Einheitsdenkmal in Berlin: Besser wippen vor dem Reichstag?
Die Debatte um das Freiheits- und Einheitsdenkmal findet kein Ende. Dabei ist doch fast alles entschieden.
Der Baubeginn für das Freiheits- und Einheitsdenkmal vor dem Schloss rückt näher. Der Bund und das Land Berlin haben sich über ein Verfahren zur Ermittlung des Preises für das Grundstück auf der Schlossfreiheit vor dem Westportal des Schlosses geeinigt. Das Bauland gehört Berlin und soll an den Bund verkauft werden, der das Denkmal betreibt. Dies geht aus einem Brief von Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) von Anfang Mai hervor, und trotzdem gibt es plötzlich eine Standortdebatte.
Zur genauen Höhe des Kaufpreises schreibt Grütters: „Ein konkreter Preis für das Grundstück ist bislang noch nicht vereinbart.“ Da aber Einigkeit über das Bewertungsverfahren besteht, dürfte das eine Formalie sein. Bevor die Bagger auf dem Grundstück anrollen können, muss der Kaufvertrag zur Abstimmung im Haushaltsausschuss des Bundestages vorgelegt werden. Das Gremium könnte mit der Zustimmung zugleich die bis zum Abschluss des Grundstücksgeschäftes bewilligten aber eingefrorenen Baugelder wieder freigeben.
Für den Architekten des Freiheits- und Einheitsdenkmals ist klar: „Sobald der Haushaltsausschuss entschieden hat, können wir beginnen zu arbeiten“, sagt Sebastian Letz vom Büro Milla und Partner. Wenn alle Ämter mitziehen, stehe das Denkmal in rund zwei Jahren. Den Architekten liege eine Baugenehmigung vor, der Vertrag mit dem Bund über die Tätigkeit als „Generalunternehmer“ sei unterzeichnet und deshalb könnten nun die „Beschlüsse des Bundestages“ umgesetzt werden. „Das Budget ist im Bundeshaushalt hinterlegt und wird demnächst freigegeben“, sagt Letz. Und deshalb „verstehe ich diese Diskussion um den Standort nicht“.
Kurve des Spreebogens als Anker
Wie gestern berichtet, hat sich die im Bezirk Mitte gewählte SPD-Bundestagsabgeordnete und stellvertretende Fraktionsvorsitzende Eva Högl für den Bau des Denkmals vor dem Reichstag ausgesprochen statt wie vorgesehen vor dem Schloss. Högl unterstützt damit einen Vorstoß vom Verein Berliner Historische Mitte. Deren Vorsitzende Annette Ahme will mit einer Simulation des Denkmalentwurfs auf der Reichstagswiese eine Debatte anstoßen. Ahme begründet den Vorschlag mit dem beengten Platz vor dem Schloss. Dort, auf dem historischen Sockel, stand einst ein neun Meter hohes bronzenes Reiterstandbild Kaiser Wilhelms I.
Ahmes Vorschlag nahmen die Architekten Wilfried Wang und Barbara Hoidn zum Anlass für eine Visualisierung der Einheitswippe an einem dritten Bauplatz im Spreebogen: „Das Denkmal braucht die großräumige Kurve des Spreebogens als Anker, um voll zur Geltung zu kommen“, sagt Wang. Die Schale sei etwa so lang wie der Humboldthafen breit, und passe zu den Glasdächern des Hauptbahnhofs, den Bögen des Kanzleramtes und dem geschwungenen Dach des Hauses der Kulturen der Welt.
Zu den Befürwortern des Denkmals vor dem Schloss zählt der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD). Der empfindet die Ablehnung des Denkmals als Zeichen der „Ignoranz der Westdeutschen gegenüber der historischen Leistung der Ostdeutschen“ und konterte eine Polemik des Historikers Martin Sabrow gegen die Wippe.
Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) wird nachgesagt, sie habe den Schloss-Standort „kontaminiert“ genannt. Doch Kaiserdenkmal und Reichseinigung von 1871 sind das eine – das andere ist, dass am Schloss die Gefallenen der Märzrevolution von 1848 aufgebahrt wurden und der König seine Mütze vor ihnen ziehen musste. Auch die (sozialistische) deutsche Republik wurde von einem Fenster des Schlosses ausgerufen. Deutschland, die Freiheit und die Einheit – der Streit wird wohl so schnell nicht enden.
Neuer Standortvorschlag - Pro und Contra
Photoshop macht’s möglich, Gesichter ohne Falten und die Stadt als schöne neue Welt. Die Wippe am Reichstag ist ein Beispiel dafür, wie Digitales die Gemüter erhitzt – und das Denken aussetzen lässt. Das heitere Spiel mit dem schönen Schein leistet nur eins: dass überhaupt kein Denkmal gebaut wird, weder vorm Reichstag noch vorm Schloss – und deshalb bin ich dagegen!
Der Geniestreich der Choreografin Sasha Waltz und des Designers Johannes Milla muss endlich gebaut werden. Dafür sprach sich die Mehrheit des Bundestags zwei Mal im Abstand eines Jahrzehnts aus, damit also zwei Belegschaften verschiedener Volksvertreter. Und dafür spricht sich der Volksmund aus, der das Denkmal „Obstschale“ und „Einheitswippe“ taufte, was Ausdruck größter Wertschätzung durch die Berliner Schnauze ist.
Käme es nun tatsächlich zur Neuauflage einer Debatte über den Standort, dann würde die Wippe kippen. Denn erstens verlaufen unter der Reichstagswiese Bahn- Tunnel, was das Einrammen von Gründungspfeilern unmöglich macht, wie der Fall des Hochhauses nahe dem Alexanderplatz zeigt, das wegen der damit verbundenen Risiken keine Baugenehmigung erhält. Zudem liegt für den Baustart am Schloss alles vor: Genehmigung, Geld und Grundstück.
Wer das Fass jetzt noch mal aufmacht, treibt deshalb, ob er will oder nicht, ein anderes Spiel und verhindert diese wippende Erinnerung an die friedliche Revolution von DDR-Bürgern, die die Verhältnisse zum Tanzen zwangen. Ralf Schönball
Die deutsche Einheit wurde an vielen Orten Deutschlands und der Welt erstritten, vollendet wurde sie jedoch an einem einzigen Ort, in der Nacht vom 2. auf den 3. Oktober 1990, mit Inkrafttreten des Einigungsvertrags, symbolisch bezeugt mit dem Hissen der Deutschlandflagge und dem gemeinsamen Singen der Nationalhymne. Die Einheit wurde also vor dem Reichstag besiegelt und nicht am Schloss, an dessen Wiederaufbau damals noch niemand dachte.
Die Idee, auf dem Sockel des alten kaiserlichen Nationaldenkmals eine Wippe zu bauen, die den monarchischen Herrschaftsanspruch der Hohenzollern durch eine demokratische Installation ersetzt, mag in der Theorie glänzen, in der künftigen Umgebung wird die Wippe jedoch ein Fremdkörper bleiben. Das steinerne kuppelgekrönte Hauptportal des Berliner Schlosses wird die flache, bewegliche Konstruktion in ihren mächtigen Schatten stellen. Zu eng ist hier der Raum zwischen Schloss und Spreekanal. Das Humboldt-Forum mag sich innen modern und international geben, außen dominiert das wiedererstandene Ensemble preußischer Residenzarchitektur. Dazu wurde das Schloss-Forum ja gerade wiederaufgebaut.
Ganz anders die Szenerie am Reichstag. Zwischen Kanzleramt und Bundestag hatten die Architekten Axel Schultes und Charlotte Frank ein „Bürgerforum“ geplant, das nie realisiert wurde. Jetzt könnte diese Leerstelle auf den Weiten der Reichstagswiese endlich sinnvoll gefüllt werden. Thomas Loy