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Rund 6200 Schüler lernen in Klassen, die voller sind als in den Richtgrößen vorgesehen.
© dpa
Update

Überfüllte Schulen in Berlin: Bezirk kann Kinder noch nicht unterbringen

Rund 90 Willkommensschüler in Tempelhof-Schöneberg warten zum Teil seit Monaten auf einen Schulplatz. Schnelle Hilfe wurde versprochen, kam aber noch nicht.

Oliver Schworck, der SPD-Bildungsstadtrat von Tempelhof-Schöneberg, sprach von einer „großen Herausforderung“, als bekannt wurde, dass im Bezirk knapp 90 Kinder und Jugendliche nicht unterrichtet werden - und sagte schnelle Hilfe zu. Er habe "die Gewissheit, dass Ende der Woche alle Schüler untergebracht sein werden“. Das war am 7 Januar.

Schon am 10. Januar hörte sich das allerdings anders an. Da ließ der Bezirk per Pressemitteilung verlauten, dass sich erst "zum Ende der ersten Schulwoche nach den Winterferien" eine umfängliche Lösung für die 86 Schüler und Schülerinnen ohne Deutschkenntnisse abzeichne. Mit anderen Worten: Vor Mitte Februar tut sich nichts, und auch dann ist nichts garantiert.

So zumindest deuten Schulleiter die nebulöse Formulierung "abzeichnen", auch wenn Schworck Optimismus verbreitete mit dem Hinweis, dass das Schulamt "bereits mit sieben Schulen des Bezirks feste Verabredungen" zur Einrichtung von Lerngruppen mit jeweils zwölf Plätzen getroffen habe. Allerdings gilt: Fehlende Räume sind das eine, fehlende Lehrkräfte das andere: Inzwischen wurde der mutmaßliche Beginn des Unterrichts auf den 21. Februar terminiert - wie Schworck in der Bezirksverordnetenversammlung am 6. Februar in Aussicht stellte.

Der Stadtrat sieht die Schulen am Zug

Im Bemühen, den Raummangel zu begründen, wies Schworck auf ein "organisatorisches Problem“ hin: Es gebe durchaus genügend Plätze für temporäre Lerngruppen in den Schulen des Bezirks, diese Plätze seien derzeit nur nicht besetzt. Aus einem einfachen Grund: 26 Schulen böten keine Lerngruppen an, in welchen die betroffenen Schüler untergebracht werden müssten. „Wir merken eine gewisse Zurückhaltung“, sagt Schworck fast schon diplomatisch. Die Gründe der betreffenden Schulen dafür kenne er nicht, sagt Schworck.

„Wir haben bisher darauf gesetzt, dass wir freiwillige Meldungen bekommen“, sagt der Schulstadtrat. Doch die Situation hat sich jetzt dramatisch geändert. Jetzt setzt Schworck darauf, „dass die Schulen erkennen, dass es ein Problem und eine Herausforderung gibt. Wir hoffen auf den solidarischen Gedanken.“

Oliver Schworck, SPD-Stadtrat in Tempelhof-Schöneberg.
Oliver Schworck, SPD-Stadtrat in Tempelhof-Schöneberg.
© promo

Schworck: „Manchmal hilft eine direkte Ansage"

Den benötigt er, weil er nicht mit administrativen Anweisungen Schulen zur Zusammenarbeit zwingen will. „Ich will keinen Verwaltungszwang. Den letzten Schritt der Formalie wollen wir vermeiden.“ Aber wenn ein Schulleiter Probleme mit dem solidarischen Gedanken haben sollte, dann kann man ja auch ein bisschen deutlicher werden. „Manchmal hilft eine direkte Ansage“, sagt Schworck.

Die ganze Problematik wurde durch eine Art Brandbrief bekannt, den der zuständige Fachbereichsleiter des bezirklichen Schulamtes, Steffen Künzel, zum Ende der Weihnachtsferien an alle Schulen geschickt hat. Der Brief, den Künzel selbst als „Hilferuf“ bezeichnet, liegt dem Tagesspiegel vor. Denn es hatte sich herausgestellt, dass sich unter den rund 60 Schulen im Bezirk keine gefunden hat, die bereit wäre, diese zusätzlichen Kinder aufzunehmen. Die Schulleiter argumentieren mit Platzmangel und vereinzelt auch mit fehlendem Personal.

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Künzel spricht von einem „Notstand“: Die Situation bei der Beschulung dieser Schülerklientel sei „prekär“. Konkret geht es um sechs fehlende Schulplätze für die Schulanfangsphase, 30 fehlende Plätze für die Klassenstufen 3 bis 6 und 50 fehlende Schulplätze für die Stufen 7 bis 10.

