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Harte Worte. Friseur Murat K. ärgert sich über „Vaterlandsverräter“.
© Hasan Gökkaya

Streit um Recep Tayyip Erdogan: Berlins Türken sind tief gespalten

Der türkische Staatschef Erdogan hat in Deutschland ein miserables Image. Unter Berlins Türken ist er dagegen heftig umstritten – viele verehren ihn, andere hassen ihn.

Fruchtig, saftig, vollgetankt mit Sonnenstrahlen - wenn Murat Ç. über seine Granatäpfel redet, kommt er beinahe ins Schwärmen: „Die Deutschen stehen total auf diese Frucht, aber auch die Quitten werden gerne gekauft“, sagt er. Der zweifache Familienvater verkauft Obst am U-Bahnhof Kottbusser Tor. Ein höflicher Mann, der anders als viele Berliner dieser Tage noch einen ruhigen Puls bewahrt, wenn es wieder mal um den Mann in Ankara geht – um Recep Tayyip Erdogan, den türkischen Staatspräsidenten.

„Erdogan hat mir sogar eine Identität gegeben. Mein Blick auf die Türkei hat sich durch ihn völlig verändert“, sagt er mit ruhiger Stimme. Verändert? Wie denn? „Wir Türken haben uns so lange als Menschen zweiter Klasse gesehen, bis wir uns am Ende wirklich so fühlten, aber das ist endlich weg.“ Der 43-Jährige lebt seit mehr als 20 Jahren in Deutschland, an die alte Türkei erinnert er sich, aber ungerne: „Früher war für uns gut genug, was den Europäern zu schlecht war. Die Türken sind Autos gefahren, die die Deutschen nicht wollten. Gucken sie sich heute mal auf den Straßen in der Türkei um - überall stehen Luxus-Autos!“

Nun ja, wirtschaftliche Erfolge sind das eine, die Menschenrechte das andere. Doch auch die habe Erdogan verbessert, fällt Murat Ç. ein, als er einer Seniorin beim Obst-Einpacken hilft. Schließlich sei es Erdogan gewesen, der das Kopftuchverbot in der Türkei aufheben ließ: „Meine Frau trägt kein Kopftuch, trotzdem finde ich die Trennung von Staat und Religion unfair. Warum sollten bedeckte Frauen Behörden und Universitäten nicht betreten dürfen?“

Murat C. findet die Amnesty-Berichte "lächerlich"

Murat Ç. verbringt täglich eine Stunde in sozialen Medien. Kommentare, Tweeds, Facebook-Einträge, er liest sie, um nichts zu verpassen. Manchmal liest er zu viel, sieht Nachrichten, die er nicht sehen will – vor allem Berichte in deutschen Medien. „Kaum wurde in der Türkei nach dem gescheiterten Putschversuch der Ausnahmezustand ausgerufen, schrien die Menschen hier auf. Wieso meckerten die Deutschen nicht, als in Frankreich der Ausnahmezustand ausgerufen wurde?“ Berichte von Amnesty International über Folter an den Putschisten? „Das ist lächerlich. Woher wollen die das wissen? Sind sie selbst in den Gefängnissen gewesen?“, sagt er.

Zank am Kiosk. „Ich mag Erdogan“, sagt Cihan Seker (links). „Er hat Autobahnen sowie die dritte Bosporus-Brücke gebaut und Krankenhäuser geschaffen.“ Ali Riza Durmus hält dagegen. Er wirft Erdogan einen Anschlag auf die Demokratie vor. „Es gibt keine freie Presse mehr, sondern von der Regierung gelenkte Nachrichten.“
Zank am Kiosk. „Ich mag Erdogan“, sagt Cihan Seker (links). „Er hat Autobahnen sowie die dritte Bosporus-Brücke gebaut und Krankenhäuser geschaffen.“ Ali Riza Durmus hält dagegen. Er wirft Erdogan einen Anschlag auf die Demokratie vor. „Es gibt keine freie Presse mehr, sondern von der Regierung gelenkte Nachrichten.“
© Hasan Gökkaya

Ein exemplarischer Zoff am Kiosk

Hundert Meter weiter sitzen Ali Riza Durmus (59) und Cihan Seker (52) vor einem Kiosk. Ein ruhiges Duo – einer schaut in den Himmel, der andere auf die Adalbertstraße. Erdogan? „Ich mag ihn!“, macht Seker schnell klar. Durmus guckt ihn grimmig an, als würde er gerne etwas sagen, tut es aber nicht. Dann wieder Seker: „Er hat uns Autobahnen gebaut und Krankenhäuser geschaffen, in denen niemand mehr beim Warten sterben muss.“ Früher habe jeder Glück gehabt, der in staatlichen Krankenhäusern überhaupt einen Arzt zu Gesicht bekam, erzählt der 52-Jährige. Durmus zieht die Augenbrauen hoch. Seker setzt nach: „Und vergessen wir die dritte Bosporus-Brücke nicht, die Erdogan uns in Istanbul gebaut hat.“

Das ist zu viel für Durmus. „Er hat die Brücke nicht gebaut! Sondern sie bauen lassen! Für Milliarden! Mit Schulden! Wer wird das am Ende abzahlen?“ Seker kontert: „Was für Schulden? Wir haben keine. Uns geht es gut. Ich weiß doch, was ich im Fernsehen sehe.“ Durmus: „Das sind von der Regierung gelenkte Nachrichtensender, es gibt keine freie Presse mehr!“ Seker will nicht weiter streiten, lehnt sich auf seinem Stuhl zurück: „Ich bin zufrieden mit Erdogan. Auch wenn ich sagen muss, dass er mir zu aggressiv ist.“

