprecher-Boxen, die pausenlos ein paar wenige Touristen beschallten, die sich auf der Wiese niedergelassen hatten oder um den Reichstag flanierten.
In langen Sprecheinlagen vom Band wurden die Corona-Maßnahmen kritisiert. Eine "zweite Welle" werde nur heraufbeschworen, um weitere Maßnahmen einzuführen, die die Freiheit der Menschen einschränken.
Und das, obwohl die „erste Welle nicht schlimmer als eine normale Grippewelle“ gewesen sei. Dahinter steckten die globalen Eliten, das globale Finanzsystem. Ziel sei eine weitere Roboterisierung.
Die meisten Touristen interessierten sich allerdings nicht für das Geplärre aus den Boxen, andere waren ein wenig verwundert, dass so etwas vor dem Reichstag genehmigt wird.
Der grüne Bezirksbürgermeister von Mitte ist sauer
Das Bezirksamt Mitte erreichten in den vergangenen Tagen offenbar mehrere diesbezügliche Anfragen, denn die Veranstalter behaupteten, für die „Mahnwache für Heimat- und Weltfrieden“ eine Genehmigung bis 23.59 Uhr am 31.12.2020 zu haben - auch dank der guten Kooperation mit dem Bezirksamt, hieß es.
Mittes Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel war mehr als verärgert. Die Versammlungsbehörde der Polizei habe den Bezirk nicht einmal über die Veranstaltung informiert, erklärte er in einer Pressemitteilung. Diese „Mahnwache für Heimat- und Weltfrieden“ sei von der Gruppe „staatenlos.info“ aus dem Umfeld der sogenannten Reichsbürger angemeldet und für mindestens vier Wochen genehmigt worden.
Ein Polizeisprecher bestätigte dies, fügte aber hinzu, es sei gar nicht notwendig gewesen, die Mahnwache explizit zu genehmigen. Versammlungen müssten generell nicht von der Versammlungsbehörde genehmigt werden, sondern seien dieser lediglich anzuzeigen.
Der Bezirk Mitte war über Reichsbürger nicht einmal informiert
Sie prüfe dann, ob aufgrund einer anzunehmenden Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung die Versammlung Auflagen unterliegt oder gar verboten werden muss. Ansonsten dürfte sie stattfinden.
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Im Bezirksamt Mitte möchte man über solche Events aber wenigstens informiert werden. Dies geschieht normalerweise auch, wenn wie in diesem Fall Grünflächen des Bezirks betroffen sind.
Dann erfolgt grundsätzlich eine vorherige Abstimmung mit dem zuständigen Grünflächenamt, sagte Martin Pallgen, Sprecher der Senatsverwaltung für Inneres und Sport: „Allerdings ist oft die Zeit zwischen der Anmeldung und dem geplanten Beginn der Versammlung sehr knapp.“
Deswegen könnten technische Stellungnahmen des bezirklichen Straßen- und Grünflächenamtes von der Versammlungsbehörde nicht immer rechtzeitig eingeholt werden. Die Versammlungsbehörde unternimmt aber das ihr Mögliche, um das Bezirksamt Mitte frühzeitig zu informieren.“
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Dort war man allerdings weiterhin skeptisch - auch, was die Legitimität der „staatenlos“-Mahnwache angeht: „Angesichts des Ortes, des Inhaltes und der Dauer ist das Bezirksamt allerdings überrascht, dass diese Mahnwache sich noch im Rahmen einer zulässigen Versammlung bewegen soll.“ Schließlich gehöre die Fläche zur sogenannten Bannmeile des Deutschen Bundestages, wo laut „Gesetz über befriedete Bezirke für Verfassungsorgane des Bundes“ keine Versammlungen stattfinden dürfen.
Der Bundestag wird nicht beeinträchtigt, deshalb ist die Versammlung erlaubt
Der Polizeisprecher bestätigte das, verwies aber auf eine Ausnahme: Versammlungen innerhalb des Regierungsbezirks sind möglich, wenn das Bundesinnenministerium (BMI) zustimmt. „Und in diesem Fall auch der Bundestag“ sagte ein BMI-Sprecher dem Tagesspiegel: „Das Gesetz über befriedete Bezirke lässt das Verbot einer Versammlung nur zu, wenn dadurch ein Verfassungsorgan – in diesem Fall also der Bundestag – beeinträchtigt wird. Das liegt hier nicht vor, deshalb haben wir der Mahnwache tatsächlich zugestimmt.“
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Natürlich könnten die Polizei und das zuständige Ordnungsamt dennoch ein Verbot aussprechen, wenn etwa gegen Gesetze, Verordnungen oder Auflagen verstoßen werde.
Warum durften Geflüchtete nicht dort protestieren?
Auch das Plakat mit der Botschaft: „Inzwischen sind schon mehr Menschen an Corona verblödet, als gestorben“ fällt wahrscheinlich unter das hohe Gut Meinungsfreiheit.
Das weiß auch Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel. Er ärgert sich laut Pressemitteilung ohnehin besonders darüber, dass man für die Kritiker der Corona-Regeln das Versammlungsrecht offensichtlich sehr weit auslege, während etwa bei einem Protest-Hungerstreik von geflüchteten Menschen auf dem Pariser Platz im Jahr 2012 nicht einmal kleine Zelte erlaubt waren. Und die entkräfteten Menschen selbst in den kalten Nächten weder Schlafsäcke noch Isomatten nutzen durften.
Die Reichsbürgerszene gilt laut Berliner Verfassungsschutz als vielschichtig, aber durchsetzt mit Rechtsextremisten, „deren Kampf gegen den Staat einer neonazistischen und insbesondere antisemitischen Gesinnung entspringt“. Die Reichsbürgerszene lehnt die freiheitlich-demokratische Grundordnung ab, ein Teil wird als gewaltbereit eingeschätzt.