„Wir standen in den letzten Jahren noch nie zu einem solch frühen Zeitpunkt vor der Herausforderung, mit einer Warteliste arbeiten zu müssen“, heißt es in dem Brief. Überhaupt sei es noch nie passiert, dass fast 90 Kinder und Jugendliche nicht zeitnah mit einem Schulplatz in einer Lerngruppe versorgt werden konnten. Es habe „intensive Gespräche mit Schulleitungen und der Schulaufsicht seit Beginn des Schuljahres“ gegeben. Aber die blieben ohne Erfolg. Das Schulamt will nun nicht mehr hinnehmen, dass partiell gegen die gesetzliche Schulpflicht verstoßen wird: „Bisherige Ausnahmen können ab sofort nicht mehr aufrecht erhalten werden.“

Schulamt wollte Festlegung bis zu den Winterferien

Die Schulen sollten daher prüfen, ob sie Teilungs-, Gruppen- und sonstige Räume nutzen können oder ob selbst Gruppen mit traumatisierten Geflüchteten auf die Mindestzahl von zwölf Schülern aufgestockt werden können. Bis zum 9. Januar sollten sich die Schulen zurückmelden. Noch vor den Winterferien wollte das Schulamt „verbindliche Festlegungen treffen“. So lautete die Ansage am 7. Januar.

Der Fachbereichsleiter sparte aber auch nicht mit Kritik an der Senatsverwaltung für Bildung: Die sei „fälschlicherweise von stetig sinkenden Fallzahlen ausgegangen“. Besonders prekär sei die Situation im Bereich der weiterführenden Schulen. Leider hätten Schulleitungen ihre Lerngruppen ohne Zustimmung des Schulamtes geschlossen und kein Personal mehr angemeldet. „Wir können diese Fälle nicht akzeptieren und werden den Schulen kurzfristig entsprechend Schülerinnen und Schüler zuweisen, da diese Lerngruppen für uns weiterhin bestehen.“

Lernen? Später vielleicht. 90 Kinder warten auf einen Schulplatz.
Lernen? Später vielleicht. 90 Kinder warten auf einen Schulplatz.
© Kitty Kleist-Heinrich

Besonders streng sollen jene Schulen durchleuchtet werden, die noch nie eine sogenannte Willkommensklasse hatten. Ausdrücklich erwähnt Künzel die Gymnasien, die mehr Lerngruppen ohne Deutschkenntnisse aufnehmen müssten.

Die Senatsverwaltung sieht den Bezirk in der Pflicht

Die Senatsbildungsverwaltung kündigte am Dienstag an, dass es für die fehlenden Plätze bald eine Lösung geben werde – und zwar „ganz, ganz kurzfristig“. Die Verwaltung von Senatorin Sandra Scheeres (SPD) sieht allerdings vor allem das bezirkliche Schulamt in der Pflicht. Kinder ohne oder mit geringen Deutschkenntnissen seien im Bezirk sehr ungleich auf die Schulen verteilt. Die Spreewaldschule etwa habe viel mehr geflüchtete Kinder aufgenommen als andere Schulen.

Bildungsstaatssekretärin Beate Stoffers (SPD) dränge darauf, dass das bezirkliche Schulamt zu einer besseren Verteilung komme, sagte ein Sprecher der Bildungsverwaltung. Er wies zudem darauf hin, dass in etlichen Willkommensklassen des Bezirks noch Kapazitäten bestehen, in einigen würden beispielsweise nur sieben oder weniger Schüler unterrichtet.

Willkommensklassen auch an Freien Schulen möglich

Um die betroffenen Kinder und Jugendlichen unterzubringen, könne der Bezirk außerdem auf das Angebot der Schulen in freier Trägerschaft zurückgreifen, die angeboten hatten, ebenfalls Willkommensklassen einzurichten. Auch das Argument, dass es nicht genügend Personal für die Willkommensklassen gebe, kann man bei der Bildungsverwaltung nicht so ganz nachvollziehen: Es gebe momentan noch ein Reservoir an Lehrkräften im Bereich Deutsch als Fremd- oder Zweitsprache.

Die Politik habe es „vor Jahren versäumt, rechtzeitig Vorsorge zu tragen“, kritisierte am Montag der stellvertretende Vorsitzende des Philologenverbands, Ferdinand Horbat. Leider sei dem Senat die „Kosten-Leistungs-Rechnung“ wichtiger als die notwendige Vorsorge für die Schüler gewesen. Daher seien zu viele Schulen geschlossen worden und zu wenige Lehrer ausgebildet worden.

Kritik kam auch aus der Opposition im Abgeordnetenhaus. Paul Fresdorf, bildungspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion sagte: „Aus dem Haus Scheeres wurde Ende 2019 noch gemeldet, dass die Problematik der fehlenden Schulplätze in Berlin vorerst gelöst ist. Die Realität sieht aber anders aus .“ Er schlug vor, die Kompetenzen bei Schulneubau und Schulsanierung in der Hand einer Gesellschaft des Landes zu bündeln.

Kritik von den Grünen und der CDU im Bezirk

„Es macht mich fassungslos, dass ein großer Bezirk mit knapp 60 Schulen wie Tempelhof-Schöneberg es nicht schafft, die Schulpflicht umzusetzen“, sagte Martina Zander-Rade, schulpolitische Sprecherin der Grünen im Bezirk. „Auch dass nach jahrelanger Erfahrung mit der Beschulung von Kindern ohne Deutschkenntnisse immer noch kein Konzept vorliegt, ist ein unentschuldbares Versäumnis.“ Matthias Steuckardt, der Vorsitzende der CDU-Fraktion im Bezirk, spricht davon, dass das Problem womöglich hausgemacht sei: „Es fällt auf, dass in den von Stadtrat Schworck verantworteten Bereichen regelmäßig Brandbriefe die Runde machen.“

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