Das Thema wird vermieden - es macht die Geschäfte kaputt

In der türkischstämmigen Community reden Berliner nicht immer gerne über den türkischen Staatspräsidenten. Denn das Thema ist ein Politikum – eins, das Kiosk- und Restaurantbetreibern das Geschäft kaputtmachen kann. „Was habe ich davon, mich öffentlich zu äußern. Irgendwelche Kunden werden verärgert sein, egal was ich sage“, erzählt ein Friseur am Kottbusser Tor. Der Fischhändler gegenüber bittet den Reporter freundlich aus dem Geschäft: „Kommen sie wieder, wenn sie über Angela Merkel reden möchten – sie ist jetzt meine Mama!“

60 Prozent der in Deutschland lebenden Türken wählten die AKP

Massenverhaftungen, Angriffe auf die regierungskritische Presse: Erdogan führt die Türkei mit harter Hand, viele lieben ihn, nicht wenige hassen ihn dafür. Die Gesellschaft in der Türkei ist tief gespalten, und der Konflikt ist längst vom Bosporus nach Deutschland geschwappt.

Überraschend ist das nicht, haben doch im November 2015 laut der staatsnahen Nachrichtenagentur „Anadolu Ajansi“ 60 Prozent der in Deutschland lebenden Türken Erdogans islamisch-konservative AKP gewählt. Viele der hiesigen Wähler sind nicht einmal streng religiös. Ob im Friseursalon, im Döner-Laden oder im türkischen Café, ob in Hamburg, München oder Berlin: In Deutschland bricht unter Deutsch-Türken Streit aus, wenn Erdogan Thema ist. Linksliberale Türken, Kurden, aber auch Deutsche werfen seinen Anhängern vor, eine „Diktatur“ zu unterstützen. Umgekehrt beschimpfen Fromme und Nationalisten Erdogans Kritiker als „vatan haini“ (Vaterlandsverräter!).

Vaterlandsverräter – dieses Wort benutzt auch Friseur Murat K., während er nicht weit von der Markthalle beim Haareschneiden über Erdogans Kritiker redet. „Tut mir leid, dass ich das so sage, aber ich nehme auch hiesige Zeitungsberichte nicht ernst. Für mich sind europäische Journalisten Handlanger des Westens, die der Türkei nur schaden wollen“, sagt er. Warum sollte der Westen der Türkei schaden wollen? „Weil sie Erdogan den Aufstieg zum Leader in der Region nicht gönnen.“ Und was ist mit den Verhaftungswellen? „Die sind legitim. Die Türkei hat sehr viele Feinde. Es sind bestimmt auch Leute in Haft, die unschuldig sind, aber die werden schon noch freikommen … ich vertraue der türkischen Justiz.“

"Neue Straßen wurden gebaut, Kliniken arbeiten heute besser"

Murat K. wirkt freundlich, hat ein angenehmes Lächeln. Wenn der zweifache Vater aus dem Fenster seines Geschäfts schaut, ist er in Gedanken oft nicht mehr in Kreuzberg, sondern in der Türkei. Seiner „Heimat“, die derzeit in einer Krise steckt und hofft, dass die Touristenscharen nicht auf Dauer wegbleiben. Es ist aber auch das Land mit den vielen neuen Straßen abseits der Touristenorte, die gebaut worden sind, seit die AKP an der Macht ist. Besser arbeitende Kliniken und höhere Renten für alte Menschen, die sich ihren Rücken kaputtgearbeitet haben.

Erdogans Erfolge haben sich auch bei Murat K. tief eingebrannt. So tief, dass er dem Staatspräsidenten auf ewig dankbar sein wird? „Eigentlich geht es mir gar nicht um diese Dinge. In erster Linie bin ich einfach unendlich stolz darauf, dass er das machen kann, was mir verwehrt bleibt. Er traut sich, den Leadern dieser Welt die Stirn zu bieten.“ Und wie sieht er den Kurdenkonflikt? „Ich finde, dass sich Erdogan am besten für die Rechte der Kurden eingesetzt hat. Durch ihn können sich Kurden in der Türkei doch überhaupt wieder Kurden nennen.“ Und die Todesstrafe? „Vaterlandsverräter sollen für ihre Taten büßen. Natürlich nur diejenigen, die vorhatten andere zu töten - so wie die Putschisten im Sommer.“

Murat K. wünscht seiner Heimat einen stabilen Kurs

Murat K.'s Worte klingen hart, härter als er sie eigentlich versucht auszusprechen. Einmal geht der 37-Jährige dann in sich: „Im Grunde möchte ich nur, dass endlich Ruhe in der Türkei einkehrt. Ich bezweifle, dass außer Erdogan jemand das Land auf einen stabilen Kurs bringen kann. Ich schwöre, könnte es jemand anders, würde ich auch hinter jedem anderen Staatschef stehen.“ Eine Frau mit Kopftuch um die 50 lauscht, nickt langsam dazu, dann macht sie die Augen weit auf und sagt: „Einen Sohn wie Erdogan bringt eine Mutter nur einmal zur Welt.“

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