Nach dem Putsch: Türkei schweigt zu Foltervorwürfen von Amnesty
Die Bundesregierung dringt auf eine Prüfung der Foltervorwürfe gegen die Türkei durch unabhängige Beobachter. Die Türkei erlässt Haftbefehle gegen 42 Journalisten
Die Bundesregierung hat sich dafür ausgesprochen, die Foltervorwürfe in der Türkei durch unabhängige Beobachter überprüfen zu lassen. Dies sei „ein geeigneter Weg“, sagte eine Regierungssprecherin am Montag. Zugleich kritisierte die Bundesregierung das Vorgehen der türkischen Führung nach dem Putschversuch: „Die Dimension der Maßnahmen weckt Zweifel an der Vereinbarkeit mit rechtsstaatlichen Grundsätzen“, sagte ein Sprecher von Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Amnesty International hatte am Sonntag erklärt, es gebe „glaubhafte Beweise“ für die Folter von Festgenommenen in offiziellen und inoffiziellen Haftzentren.
Seit dem Putschversuch am 15. Juli wurden bereits 13 000 Menschen festgenommen. Erst am Montag ordnete die Istanbuler Staatsanwaltschaft die Festnahme von 42 Journalisten an, wie die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu meldete, darunter sind auch bekannte Regierungskritiker. Die Zahl der Festgenommenen ist so groß, dass die angeblichen Putschisten und deren Helfer gar nicht erst in ein Gefängnis eingeliefert werden. Drei Tage nach dem gescheiterten Coup zirkulieren schon Bilder aus der Reithalle der Polizeischule in Ankara. Hunderte von Soldaten sitzen gebückt auf dem Boden, nur mit einer Unterhose bekleidet, die Hände hinter dem Rücken mit Plastikbändern gefesselt.
„Das Folterverbot ist absolut, Ausnahmen gibt es nicht“, warnte die Präsidentin des Türkischen Menschenrechtsvereins, als die ersten Hinweise auf Misshandlungen auftauchten. Sebnem Korur Fincanci kommt selbst gerade erst aus der Untersuchungshaft. Der Bürgerrechtlerin, die international als eine Vorkämpferin für ein Folterverbot gilt, wird ein Prozess wegen Unterstützung des Terrorismus gemacht.
Auf die massiven Foltervorwürfe von Amnesty reagierte die türkische Führung bis Montag nicht. Ein ungenannter Regierungsvertreter, den die Nachrichtenagentur AFP zitierte, wies die Anschuldigungen „kategorisch“ zurück.
Beispiel Offizier Levent Türkhan
Einer der Festgenommenen ist Levent Türkkan. „Wir haben uns ergeben“, erzählt der Adjutant des türkischen Stabschefs. Doch dafür sieht der Offizier reichlich ramponiert aus. Beide Augen violett verschwollen, Striemen im Gesicht, die Hände bandagiert und ein breiter Verband um den Bauch, so zeigte die türkische Nachrichtenagentur Anadolu, das Sprachrohr der Regierung, den Oberstleutnant. Ob Türkkan gefoltert oder unter einiger Gewaltanwendung am Morgen nach dem gescheiterten Putsch festgenommen wurde, steht nicht fest.
Das Geständnis, das von ihm erwartet wurde, hat er jedenfalls geliefert: „Ich bin ein Mitglied der Parallelorganisation.“ Schon als Schüler habe ihm das Netzwerk des Predigers Fethullah Gülen geholfen, so beichtet er angeblich im Verhör. Genau so etwas wollen Staatschef Recep Tayyip Erdogan und die politische Führung in Ankara hören. Denn ihrer Ansicht nach hat die Gülen-Bewegung den Putsch am 15. Juli angezettelt. Diese Version dient dem türkischen Staat als Vorwand für die vielen Verhaftungen.
Der türkische Unternehmerverband Tüsiad, der seit Jahren in einem gespannten Verhältnis mit der konservativ-islamischen Regierung lebt, platzierte am Montag Anzeigen in mehreren europäischen Zeitungen. Die Erklärung las sich wie eine Mahnung der Privatwirtschaft an Erdogan, der Versuchung der Diktatur und der Übergriffe nicht nachzugeben. Zum Ende hieß es: „Wir sind zuversichtlich, dass die Türkei weiterhin die Widerstandsfähigkeit ihrer Demokratie und ihre Verpflichtung zur Rechtsstaatlichkeit demonstrieren wird.“
Moscheeverbände preisen "Demokratietriumph"
Anders dagegen die türkischen Moscheeverbände Ditib, Milli Görüs, Atib und VIKZ. In einer Erklärung vom Montag – die erste seit dem Putschversuch – bejubeln sie voller Stolz den „Demokratietriumph“ des türkischen Volkes. Am 15. Juli habe „unser Volk“ einen „für die Welt vorbildhaften Widerstand“ geleistet, damit die „stabile Türkei nicht von einer Herrschaft dunkler Mächte unterjocht wird“. Von den Massenentlassungen und Massenverhaftungen steht in der Erklärung kein Wort, geschweige denn von Foltervorwürfen – als hätte es all dies in den vergangenen zehn Tagen nicht gegeben.
Dagdelen und Özdemir fordern Sanktionen
Die Linken-Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen forderte Sanktionen gegen Erdogan: „Seitens der EU muss es ein Einreiseverbot für den Staatschef geben“, erklärte Dagdelen. Erdogans Konten in der EU sollten eingefroren werden. Außerdem sprach sich die Linken-Abgeordnete dafür aus, die Beitrittsgespräche mit der Türkei und die Vorbeitrittshilfen für Ankara – insgesamt rund 4,5 Milliarden Euro – sofort zu stoppen.
Der Grünen-Chef Cem Özdemir hatte zuvor ebenfalls Sanktionen gegen die türkische Führung ins Gespräch gebracht: „Wenn Demokratie, der Rechtsstaat und Menschenrechte weiterhin außer Kraft gesetzt werden, müssen wir auf EU- Ebene auch über Sanktionen für das direkte Umfeld der Machthaber nachdenken, beispielsweise indem man Konten und Vermögen einfriert“, hatte Özdemir der „Bild am Sonntag“ gesagt.